Berlin hat gewählt. Gibt’s da was nachzulesen? Eigentlich nicht. Die FDP hat ihr Projekt 18 endlich verwirklicht und vom Wähler das Komma an der richtigen Stelle platziert bekommen. Die Liberalen haben es nicht geschafft, sich an die Spitze einer deutschen Tea Party Bewegung zu setzen. In Deutschland wird eben auch kein Tee als Ausdruck des Protestes in einen Hafen gekippt, nicht mal symbolisch, sondern es wird wie immer nur mit heißem Wasser gekocht. Es ist doch wirklich gut, dass sich die Wähler, die sich den Wahlgang noch antun (60,2 Prozent), nicht so blöd und einfältig sind, auf das falsche Gerede der FDP hereinzufallen. Die lag übrigens wieder hinter der NPD (2,1 Prozent) und auf Augenhöhe mit der Tierschutzpartei (1,5 Prozent). Der Berliner probiert gern etwas Neues aus und schickt die Piraten mit fast neun Prozent der Stimmen ins Abgeordnetenhaus. Dort, so haben Linkspartei und Grüne am Wahlabend verkündet, wolle man von den Neuankömmlingen etwas in Sachen Internet lernen. Toll.
Die CDU braucht indes keine Nachhilfe. Die Konservativen wähnen sich mit 23,4 Prozent eindeutig auf der Siegerstraße. Peter Altmaier und der Berliner Spitzenkandidat, dessen Namen ich mir aus Platzgründen im Hirn nicht gemerkt habe, sprachen davon, rot-rot mit dem besten Wahlergebnis für die Union in diesem Jahr verhindert zu haben. Ein deutlicher Aufwärtstrend sei da zu erkennen, hieß es bei den schwarzen Humoristen. Die SPD kommt hingegen aus dem Feiern nicht mehr raus. Die Presse dämpft allerdings. Im Westen sei Klaus Wowereit von der CDU überholt worden und insgesamt hätten die Sozialdemokraten ihr Ziel, über die 30 Prozent Marke zu kommen bei leichten Einbußen verfehlt. Damit sei der Kanzlerkandidatenkandidat Wowereit vom Tisch, orakeln Deutschlands „Edelfedern“ (bei Jens Berger geklaut). Der Tagesspiegel schreibt zum Beispiel in seinem Live-Blog:
„Wowereit kann zwar wieder Regierender Bürgermeister werden, aber
Kanzlerkandidatenkandidat eher nicht, weder aus eigenem Antrieb noch als Gebetener. Die Aura des dreifachen
Wahlsiegers, die keiner der anderen Spitzensozialdemokraten aufweisen kann, ist mit diesem Ergebnis auf
Bundesebene kaum präsentabel.“
Präsentabel können eben nur Leute wie Steinbrück sein, der für die SPD in NRW 2005 eine grandiose Wahlschlappe einfuhr, die sogar zur Selbstaufgabe der rot-grünen Bundesregierung unter Schröder führte und zu einem Finanzminister Steinbrück hinter Merkel, die dann mit ihm zusammen das Land, von großer Ahnungslosigkeit begeleitet, in die größte Finanz- und Wirtschaftskrise manövrierte. Dann ist sicherlich noch Steinmeier vorzeigbar, der 2009 als Spitzenkandidat der SPD, der auf Sicht vor sich hingurkenden Kanzlerin, mit 23 Prozent (-11,2 Prozent) der abgegebenen Stimmen gefährlich nahe kam. Der Wechsel war damals förmlich spürbar. Steinmeier wurde auch Fraktionschef, weil er die Schockstarre der Bundestagsfraktion clever ausnutzte und sich mit einer Art Putsch an deren Spitze wählen ließ. Seit dem langweilt der Agenda-Architekt die Abgeordneten mit seiner Schröder-Parodie. Und Parteichef Gabriel will antreten, wenn man ihn fragt. Zum Glück fragt keiner.
Interessant ist natürlich, dass die Kandidatendiskussion die Medien so beschäftigt, wo doch inhaltlich zwischen den einstigen Volksparteien ein großer Konsens besteht.
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.