Zur SPD nur soviel

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Der Gabriel war ja sehr unterhaltend bei seiner Bewerbungsrede. Aber das kennt man ja von ihm. Doch was kommt nun hinten raus? Eine Wende in der Betrachtung der eigenen Politik? Nein. Man habe Fehler gemacht, bla bla, aber man könne vor allem stolz sein auf das, was man in den zurückliegenden 11 Regierungsjahren zu Stande gebracht habe. Man habe sich an die vermeintliche Mitte angepasst. Gut und fein beobachtet, aber dann wieder Lob an die Versager wie Steinbrück, dem er attestierte, den richtigen Ton in der Finanzkrise gefunden zu haben. Häh? Der Mann war doch verantwortlich für die beklagte Anpassung an eine fiktive Mitte, die der neue SPD-Chef nun durch die Zurückgewinnung der Deutungshoheit über zentrale gesellschaftpolitische Fragstellungen neu besetzen will.

Doch wie sieht es mit einer Antwort auf z.B. die Rente mit 67 aus? Die neue Deutungshoheit bei dieser wichtigen Frage lautet nicht etwa Abschaffung aus der Erkenntnis heraus, einer geldgeilen Versicherungslobby auf den Leim gegangen zu sein, also sich einer vermeintlichen politischen Mitte angepasst zu haben, nein, die Antwort Gabriels lautet flexiblere Übergänge in den Ruhestand zu ermöglichen, in einem sog. Korridor zwischen 60 und 67. Ein Witz oder? Wer entscheidet denn dann, wie lange jemand zu arbeiten hat?

Auch Gabriel drückt sich um die kritische Auseinandersetzung mit dem falschen Kurs seiner Partei, die sich nicht nur einem falschen Begriff von Mitte angepasst hat, sondern vor allem die Interessen der Wirtschaft und des Kapitalmarkts bediente. Das haben die Wähler verstanden und keinen Unterschied mehr feststellen können zu den anderen Parteien, die schon immer unter dem Verdacht standen, Klientelpolitik zu betreiben. Es war wirklich unterhaltend, mit anzuhören, wie Gabriel die Politik von Schwarz-Gelb kritisierte, doch hätte er sich gleichzeitig an die eigene Nase fassen können. Später reichte ihm Frau Nahles ja auch ein „Tempo“.

Aber nein. Lob für Steinbrück und auch noch Applaus für jemanden, der die Beschlüsse von Parteitagen mit Füßen getreten hat (Bahnprivatisierung) und sogar kurz vor der Bundestagswahl den eigenen Leuten zum wiederholten Male in den Rücken fiel (Große Koalition sei das Ziel). Den hätte man aus der Halle jagen sollen. Es spricht ja auch Bände, dass Steinbrücks engster Mitarbeiter und ebenfalls SPD-Mitglied, Jörg Asmussen, seinen Job unter Finanzminister Schäuble (CDU) einfach weitermachen darf. Wenn Gabriel also davon spricht, dass nun ausgerechnet die politischen Kräfte mit der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise betraut sind, die den Weg in die Krise bereitet haben, wirkt diese Kritik auch wegen der Kontinuität im Finanzministerium doch sehr unglaubwürdig.

Die Finanzspekulationswirtschaft und die Heuschrecken wurden durch SPD-Finanzminister begünstigt und gefördert. Wer das nicht auch an den Personen festmacht, die immer noch in dreister Weise auf dem Podium Platz nehmen dürfen und erneut bejubelt werden, wird sein Glaubwürdigkeitsproblem nicht los. Da kann man noch so betonen, die Basta-Politik der Partei- und Fraktionsführung abschaffen zu wollen und mehr Demokratie innerhalb der Partei zu wagen. Ohne die Abspaltung der Köpfe (bildlich gesprochen), die für das Versagen und das Weiter so stehen, kann eine angestrebte Erneuerung nur im Selbstbetrug enden.

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"Bekämpfungsminister" zu Guttenberg zur Autogrammstunde in Afghanistan

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Kein Witz. So steht’s bei Spiegel-Online:

Begeisterter Empfang für den neuen Minister

Es war eine kurze Nacht für den neuen Verteidigungsminister gewesen. Bis zum späten Abend musste der Chef der Bundeswehr im nordafghanischen Masar-i-Scharif entweder Autogramme geben oder für die Kameras der Soldaten posieren. Kaum stellte sich der Minister, der einen langen Tag mit politischen Gesprächen in Kabul hatte, an einen Tisch, wurde er schon von den nächsten Soldaten umringt und zu einem neuen Gruppenfoto gebeten.

Der Abend im größten deutschen Lager glich zeitweise dem Auftritt eines Popstars. Gefeiert wurde der neue Minister, der den Soldaten in einer kurzen Rede, die er ohne Manuskript hielt, Mut und Respekt zusprach. „Wir bauen nicht nur Brunnen in Afghanistan“, rief er den Soldaten zu. Das müsse endlich auch in Deutschland ankommen, so Guttenberg. Viel deutlicher konnte man den Bruch mit dem Mantra seines Vorgängers Franz Josef Jung nicht ausdrücken, der den Einsatz stets als Stabilisierungs- und Wiederaufbaumission bezeichnet hatte.

Das war jetzt mal der nette Einstieg. In der Neuen Presse Hannover ist der Ton heute schon etwas heftiger.

Guttenberg an der Front

Im Maßanzug übrigens, wie das Bild unter der Überschrift zeigt.

Guttenberg an der Front

Der begleitende Kommentar von Hardcore Horst Schmuda ist bemerkenswert. Nachdem nun klar ist, dass auch die politische Führung in unserem Land zumindest schon einmal von kriegsähnlichen Zuständen spricht, kann man auch gleich ganz die vorsichtige Fassade fallen lassen und dafür eintreten, dass wir Deutschen wenigstens als militärische Sieger vom Platz gehen.

Kein Witz. Lesen sie den letzten Absatz in Horst Schmudas Kommentar.

„Denn die Sache Afghanistans steht schlecht. Das Debakel um die Präsidentenwahl hat die Hoffnung auf eine parlamentarische Demokratie westlicher Prägung in den Bereich des Irrglaubens verbannt. Man muss die Ziele wohl tiefer hängen, sie mehr militärisch-strategisch definieren, als weiter politischen Idealen nachzuhängen, wenn wenigstens eins gelingen soll: die Taliban nachhaltig auszuschalten.“

Dass der Export von westlicher Demokratie ziemlich anmaßend und arrogant auf die Menschen in Afghanistan wirken könnte, kommt dem journalistischen Hirnzwerg Schmuda wohl nicht in den Sinn. Bemerkenswert aber ist, dass er die Taliban ausschalten will. Das verstehe ich nicht. Warum sind wir doch gleich in Afgahnistan? Doch wegen al-Qaida und dem 11. September, dachte ich? Oder habe ich da was falsch verstanden? Die NATO hat militärisch in Afghanistan interveniert, weil al-Qaida von dort aus die Attentate des 11. September geplant haben sollen oder nicht? Ist ja schon lange her mit dem Kriegsbeginn. Am 7. Oktober 2001 war das. Eine lange Zeit, da kann man schon mal ein bissel tütelich werden, was die Kriegsgründe anbelangt.

Nun gibt’s aber al-Qaida gar nicht mehr in Afghanistan. Die sind längst nach Pakistan ausgewandert. Das hat der Schmuda wohl noch nicht mitbekommen, wie mir scheint. Ist ja auch egal. Hauptsache die militärisch-strategischen Ziele hängen künftig tief genug. Schmudas geistiges Niveau wird aber auch dort nicht heranreichen.

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Staatssekretäre: Die FDP bricht weiteres Wahlversprechen

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Ich zitiere zunächst mal aus einer Haushaltsrede von Jürgen Koppelin (FDP) vor dem Deutschen Bundestag aus dem Jahr 2008.
Quelle: Seite von Jürgen Koppelin

„Wie wollen Sie eigentlich dem deutschen Steuerzahler erklären, dass der neue Vizekanzler Steinmeier nun plötzlich einen zusätzlichen Staatssekretär bekommt? Der neue Staatssekretär, so heißt es, soll den Bundesaußenminister innenpolitisch beraten. Es ist schon sehr merkwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ein deutscher Außenminister durch einen zusätzlichen Staatssekretär innenpolitisch beraten werden muss. Weder Hans-Dietrich Genscher noch Klaus Kinkel, auch nicht Joseph Fischer, brauchten einen solchen Staatssekretär.“

Bis zur Regierungsübernahme haben die Liberalen seit 1995 jedes Jahr ein 400 Seiten dickes Sparbuch der Regierung zu den Haushaltsberatungen vorgelegt, in dem man nachlesen könne, wie leicht sich im Bundesetat 10 Mrd. Euro einsparen ließen. Der Haushalt des Auswärtigen Amtes umfasst ein Volumen von 2,8 Milliarden Euro. Die FDP forderte stets, dort Einsparungen in Höhe von rund 24 Millionen Euro vorzunehmen. Eben unter anderem einen Staatssekretär, wie Herr Koppelin oben ja deutlich ausführt.

Nun aber sieht die ganze Angelegenheit anders aus. Herr Westerwelle ist nun selbst Außenminister und scheint sich nicht mehr daran erinnern zu wollen, was er und seine Partei einst einforderten.

„Wir halten nach der Wahl, was wir vor der Wahl versprochen haben!!!“

Das schrie der herrisch teutonisch-arrogant auftretende Rechtspopulist bei jeder Gelegenheit in die Mikrofone. Nun aber macht Westerwelle aus seinem bisherigen Büroleiter Martin Biesel einen Staatssekretär, der überhaupt nix mit dem Auswärtigen Amt zu tun haben soll, sondern eine Art persönlicher Adjutant ist, der die anderen FDP-Minister im Auftrag ihres Chefs koordinieren soll. Ein Staatssekretär für Innenpolitik im Auswärtigen Amt. Tolle Sparpolitik.
Quelle: Spiegel-Online

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Deutsche Journalisten haben keinen Arsch in der Hose

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Das sagt Volker Bräutigam und liefert dabei eine sehr bissige und treffende Beschreibung über den Zustand der angeblich so freien Presse in diesem Land.
Quelle: http://www.0815-info.de/News-file-article-sid-10588.html

Ein Rechtspopulist, der die lingua franca der internationalen Politik nicht beherrscht, dafür aber umso herrischer teutonisch-arrogant auftritt, wurde Bundesaußenminister. Westerwelle in diesem Amt – gewöhnungsbedürftig, ein Ergebnis formaldemokratischer Wahlen.

Ein Schmiergeld-Kassierer wurde Finanzminister. Ein Heimlichtuer gegenüber dem Parlament, einer, gegen den Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss liefen. Verfahren gegen ihn wurden zwar eingestellt, aber nicht wegen erwiesener Unschuld. Schäuble als Kassenwart: gewöhnungsbedürftig. Doch selbst mit Derartigem werden wir zu leben lernen. Wir haben den vor ziviler Strafverfolgung gefeiten Politkriminellen ja schon vier lange Jahre als Hüter der Verfassung erlitten.
Gewählt ist gewählt.

Eine dem zivil-irdischen Alltag entschwebte Kanzlerin, die nur vor dem simplen Volk Machtbewusstsein zeigt, sich bei den Plutokraten aber als servile Hausdame anbiedert, müssen wir ertragen. Dass sie nun ihres sozialdemokratischen Amtsvorgängers öffentlich zelebrierten „Basta!“-Stil auch noch übernimmt, ändert nichts mehr an ihren Bild. Wir haben uns schon an sie gewöhnt.

An das Versagen der „Vierten Gewalt“ im Staate, an den Niedergang der freien Presse, dürfen wir uns hingegen nicht gewöhnen. Es ist absolut unerträglich, dass die Creme des bundesdeutschen Journalismus’, versammelt in der Bundespressekonferenz zu Berlin, sich regelmäßig als Pfeifensammlung erweist – und über die eigene Unfähigkeit und Feigheit auch noch lacht und sie im Boulevardstil veralbert.

Den Artikel sollten sie unbedingt auf der oben verlinkten Seite weiterlesen. Rob Savelbergs Einschätzung über den deutschen Journalismus sollte man sich einrahmen.

Im Interview mit DIE WELT kommentierte Savelberg: „Vielleicht haben meine deutschen Kollegen zuviel Respekt. Mir fällt auf, dass es in Holland weniger Berührungsängste gibt. Da sind meine Kollegen härter. Die Regierung besteht nur aus gewählten Volksvertretern. Das sind keine Monarchen.“ Wie höflich der Mann ist, obwohl sich deutsche Mainstream-Journalisten als schamlose Nieten erwiesen. Sie zeigten keinen Mut vor Fürstenthronen, und einer unverschämten Kanzlerin Zunder zu geben trauen sie sich nicht.

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Eigentlich wollte ich zu dem Thema Robert Enke schweigen

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Aber als ich eben noch lesen musste, dass am Wochenende die geplante Trauerfeier zum Medienevent werden soll, dreht sich mir mal wieder der Magen um. Der Sarg soll mitten im Stadion aufgebahrt werden und das Erste ist live dabei. Kann man nicht einfach mal die Schnauze halten? Bereits gestern lief die Medienaufarbeitung des tragischen Selbstmords von Robert Enke auf Hochtouren. Ein Psychiater mit Professorentitel hüpfte zwischen dem heute-journal im ZDF und der Sendung stern.tv bei RTL hin und her. Die Verantwortlichen von Hannover 96 wurden nicht müde zu betonen, dass Robert Enke ein Doppelleben geführt haben musste, von dem sie nichts ahnen konnten. Heute meldet sich Christoph Daum via Boulevardblatt Kölner Express und behauptet, schon früher von den Depressionen gewusst zu haben.

Der Aufmacher der Donnerstags Ausgabe der Neuen Presse Hannover war in meinen Augen kaum noch zu ertragen. Die Extrabeilage über Enke wurde mit Schlagzeilen und den entsprechenden Seitenangaben angepriesen:

  • Die Qualen des Torwarts (Seite 11)
  • Die Trauer der Witwe (Seite 12)
  • Ein Dorf unter Schock (Seite 13)
  • Die steile Karriere (Seite 14)
  • Schock für die Nationalelf (Seite 15)
  • Das große Enke-Poster (Seite 16)
  • Trauer in der Stadt (Seite 17)

Enke1

Während alle Medien übreinstimmend von 35.000 Menschen berichteten, die an dem Trauerzug durch die Innenstadt von Hannover teilnahmen, schreibt die Neue Presse Hannover von 50.000.

In ihrer Freitagsausgabe wird die Neue Presse Hannover titeln,

„Das Stadion der Trauer“

Der Tod Robert Enkes wird als riesiger Medienevent aufgeblasen und wohlmöglich noch lange die Blätter füllen. Das sollte man kritisieren.

Robert Enke nahm sich am 10.11.2009 das Leben, auf den Gleisen eines Abschnitts, auf dem sich in der Vergangenheit schon viel zu viele tragische Selbstmorde ereigneten, zu denen die Medien stets und richtigerweise schwiegen. Der Fall Robert Enke berührt natürlich ein öffentliches Interesse. Jedoch halte ich die bisher getätigte Berichterstattung für weit überzogen.

R.I.P.

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Der zweite Mauerfall ist vorbei, nun ist wieder Schweinegrippe

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Es ist schon lustig. Haben sie nicht auch die Schweinegrippe am Montag vermisst? Die hatte zu diesem Zeitpunkt Pause, weil es ja zum Massenauflauf in Berlin kommen sollte. Da stört die Schweinegrippe nur. Ich will aber noch einmal zur Kenntnis geben, was unser neuer Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler gestern dem PR-Agenten Christoph Slangen im Interview sagte und via Neue Presse Hannover verbreiten ließ.

„Solange Menschen nicht geimpft sind, gilt es ganz besonders die notwendigen, einfachen Hygienemaßnahmen einzuhalten, mit denen man sich und andere schützen kann: Waschen Sie sich mehrfach täglich die Hände, niesen Sie nur in die Ellenbeuge oder in ein Taschentuch, meiden Sie wenn möglich längere Aufenthalte in größeren Menschenansammlungen.

Da kann man ja nur hoffen, dass am Montag nur Geimpfte in Berlin unterwegs waren. Und wenigstens mit Regenschirm. Ich habe gehört, dass so ein naßkaltes Wetter häufig zu Erkältungen führt. Aber egal. Mal was anderes. Sie haben vielleicht mitbekommen, dass die Fallzahlen von Schweinegrippe-Infektionen rapide ansteigen. Da kann man es schon mit der Angst zu tun bekommen, wenn man nicht weiß, wie das eigentlich konkret festgestellt wird. Bitte fragen sie mal ihren Arzt, wie der herauskriegt, ob ein Patient mit dem neuen Virus infiziert ist oder nicht. Sie werden Erstaunliches zu hören kriegen. Raten sie mal. Genau, es wird geraten, aufgrund der eindeutigen Symptome. Ich darf sie ihnen noch einmal zur Kenntnis geben und zitiere aus einem Informationsblatt, das meine Tochter von ihrer Grundschule kürzlich mit nach Hause bekommen hat.

Wie erkenne ich, ob jemand an der Neuen Influenza erkrankt ist?
Bei der neuen Influenza treten in der Regel folgende Krankheitszeichen gemeinsam auf:

  • plötzlich beginnendes Krankheitsgefühl mit Fieber über 38°C, teilweise mit Schüttelfrost
    und
  • Husten

Zusätzlich kann es auch zu Muskel-, Glieder- und/oder Kopfschmerzen oder Halsschmerzen kommen.

Hilfe. Jetzt bin ich aber irritiert und geschockt. Hatte ich die Schweinegrippe etwa schon früher und immer mal wieder und keiner hat es mir gesagt? Nun ja, die Ärzte könnten natürlich auch einen Bluttest machen, um ganz sicher zu gehen. Aber mal im Ernst, halten sie das für wahrscheinlich bei dem relativ harmlosen Krankheitsverlauf? Da reicht doch die Vermutung. Dazu noch einmal ein Zitat aus dem Infoblatt:

Die Neue Grippe verläuft bisher überwiegend milde und oft nur mit einem Teil der oben beschriebenen typischen Krankheitszeichen.

Oha, ich stelle erstaunt fest, dass ich schon schwerere grippale Infekte hatte, für die die Pharmaindustrie offenbar keinen angsteinflößenden Tiernamen finden konnte. Jedoch bin ich erfreut über die abschließende Bewertung unserer Grundschule mit Stand vom 05.11.2009:

Anhand der Krankheitszeichen eines fieberhaften Atemwegsinfektes kann man nicht immer zweifelsfrei entscheiden, ob es sich um die Neue Grippe handelt oder um eine normale (saisonale) Grippe oder um einen einfachen grippalen Infekt. Dies ist auch nicht zwingend notwendig.

Genau, weil es eben vollkommen wurscht ist.

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Nachtrag zum verregneten Domino-Day im Fernsehen

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Das Fernsehen und die Inszenierung des 9. November. Im Tagesspiegel finden sie dazu einen tollen Beitrag von Rüdiger Schaper.

„War es Marx, der gesagt hat, dass sich die Tragödie als Farce wiederholt? Und wenn das stimmen sollte, dann wäre die nächste Frage, als was sich ein friedlicher Umsturz wiederholt.

Nun, das ZDF weiß Antwort. Im Fernsehen kennt man sich mit Wiederholungen aus. Sie sind das Rückgrat der Programmstruktur. Marx konnte noch nichts ahnen von der Revolution im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit.

Im ZDF hat sich am Montagabend der Fall der Berliner Mauer als Außenwette wiederholt. Allerdings unter Sauwetterbedingungen. So viel Schirmdamen und -herren sah man nie. Angela Merkel machte ein Gesicht wie zwanzig Jahre Regenwetter. „Der Himmel weinte vor Freude“, titelte ein Boulevardblatt, das sich gern in den Feldherrenmantel der Geschichte hüllt. Wetten, dass die Grenze verschwindet? Man durfte noch einmal mitzittern. Den Part von Günter Schabowski, der damals in der Ursendung das Geschehen moderierte, übernahm Thomas Gottschalk, der letzte Quotenbringer. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender leiden unter Zuschauerschwund, wie einst das SED-Regime.“

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Man steht einfach nur fassungslos vor dieser Regierung

Geschrieben von:

Ich weiß gar nicht mehr, was ich zu diesem Scheiß, den die selbsternannte Volkskanzlerin heute im Bundestag als Regierungserklärung angeboten hat noch schreiben soll. Wenn es nun immer noch jemanden gibt, der nicht merkt, dass diese Regierung und ihre Chefin ahnungslos, konzeptlos und nichtssagend durch die Legislaturperiode stolpern will, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Nach der Ansprache heute ist vor allem auch klar, warum die Merkel ihre Regierungserklärung auf den Tag nach dem freudigen Domino-Day legte. Dieses ganze Geschwafel von Freiheit und die mittlerweile schon peinlich wirkende Instrumentalisierung des Mauerfalls treibt einen immer häufiger zur Kotzschüssel, obwohl gar nichts mehr drin ist, im dauerdrehenden Magen.

Ich verstehe auch nicht, wie diese Regierungschefin mit ihrer gequirlten Redescheiße auch noch durchkommt. „Glanzlos wie selten“, kommentiert die FAZ zwar in der Überschrift, doch dann im ersten Absatz mal wieder eine anbiedernde Bewunderung.

„Angela Merkels dramaturgisches Talent beeindruckt. Nur ihr gelingt es, zwischen der (Wieder-)Wahl zur Bundeskanzlerin und der pflichtgemäßen Regierungserklärung sich in Washington von den vereinigten Abgeordneten und Senatoren und in Berlin von den versammelten europäischen Staats- und Regierungschefs feiern zu lassen – und ihren ostdeutschen Landsleuten auch noch das Gefühl zu geben, endlich als die eigentlichen Schöpfer der deutschen Einheit anerkannt zu werden. Nach einem solch virtuosen Zwischenspiel fällt es nicht mehr ins Gewicht, dass das Kanzler-Pflichtprogramm im Bundestag glanzlos wie selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik ablief.“

Ich kann es nicht verstehen. Noch schlimmer der Spiegel-Kommentar.

„Angela Merkel demonstriert mit ihrer Regierungserklärung vor allem eines: Entschlossenheit. Sie inszeniert sich als Krisen-Kanzlerin – und macht Anleihen bei Helmut Schmidt. Doch die Macher-Strategie ist in Gefahr.“

Ich kann es nicht verstehen. Auch nicht bei der Zeit.

Merkel gibt die Reformerin light

Angela Merkel bleibt in ihrer Regierungserklärung sehr vage. Und doch könnte sie als schwarz-gelbe Kanzlerin für mehr Veränderung sorgen als viele glauben.“

Ich kann es einfach nicht verstehen. Das waren nur die ersten drei Kommentare, die GoogleNews auf das Stichwort Merkel ausspuckte. Etwas dahinter ein kritischerer Kommentar vom Stern.

Worthülsen en masse

Wie sieht die Politik von Schwarz-Gelb aus? Wer sich von der Regierungserklärung konkrete Antworten erhofft hatte, wurde enttäuscht. Angela Merkel bleibt bei ihrer Vernebelungstaktik.“

Vernebelungstaktik ist genau das richtige Wort. Etwas Greifbares war mal wieder nicht dabei. Eher etwas Verräterisches, wie Oskar Lafontaine erneut scharfsinnig feststellte. Merkel verwendete nämlich die neue NATO-Formulierung vom „Zugriff auf Rohstoffe“, um zu erklären, was sie unter einer Bewältigung der Krise eigentlich versteht.

„Mehr noch: Wir alle müssen verstehen, dass es um weit mehr geht als nur um die Bewältigung der Folgen der Krise in unserer eigenen Volkswirtschaft. Nein, die Karten werden weltweit neu gemischt. Das und nichts anderes ist die Dimension der Krise. Weltweit werden die Karten neu gemischt. Da gibt es eben keine angestammten Marktanteile und Positionen. Wer wird sich den Zugriff auf Rohstoffe und Energiequellen sichern? Wer lockt Investitionen aus anderen Teilen der Welt an? Welches Land wird zum Anziehungspunkt für die klügsten und kreativsten Köpfe?“

Quelle: Vorläufiges Protokoll der 3. Sitzung vom 10. November 2009, Deutscher Bundestag

Das ist schon ein starkes Stück, einen Tag nach der Heuchelei über die Bedeutung einer friedlichen Revolution für die Zukunft. Volker Pispers würde auf Merkel antworten und sagen, dass es der deutschen Regierungschefin offenbar nicht mehr ausreicht, nur die eigenen Rohstoffe und Energiequellen zu sichern, sondern auch jene, die ihr und uns gar nicht gehören. Man könnte Frau Merkel in diesem Punkt auch so verstehen, als wollte sie sagen, dass wir uns künftig auf eine dauerhaft kolonialistisch anmutende Außenpolitik einstellen sollten. Lafontaine warnte in seiner Rede ausdrücklich davor, dass sich Deutschland in solche Kriege zur Sicherung von Rohstoffquellen einspannen lassen könnte.

Bitte die ganze Rede anhören.

Lafontaine bringt mal wieder auf den Punkt, was wirklich geboten wäre. Die Kanzlerin aber begnügt sich mit Allgemeinplätzen, die sie absondern dürfe, während die faktische Kontrolle nach wie vor bei den Akteuren auf den internationalen Finanzmärkten liege, die bestimmen würden, wohin es politisch in diesem Land gehe. Merkel sprach davon, ihre Regierung wolle die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise überwinden. Lafontaine entgegnet deutlich, dass es nicht um die Bewältigung der Folgen gehen könne, wenn man sich gleichzeitig davor verschließe, den Ursachen der Krise auf den Grund zu gehen und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Stattdessen sollten die Bürger ihr Verhältnis zum Staat überdenken. Eine bodenlose Unverschämtheit von einer Frau, die es einen Tag zuvor noch toll und würdig fand, dass Menschen genau das nicht taten und sogar eine allesversperrende Mauer überwanden, um falsche politische Verhältnisse zu beseitigen. Die Bundeskanzlerin sollte nicht anschließend nach dem Anschluss an eventuelle Analysen Konsequenzen aus etwas ziehen, das sie nachweislich selbst mit verursacht hat, sondern konsequenterweise sofort zurücktreten und ihr Schreckenskabinett gleich mitnehmen. Ich kann gar nicht verstehen, warum sich in der Bevölkerung kein Protest regt. Es ist doch aller höchste Zeit.

Écrasez l’infâme!

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Ich will ja die Feierlaune nicht verderben, aber es gibt wichtigere Nachrichten

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Den ganzen Tag wird nun schon vom heiteren Tag des Mauerfalls berichtet, obwohl das Wetter wirklich beschissen ist. Die Volkskanzlerin stand in der Bornholmer Straße ziemlich im Regen. Das konnte man auf mindestens vier Kanälen gut erkennen. Ich habe zum „glücklichsten Tag der jüngeren deutschen Geschichte“ bereits gestern etwas geschrieben. Wenigstens der Bundeshorst erinnerte auch daran, dass der 9. November 1989 mit dem 9. November 1938 untrennbar verbunden ist. Den „Tag der Freude“ wollte er sich aber nicht ausreden lassen und behauptete, die deutsch-deutsche Teilung hätte vor allem deshalb überwunden werden können, „weil wir Deutsche die nötigen Lehren aus unserer Geschichte zwischen 1933 und 1945 gezogen haben.“

Darüber lässt sich streiten. Die Franzosen waren zunächst einmal nicht der Auffassung, als hätten die Deutschen ihre Lehren gezogen und wollten der Wiedervereinigung nicht zustimmen. Erst unter der Bedingung, die Stärke der Bundeswehr auf 370.000 Soldaten zu reduzieren, gab François Mitterrand in den Zwei-plus-Vier-Gesprächen sein Einverständnis. Und Großbritannien gab seine Zustimmung erst, nachdem klar war, dass Deutschland auch die Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze anerkennen würde. In Kohls 10-Punkte-Programm war davon nämlich noch keine Rede.

Überhaupt findet am heutigen Tag und im Vorfeld viel Verklärung statt. Vor allem die Konservativen stilisieren einmal mehr ihre zufällige geschichtliche Anwesenheit zu einer heldenhaften Stunde empor, obwohl es gerade die Union und namentlich Franz-Josef Strauß war, die den wirtschaftlichen Niedergang der DDR durch großzügige finanzielle Hilfen verhinderten und das ideologisch immer bekämpfte System in seinem Bestehen somit wissentlich verlängerten. Aber sei es drum. Die Volkskanzlerin griff gleich zu großen Worten und forderte eine neue globale Weltordnung ein, unter der die Nationalstaaten nach und nach aufgehen sollten.

Das würde dem ostdeutschen Mädsche wohl prima in den Kram passen. Denn so müsste sie nicht mehr fürchten, der politischen Unfähigkeit doch noch überführt zu werden, sondern könnte unter dem Verweis auf das globale Ganze gemütlich ihrer Rolle als beliebte Überdeutsche nachgehen, die zwischen den internationalen Regierungspalästen hin und her jettet. Den wahrhaft Mächtigen in diesem Land wäre das sehr angenehm. Die Allianz AG müsste zum Beispiel nicht erklären, warum sie heute für das dritte Quartal einen Überschuss von 1,3 Mrd. Euro ausweist, obwohl wir in einer sehr tiefen Krise stecken.

Lesen sie mal den Eingangssatz des heutigen Berichts dazu im Handelsblatt:

Befreit von der Dresdner Bank zeigt die Allianz operativ Stärke. Im dritten Quartal übertraf Europas größter Versicherungskonzern mit einem Überschuss von 1,3 Mrd. Euro die Erwartungen der meisten Analysten.

Nun raten sie mal, wer die Allianz von der Dresdner Bank befreit hat? Richtig. Sie waren das mit ihrem Geld und Merkel hat für sie stellvertretend ihre Zustimmung erteilt.

Oder haben sie gelesen, dass die Bundesregierung Merkel I bereits im August darüber Bescheid wusste, dass General Motors Opel behalten will, aber heute so tut, als sei sie von der Entscheidung der Amerikaner überrascht worden (siehe The Economist)? Kennen sie auch die spezielle Rolle des feinen Herrn zu Guttenberg, der in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister dafür sorgte, dass sich General Motors den Deal mit Magna noch einmal durch den Kopf gehen ließ (siehe Spiegel Online)? Und wussten sie, dass immer mehr Experten mit einem rassanten Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen (siehe Handelsblatt)?

Mich würde brennend interessieren, wie die neue Bundesregierung zu diesen aktuellen Fragestellungen Position bezieht. Als ich hörte, dass das neue Wachstumsbeschleunigungsgesetz, welches heute im Kabinett verabschiedet wurde, bereits als Konjunkturprogramm bezeichnet wird, habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn man das Bundeskabinett hinter einer Mauer einsperren würde. Verdient hätten es einige ja wohl.

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Allgemeine Vergesslichkeit: Am 9. November fiel doch nicht nur die Mauer

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Vor gut zwanzig Jahren hatte der Dicke im Bundekanzleramt einen riesen Bammel davor, den 9. November als nationalen Feiertag und Tag der Deutschen Einheit auszurufen. Damals erinnerte man sich noch daran, dass der 9. November, ein wirklich deutscher 9/11 war. Heraus kam dann der 3. Oktober, mit dem keine Sau, außer vielleicht Dr. Wolfgang Opfer-Schäuble, etwas verbindet. Die Verlegenheitslösung 3. Oktober kam nur deshalb zu Stande, weil man sich davor fürchtete, am 9. November nicht nur der friedlichen Revolution feierlich gedenken zu können, sondern auch mit dem Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923 und vor allem der Reichspogromnacht von 1938 an die tiefste Schattenseite der deutschen Geschichte miterinnern zu müssen. Die Wahl des 3. Oktobers war aus meiner Sicht ein Akt der Feigheit vor der wahren deutschen Geschichte.

Nun aber, 20 Jahre nach dem „Mauerfall“, scheint die problematische Debatte von damals längst verschwunden zu sein. Seit gut einer Woche hört man nur noch etwas über den 9. November als den Tag der friedlichen Revolution. So als ob die Geschichte erst 1989 begonnen hätte. Den ganzen Sonntag wird von den Vorbereitungen in Berlin zum morgigen Jahrestag berichtet. Dagegen gibt es kein einzigen Hinweis auf die Geschichte des 9. November 1938, als der Mord an den Juden zum läppischen Zeitvertreib einer ganzen Gesellschaft wurde. Dafür erleben wir morgen in Berlin einen heiteren Domino-Day, ganz nach dem Motto, aus unsere Geschichte können andere noch viel lernen.

Besonders widerlich tut sich da die christliche Kirche hervor, die für sich einen Teil der friedlichen Revolution in der DDR beansprucht. In der Wochenendausgabe der Leinezeitung, ein Beiblatt zur Neuen Presse Hannover sowie der Hannoverschen Allgemeinen, lese ich einen Beitrag vom Superintendenten des Kirchenkreises Neustadt-Wunstorf Michael Hagen. Sein Wort zum Sonntag ist mit der Überschrift „Richtige Zeit, um Mauern zu überwinden“ versehen. In dem Text ruft er die konfliktbeladene Welt dazu auf, sich an der gloreichen deutschen Geschichte des 9. November 1989 ein Beispiel zu nehmen.

„Der gewaltfreie Verlauf dieser friedlichen Revolution auf den Straßen und Plätzen der DDR hatte etwas mit der Friedensarbeit der Kirchen zu tun. Sie war eine Wegbereiterin der friedlichen Revolution der Kerzen und Gebete.

Vor dem Hintergrund des Mauerfalls vor 20 Jahren ruft die Ökumenische Friedensdekade in diesem Jahr dazu auf, den Blick auch auf die heute weltweit bestehenden Mauern zu richten. Mauern, deretwegen auch heute Menschen ausgegrenzt und isoliert werden. Da sind zum Beispiel die Mauern zwischen dem besetzten Westjordanland und Israel, zwischen den USA und Mexiko, zwischen Nord- und Südkorea, auf Zypern oder in der Westsahara. Aber auch die unsichtbaren Mauern, Mauern um die Festung Europa, zwischen Arm und Reich und in unseren Köpfen, richten viel Leid an. Doch sie müssen nicht bleiben. Das hat uns die Geschichte des deutschen Mauerfalls gelehrt.

Deutschland als Lehrmeister in Sachen Vorurteilsüberwindung und Integration. Dieses realitätsferne pathetische Gehabe muss man erst einmal verdauen und vielleicht noch einmal daran erinnern, dass erst kürzlich der neue deutsche Rassenbeauftragte Thilo Sarrazin (SPD) von der Bundesbank meinte, dass ein Großteil der arabischen und türkischen Einwanderer weder integrationswillig noch integrationsfähig sei und rund 51 Prozent der Deutschen dieser Aussage in einer emnid-Umfrage auch noch zustimmten.

Am morgigen 9. November täte uns allen eine Erinnerung an den Mechanismus der „pathischen Projektion“ gut, von dem wir wirklich aus gesellschaftlicher Erfahrung wissen, dass die Menschen nur ihr eigenes Spiegelbild wahrnehmen,

„anstatt das Menschliche gerade als das Verschiedene zurückzuspiegeln. Der Mord ist dann der Versuch, den Wahnsinn solcher falschen Wahrnehmung durch größeren Wahnsinn immer wieder in Vernunft zu verstellen: was nicht als Mensch gesehen wurde und doch Mensch ist, wird zum Ding gemacht, damit es durch keine Regung den manischen Blick mehr widerlegen kann.“ (Theodor W. Adorno, Menschen sehen dich an, in: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.)

Der Bielefelder Konfliktforscher Professor Wilhelm Heitmeyer hat in seiner Langzeitstudie über die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit festgestellt, dass durch geschichtslose Kampagnen über Leitkultur, Nationalstolz und falsche identitätsstiftende Happenings, wie den morgigen Mauerfalltag zum Beispiel die Grundsteine gelegt werden für wieder anwachsende Fremdenfeindlichkeit in diesem Land. Das Ganze korreliert dann mit den Abstiegsängsten der Menschen, die ihren Hass und ihre Wut über ihre persönliche wirtschaftliche Situation auf jene Gruppen der Gesellschaft lenken, die außerhalb zu stehen scheinen. Statt die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sie aus ihren Ämtern zu jagen und sie anzuklagen, folgt die befriedigende Verlagerung von Schuld auf die an den Rand gedrängten Minderheiten, die sich nicht weiter wehren können.

Noch einmal Adorno:

„Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das sie produziert, zu verbieten, und ein gerader Weg führt vom Evangelium der Lebensfreude zur Errichtung von Menschenschlachthäusern so weit hinten in Polen, daß jeder der eigenen Volksgenossen sich einreden kann, er höre die Schmerzensschreie nicht. Das ist das Schema der ungestörten Genußfähigkeit.“ (Aufforderung zum Tanz, in: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.)

Das freudige Gedenken an den Mauerfall soll nicht etwa verboten werden. Ganz im Gegenteil. Es sollte nur auch dazu führen, zu begreifen, welchen Zweck solche Feierlichkeiten aus der Sicht der Herrschenden erfüllen. Die selbsternannte „Kanzlerin aller Deutschen“ hat ja kein Interesse daran, eine Debatte der Aufarbeitung in Gang zu setzen, die sich mit der Geschichte einer Gesellschaft befasst, die nicht immer friedlich war. Ihr Interesse liegt ja vornehmlich darin, die Folgen der ökonomischen Krise so zu beherrschen, dass ihr Fehlverhalten und dass ihrer Regierungen ungesühnt bleibt. Die Story vom Mädsche aus dem Osten, welches zur Kanzlerin eines vereinigten Deutschlands aufstieg, dient dabei nur als hübscher Rahmen, der sich passgenau um die Chiffre des 9. November 1989 zu legen scheint und den Eindruck einer perfekten Symbiose zu vermitteln sucht, der die Menschen auch künftig vertrauen sollen.

Die weiter zunehmende Spaltung der Gesellschaft aber, die ökonomisch begründet ist, bleibt politisch im Verborgenen. Zur Kompensation der Verwerfungen bedienen sich die Mächtigen völkischer Symbole, die ganz gezielt die Ausgrenzung von Minderheiten in Kauf nehmen und gegen die sich dann der Zorn der ökonomisch vom Abstieg bedrohten entfalten kann. Ein Mechanismus eben, der nicht neu ist und an den man sich an einem 9. November doch erinnern sollte, um zu begreifen, dass es ein Unterschied gibt zwischen dem Gedenken der schuldig Gewordenen und ihrer Nachkommen sowie der Opfer und ihrer Nachkommen. An die Adresse des oben zitierten Superindendenten gerichtet, sollte man an dieser Stelle an den Aufruf des Arbeitskreises „Israel und Kirche” der Evangelischen Kirche Hessen Nassau aus dem Jahre 2005 erinnern, in dem ein offizieller kirchlicher Gedenktag am 9. November gefordert wurde.

Der 9. November ist durch keinen anderen Gedenktag zu ersetzen. Am 27. Januar, dem staatlichen Gedenktag, wird aller Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht.

Das Gedenken der schuldig Gewordenen und ihrer Nachkommen unterscheidet sich vom Gedenken der Opfer und ihrer Nachkommen. Es muss Gewissen treffendes Gedenken sein, sonst droht die Gefahr, der eigenen Geschichte auszuweichen, indem man sich unberechtigt auf die Seite der Opfer stellt.

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