Nachtrag zur Krawalldiplomatie

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Diese Woche bin ich der Frage nachgegangen, ob der Iran tatsächlich an der Bombe baut und wie man die Informationen der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) einordnen müsse. Nun ist das entsprechende Papier aufgetaucht, das belegen soll, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm fortführe. Und was soll man sagen. Kein normal denkender Mensch würde nach der Lektüre des IAEA-Berichts der abschließenden Einschätzung der Behörde zustimmen.

Der Bericht trägt den Titel:

Implementation of the NPT Safeguards Agreement and relevant provisions of Security Council resolutions in the Islamic Republic of Iran    

Er ist auf der Website der israelischen Zeitung HAARETZ veröffentlicht worden. Wie bei den Berichten der CIA zur weltweiten Gefahrenlage handelt es sich auch hier inhaltlich um Einschätzungen der IAEA. Kein einziger Beweis wird benannt, der die Schlussfolgerung rechtfertigen würde, der Iran unterhalte ein Atomwaffenprogramm. Gleich zu Beginn wird in dem Report nur von der “möglichen militärischen Dimension” eines iranischen Atomprogramms gesprochen und davon, dass der Iran gewissen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei.

5. This report addresses developments since the last report (GOV/2011/54, 2 September 2011), as well as issues of longer standing, and, in line with the Director General’s opening remarks to the Board of Governors on 12 September 2011, contains an Annex setting out in more detail the basis for the Agency’s concerns about possible military dimensions to Iran’s nuclear programme. The report focuses on those areas where Iran has not fully implemented its binding obligations, as the full implementation of these obligations is needed to establish international confidence in the exclusively peaceful nature of Iran’s nuclear programme.

Nur wird ganz deutlich, dass die IAEA aus diesem Versäumnis einen Vertrauensverlust konstruiert, den man sich konsequenterweise nur damit erklären will, der Iran wolle die Existenz eines geheimen Atomwaffenprogramms verbergen. Um diese Behauptung zu untermauern, wird in die Zeit vor 2003 zurückgegriffen – also jenem Zeitraum, in dem der Iran tatsächlich ein solches Programm unterhielt – und es wird unterstellt, dass das Programm in der Folge weiterbetrieben wurde.

45. The information indicates that prior to the end of 2003 the above activities took place under a structured programme. There are also indications that some activities relevant to the development of a nuclear explosive device continued after 2003, and that some may still be ongoing.

Besagte Anzeichen (indications) bleibt der Report aber schuldig. Bekannt ist, dass die Geheimdienste noch im Jahr 2007 der Auffassung waren, der Iran habe sein Waffenprogramm in 2003 eingestellt.

We judge with high confidence that in fall 2003, Tehran halted its nuclear weapons program.

We assess with moderate confidence Tehran had not restarted its nuclear weapons program as of mid-2007, but we do not know whether it currently intends to develop nuclear weapons.

Den Geheimdiensten lagen also nie Beweise vor, dass Teheran das Waffenprogramm wiederaufgenommen hätte. Mehr noch, die Geheimdienste haben immer wieder betont, dass sie nichts wissen. Auch in diesem Jahr.

CIA-Iran

Nun erklärt aber die IAEA, dass CIA und Co. etwas übersehen haben müssen. Ein starkes Stück. Aber in Wirklichkeit haben die Medien mehr gedichtet als berichtet und schlichtweg die Rhetorik des neuen IAEA Chefs Yukiya Amano übersehen, der mit Blick auf den Bau eines Sprengkopfes für eine Rakete nur von einer Möglichkeit und offenen Fragen sprach und nie von direkten Behauptungen und Beweisen.

Dabei stützt sich Amano erneut auf sog. Laptop-Dokumente, die angeblich von einem iranischen Computer stammen, den ein Unbekannter gestohlen und 2004 einem US-Geheimdienst übergeben haben soll. Darin sei eine Reihe von Zeichnungen von einer Rakete, die vielleicht einen Atomsprengkopf hätte tragen können, sowie Berichte über Tests mit hochexplosiven Sprengstoffen, die zur Zündung einer Atomwaffe hätten dienen können. Dieser Bericht wurde bereits von Amanos Vorgänger Mohammed el-Baradai verworfen und für unglaubwürdig gehalten. Nun ist er wieder da. Das ist die Neuigkeit.

Einige bezeichnen diese Dokumente als Fälschung. Das kann ich nicht beurteilen. Fakt ist jedenfalls, dass auf Grundlage dieser vermeintlichen Beweise und der Weigerung des Iran, dem Westen seine Annahme zu bestätigen, die gesamte Auseinandersetzung fußt. Wie bei Saddam im Irak wird einfach behauptet, du hast die Bombe, wir wissen es, gib es zu und wenn nicht, werden wir kommen und sie finden. Und wenn wir sie nicht finden, ist das auch nicht so schlimm. Dann können wir wenigstens die Demokratie einführen, 10 Jahre Brunnen bohren, Schulen bauen und Frauen befreien. 

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Irrtümliche Systemstörung

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Angela Merkel hat den Rumänen gestern ihre Hochachtung mit Blick auf deren Haushaltskonsolidierung und Reformanstrengungen ausgesprochen. Das Land will nun in den Euro, doch die Kanzlerin wiegelt vorerst ab:

Merkel sagte, sie habe «allergrösste Hochachtung», dass Rumänien so hart an der Haushaltskonsolidierung arbeite. «Auf die Dauer wird sich das auch für die Menschen in Rumänien auszahlen – aber ein leichter Weg ist es nicht.»

Quelle: NZZ

Man fragt sich bloß, welcher Weg der Kanzlerin vorschwebt. Der rumänische Staat ist gerade Mal mit 34,4 Prozent vom BIP verschuldet, Deutschland mit knapp 83 Prozent vom BIP. Die ursprünglich einmal eingeführte Maastricht-Grenze liegt bei 60 Prozent.

Interessant ist nun, dass Deutschland, obwohl deutlich höher verschuldet, fast gar keine Zinsen mehr auf neue Schulden zahlen muss und das Top-Rating AAA genießt. Die Rumänen müssen dagegen für die eigenen Obligationen mit die höchsten Zinsen innerhalb der Europäischen Union berappen (weit über 7 Prozent), falls sie ihre Anleihen überhaupt loswerden mit dem Rating BBB.

Woran liegt’s?

An der öffentlichen Verschuldung, wie vielfach behauptet, kann es ja nicht liegen. An Nokia übrigens auch nicht. Die haben sowohl Deutschland als auch Rumänien den Rücken gekehrt, als die staatlichen Bestechungsgelder, pardon, Subventionen aufgebraucht waren. In der Realität gibt es keine Staatsschuldenkrise, sondern eine seltsame Systemstörung, bei der deutsche Schulden gut sind und die der anderen nicht.

Die Absurdität des Finanzsystems konnte gerade gestern wieder studiert werden. Ein angeblich technischer Defekt habe bei der Ratingagentur Standard & Poor’s dazu geführt, dass Abonnenten eines Newsletters fälschlicherweise über die Herabstufung Frankreichs informiert wurden. Folglich reagierten die Börsen.

In den Nachrichten heißt es nun, dass es sich um eine irrtümliche Herabstufung handele. Dabei ist doch nur die Mitteilung irrtümlich versendet worden. Irgendein Analystenhirn muss aber den Inhalt der Nachricht bewusst verfasst haben. Möglicherweise war ein anderer Zeitpunkt für den Rundbrief vorgesehen und der eifrige Mitarbeiter hatte statt auf speichern, versehentlich auf senden gedrückt.

Wie gut, dass die jugendlichen Schnösel in den Ratingagenturen nicht auch an den Schaltpulten militärisch relevanter Raketenabschussanlagen sitzen. Man stelle sich nur vor, im kalten Krieg hätte ein Soldat irrtümlich auf den roten Knopf gedrückt und die Regierung hinterher von einem technischen Defekt gesprochen. Die Märkte hätte das wahrscheinlich beruhigt. Nur wäre keiner mehr da gewesen, den das hätte interessieren können.

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Der Papa wird’s schon richten

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Papademos soll Papandreou ablösen. Irgend ein Papa wird’s schon richten. Vorzugsweise ein Banker, dem die Märkte vertrauen. Interessanterweise gilt der neue Papa als Vorzeigemensch und Finanzexperte. Letzteres ist sogar durch hohes Ansehen dokumentiert. 

Papademos

Quelle: Tagesschau (21:45 Uhr, 10.11.11)

Allerdings fehlt an dieser Stelle auch bei der ARD die Erklärung, warum seine Beteiligung am Beitritt zur Eurozone ihm nicht als Makel ausgelegt wird, sondern offenbar als Qualifikationsnachweis. Gehört es doch inzwischen zum schlechten Ton, Griechenland permanent vorzuwerfen, sich den Euro mit falschen Zahlen erschlichen und sich somit in den exklusiven Club hineingemogelt zu haben. Feynsinn stellt die Fragen, die deutschen Qualitätsjournalisten offenbar nicht einfallen wollten.

Wäre es nicht angebracht, an dieser Stelle aufzumerken und die eine oder andere Frage zu stellen? Was wusste Herr Papademos über den Zustand der griechischen Wirtschaft und des Staatshaushalts vor der Euro-Einführung? Kannte er die Lage? Wie konnte es dann zur Aufnahme Griechenlands in die Eurozone kommen? Oder wusste der Mann nichts von der realen Lage? Was taugt er dann? Und was ist das für eine “Demokratie”, wo einer die Regierung führt, der ganz offensichtlich andere Interessen vertritt als die seines Volkes?

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Krawalldiplomatie: Baut der Iran wirklich an der Bombe?

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Sind sie auch davon überzeugt, dass der Iran an einer Atombombe baut? Die korrekte Meldung lautet ja, dass die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) laut einem Bericht der “Washington Post” über Beweise verfügen würde, dass der Iran mit Hilfe von ausländischen Spezialisten an der Entwicklung von Kernwaffen arbeite.

Natürlich legt die IAEA und auch die Washington Post keine Beweise vor. Man beruft sich wie immer auf diplomatische Quellen.

Gemäß der Angaben der Geheimdienste von namentlich nicht genannten Ländern, die in den letzten Jahren bei der IAEO eingehen, habe ein gewisser „sowjetischer“ Spezialist für die Entwicklung von Waffen den iranischen Kollegen Ratschläge zur Ausarbeitung von Zündern gegeben, wie sie in der Kernmunition zur Initiierung der Spaltreaktion genutzt werden können.  

Quelle: RIA Novosti

Das muss genügen, damit alle durchdrehen. Dabei hat sich an der Einschätzung und der Faktenlage seit dem Jahr 2003 nichts geändert. Zu diesem Zeitpunkt waren vor allem amerikanische Sicherheitsbehörden zu dem Ergebnis gekommen, der Iran habe sein nukleares Waffenprogramm eingestellt.

Seitdem machen Gerüchte und Mutmaßungen die Runde. Vor einem Jahr stützte die IAEA ihre Annahmen auf Berichte der US-Geheimdienste, in denen aber wortwörtlich stand, dass keine Erkenntnisse vorliegen, aber die Größe von entsprechenden Anlagen es theoretisch ermögliche, waffenfähiges Uran anzureichern. Nun ist die IAEA schlauer und behauptet einfach, dass sie sich auf Angaben von gleich mehreren Geheimdiensten stütze, deren Namen man aber nicht preisgebe.

Die Amerikaner, die aufgrund dieser wagen Andeutung erneut mit dem Säbel rasseln, dürften wohl nicht zu den “namentlich nicht genannten Ländern” gehören und damit als Quelle ausscheiden. Denn in deren Geheimdienstberichten an den Kongress steht immer noch kein konkreter Beweis, der eine Anklage rechtfertigen würde.

In dem letzten mir bekannten Bericht der CIA zur weltweiten Bedrohungslage vom 10. März 2011 steht zum Thema Iran sinngemäß: Wir haben keine Ahnung, ob sich der Iran dazu entschließen wird Atomwaffen zu bauen.

CIA-Iran

Dabei beruft sich der Geheimdienst wiederum auf die IAEA, die einen Anstieg der installierten und verwendeten Zentrifugen zum Anreichern von Uran gezählt hat. Daraus schließen die Analytiker nun, dass der Iran aufgrund genügender Kapazitäten technisch in der Lage sei, eine Atombombe zu bauen. Aber diesen Vorwurf könnte man wahrscheinlich jedem Staat machen, der mittels Atomkraftwerken auf Kernenergie setzt und Strom erzeugt.

Außerdem ist es geradezu absurd, dass eine Wiener Behörde, die als Teil der UN fungiert mehr weiß als die CIA. Bekannt ist hingegen, dass der US-Geheimdienst Druck auf die IAEA ausgeübt hat, entsprechende Belege für ein Atomprogramm des Iran zu liefern. Der frühere Generaldirektor der IAEA und Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei weigerte sich aber beharrlich, die Existenz eines geheimen iranischen Atomwaffenprogramms zu bestätigen. Er warnte gar vor einem militärischen Eingreifen wie gegen den Irak, das auf Grundlage gefälschter Beweise erfolgte. Von der US-Regierung wurde er wohl auch deshalb systematisch belauscht.

Nun scheint es aber so, als würde das Zusammenspiel zwischen US-Regierung und IAEA wieder bestens funktionieren. Es macht sich natürlich gut, wenn eine Behörde außerhalb der US-Sicherheitskreise nebulöse Warnungen formuliert. Ob die nun stimmen oder nicht, spielt zunächst keine Rolle. Die festgefahrenen Verhandlungen zwischen Iran und der sogenannten Sechsergruppe sollen anscheinend wieder in Schwung gebracht und die Position des Westens mit unfairen Mitteln verbessert werden.

Denn bisher lautet der Kompromiss mit den Vermittlerstaaten Brasilien und Türkei, dass der Iran einen Teil seines Uranbestandes (1200 Kilogramm leicht angereichertes Uran) im NATO-Land Türkei zwischenlagern und aufbereiten lassen soll. Im Gegenzug hätte die Türkei Brennstäbe für einen iranischen Forschungsreaktor geliefert. Ungeachtet dessen wollte Iran aber auch weiter an einer eigenen Urananreicherung festhalten, was genau betrachtet auch verständlich wäre, falls der Westen sich dazu entschließen sollte, den Iran um das herausgegebene Uran zu bescheißen. Eine Art “Rückversicherung” sozusagen.

Der Westen sieht das natürlich anders und vermutet weiterhin ein geheimes Atomwaffenprogramm. In der Folge drehte sich die Diskussion dann auch um den Punkt, dass der Iran von der eigenen Anreicherung Abstand nehmen müsse, um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, er wolle eine Bombe bauen, zu entkräften. Und weil die Vorwürfe des Westens bei näherer Betrachtung haltlos sind, müssen Beweise her, die zu den bekannten Fakten passen.

Daher auch die Geschichte eines “Spezialisten”, der iranischen Kollegen Ratschläge zur Ausarbeitung von Zündern gegeben haben soll. Dumm nur, dass ein iranischer Kollege, der mit dieser Information etwas hätte anfangen können, der 35-jährige Wissenschaftler und Universitätsdozent Dariusch Rezaie, vor dem Kindergarten seiner Tochter durch Schüsse zweier Täter im Sommer diesen Jahres getötet wurde. Und auch andere Wissenschaftler, die dem iranischen Atomprogramm zugerechnet werden, fielen Attentaten zum Opfer.

Es stellt sich also die Frage, in wie fern vom Iran Gefahr für die Sicherheit in Nahost und für die Welt ausgeht. Bei näherer Betrachtung, der sich unsere Medien natürlich einmal mehr verweigern, dürften zumindest Zweifel an der offiziellen Darstellung angebracht sein.

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TV-Tipp: Neues aus der Anstalt

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Der graue Monat November hat gerade erst begonnen, die Nachfolge von Thomas Gottschalk ist noch nicht entschieden, doch heute Abend schon lichtet sich der Nebel im ZDF. Pelzig und Priol werden in Neues aus der Anstalt eine Antwort geben. Wetten, dass..? ließe sich doch prima mit dem Koalitionsausschuss zusammenlegen. Moderieren könnten dann gleich drei sehr bekannte TV-Gesichter. Angela Merkel, Philipp Rösler und das bayerische Urgestein Horst Seehofer. Da wären alle Altersgruppen abgedeckt. Die ehemalige Stadtwette würde zur Landeswette umfunktioniert und Ratingagenturen könnten einen Tipp abgeben.  

Unterstützt werden sie dabei von den Kabarettisten Andreas Rebers, Hagen Rether und Ingo Appelt.

Neues aus der Anstalt – am Dienstag,

8. November 2011, um 22.15 Uhr im ZDF!

Quelle: ZDF

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Das Letzte vom Regierungssprecher Seibert

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War gerade bei Einweihung d. neuen SPIEGEL-Gebäudes in HH. Sehr selbstbewusste Architektur für eine herausragende Marke im dt. Journalismus.

Quelle: Twitter

Na, wenn es sonst nichts zu berichten gibt. Wirklich herausragend wie sich der Regierungssprecher und Ex-ZDF-Nachrichtensprecher von einer Verpackung blenden lässt. Aber nicht nur er, auch namhafte Politiker rührten ordentlich Schleim an. Vom Herz des kritischen, unabhängigen und innovativen Journalismus war die Rede, das weiterhin in Hamburg schlage. Die geografische Entfernung zu Berlin wurde mit inhaltlicher Distanz gleichgesetzt. Dem Magazin wurde ein Überblick über das Geschehen bescheinigt, bei dem in Ruhe analysiert und eingeordnet werde. Kurzum: Qualitätsjournalismus eben.

Oh je, es gab doch mal Zeiten, da wurden die Spiegelräume durchsucht und Haftbefehle wegen Landesverrats ausgestellt. Von Abgründen war die Rede. Heute stehen die Nichtskönner aus der Politik (Steinbrück, Scholz und Co.) Seit an Seit mit Journalisten, die kaum besser sind, als ihre Kollegen bei Bild. Und das Schlimme ist, dass man sie Händchen haltend zusammen sehen kann, weil das Gebäude so transparent geraten ist.   

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Fundstück: Jauch(e) im Ersten

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Heute Morgen bin ich über die Seiten des Handelsblattes gesurft und, mir die Augen reibend, auf folgende Meldung gestoßen.

Jauch-Talk

Quelle: Handelsblatt

Ich dachte zunächst, mit Jauch im Ersten gehe es nicht mehr lange gut. Dann musste ich aber zu meinem Bedauern feststellen, dass der Satz aus dem Off auf die Lebensrealität einer griechischen Familie gemünzt war, die trotz qualifizierter Ausbildung, nicht mehr wisse, ob sie eine Perspektive habe oder nicht.

Lustig ist in diesem Zusammenhang der zitierte Satz, von der als Wirtschaftsjournalistin bezeichneten Anja Kohl (die Frau hat Germanistik, Publizistik und Politikwissenschaft studiert), die eigentlich bloß den Börsenquatsch im Ersten moderiert. Sie habe gefragt:

„Wer soll denn in Zukunft die Staaten finanzieren?“ – kein privater Investor sei bald mehr bereit, das Risiko zu tragen.

Schöner kann man die eigene Inkompetenz nicht in Worte fassen. Frau Kohl hält sich und ihr Tun noch immer für etwas Besonderes, hat aber überhaupt keine Ahnung. Die Frage müsste nämlich lauten: Wen sonst, als die Staaten, sollen private Investoren finanzieren? Die Bewohner des Mondes oder des Mars? Hätte sie etwas von Marktwirtschaft verstanden, wüsste sie auch, dass der Staat in diesem System als Akteur auf den Finanzmärkten eine ganz zentrale Rolle spielt. Ohne ihn als Schuldner funktioniert der ganze Kapitalismus nämlich nicht.

Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass trotz enormer öffentlicher Verschuldung die Anleihen der großen Wirtschaftsmächte USA, Deutschland und Japan nie so gefragt waren wie heute. Was reitet die Investoren da bloß? Vielleicht hat Frau Kohl das mit dem “Risiko” nicht richtig zu Ende gedacht und vergessen, die Spekulation als lohnendes Geschäftsmodell ihrer Zunft in ihre Überlegungen miteinzubeziehen.

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Vermeintliche Heldengeschichte: Weidmann rettet Unabhängigkeit der Bundesbank

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Im Nachklapp des G-20-Gipfels wurde bekannt, dass Bundesbankpräsident Jens Weidmann den Zugriff auf deutsche Währungsreserven verhindert habe. Deutschlands Haftung für den Eurorettungsschirm sollte mittels einer Zweckgesellschaft, die im Namen des IWF auf die Reserven der Notenbanken aller Mitgliedstaaten hätte zugreifen dürfen, aufgestockt werden. Damit hätte die Unabhängigkeit der Bundesbank gelitten.

Weil aber diese Unabhängigkeit zum Dogma aller Marktgläubigen gehört – sie muss um jeden Preis verteidigt werden – hat der Bundesbankpräsident und Ex-Kanzlerinnen-Chefberater Jens Weidmann Alarm geschlagen.

Als EU-Ratspräsident Herman van Rompuy und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy den Plan vortrugen, schlug Bundesbank-Präsident Jens Weidmann Alarm. Nach SPIEGEL-Informationen alarmierte Weidmann Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Dann erst teilte Merkel den Kollegen in Cannes mit, dass die autonome Bundesbank bei der Freigabe der Sonderziehungsrechte nicht mitmachen würde.

Zunächst einmal ist es sehr amüsant, dass die Unabhängigkeit der Bundesbank offenbar an dem Verhältnis zwischen Merkel und Weidmann besonders erkennbar sein soll. Zweitens ist die sprichwörtliche Unabhängigkeit der Bundesbank keinesfalls sakrosankt, da sie lediglich durch ein Bundesgesetz geregelt wird, das mit einfacher Mehrheit gekippt werden könnte. Drittens ist es ja gerade die dogmatisch beschworene Unabhängigkeit der Zentralbanken, die die Staaten dazu zwingt, sich dem Diktat der Finanzmärkte unterzuordnen.

Denn die Staaten übernehmen vollkommen irrational die Rolle gewöhnlicher Schuldner bei den privaten Geschäftsbanken, von denen sie sich gerade das Geld leihen, welches sich diese wiederum von den unabhängigen Zentralbanken erst besorgen müssen.

Was bei der Heldengeschichte um Weidmann mal wieder völlig vergessen wird, ist die Tatsache, dass sich die deutsche Regierung mit Händen und Füßen gegen eine direkte Finanzierung der Staaten durch die Zentralbanken wehrt. Und der einzige Grund, mit dem sie das tut, ist die absurde Warnung vor einer Inflation. Staaten dürfen niemals Hand an die sogenannte Notenpresse legen. Wenn es aber private Hände in Gestalt der Geschäftsbanken tun, ist das natürlich etwas anderes.

Irrigerweise glaubt die Politik in Deutschland noch immer, dass nur private Hände sinnvoll mit geliehenem Geld umgehen können und an der richtigen Stelle investieren würden. Die Realität zeigt aber, dass gerade nichts größer ist, als die Gefahr vor einer Rezession. Dank der Politik, die Sparprogramm um Sparprogramm erlässt und die Schuldenbremse für eine große Reform hält, wissen die privaten Hände gar nicht mehr, wo sie eigentlich noch investieren sollen. In der Realwirtschaft bietet sich keine Anlagemöglichkeit und selbst auf den Kapitalmärkten macht sich die Panik breit.

Es muss doch einen Grund geben, warum die Staatsanleihen der großen Wirtschaftsnationen gerade so begehrt sind, dass Bieter immer weniger Zinsen verlangen, bloß um den Zuschlag zu erhalten und Gläubiger eines Landes wie Deutschland, USA oder Japan zu werden, obwohl deren öffentliche Verschuldung weit über den Vorgaben liegt, die sich die Politik als Obergrenze gesetzt hat.

Seltsamerweise spielt dann auch die Unabhängigkeit der Zentralbank keine Rolle, wenn sie aufgrund der sich abzeichnenden volkswirtschaftlichen Abkühlung die Zinsen senkt, wie es der neue EZB-Präsident Draghi gleich nach Amtsantritt getan hat. Dann sprechen aber alle wieder von Inflationsrisiken, die mit dieser Entscheidung verbunden seien. Nur wo soll so eine Inflation herkommen, wenn alle immer nur sparen und die Produktion von Waren und Dienstleistungen heruntergefahren werden muss, weil die Nachfrage wegbricht?

Natürlich liegt die aktuelle Teuerungsrate bei drei Prozent. Das ist verglichen mit den Lohnsteigerungen, die, wenn gewährt, darunter liegen auch ein Problem, weil die Kaufkraft immer weiter abnimmt. Von einer galoppierenden Inflation kann aber überhaupt keine Rede sein. Teurer werden zudem Waren, die auch nicht knapp, sondern der Spekulation auf den Märkten ausgesetzt sind. Mit ihnen lässt sich Geld verdienen. Sie werden auch zunehmend interessanter, wenn die Investitionsmöglichkeiten in der realen Wirtschaft abnehmen und die Zockerei ohne Regeln oder Schließung des Finanzkasinos fortgesetzt werden darf.

Nur darüber spricht kein Mensch. Zu schön sind die Heldengeschichten um Weidmann, Merkel und Co.   

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Oettinger auf halbmast? Er hat doch gesündigt

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Vor kurzem wollte EU-Kommissar Günther Oettinger die Flaggen von Schuldnerländern vor EU-Gebäuden auf halbmast setzen lassen. Das hätte zwar nur Symbolcharakter, aber auch einen hohen Abschreckungseffekt, meinte der CDU-Politiker via Bild-Zeitung. Mit den Zahlen muss man es schließlich so machen, wie Oettinger zu seiner Regierungszeit in Baden-Württemberg. Einfach nicht kommunizieren.

Auf Oettingers Wunsch hin sollen die Ergebnisse zur Berechnung von Stuttgart 21 unter der Decke gehalten worden sein, weil diese dem politischen Gegner und der Öffentlichkeit nur schwer hätten vermittelt werden können. Die Rede ist von Kosten zwischen mindestens 4,9 und wahrscheinlichen 6,5 Mrd. Euro. So genau wollte es der damalige Ministerpräsident Oettinger dann gar nicht mehr wissen und ordnete an, dass weitere Berechnungen zu unterbleiben hätten.

Das alles will der Spiegel erfahren haben. Weiter unten im Bericht heißt es in einer Anmerkung der Redaktion:

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Regierung Mappus habe die Berechnung verheimlicht. Tatsächlich war es aber die CDU-Regierung unter der Führung des Mappus-Vorgängers Günther Oettinger. Wir haben den Text entsprechend korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

In der Zeit als Oettinger Ministerpräsident war, hatte Mappus den Posten des CDU-Fraktionsvorsitzenden inne. Es ist schwer vorstellbar, dass der spätere Nachfolger Oettingers im Amt des Ministerpräsidenten, der seine Überzeugung für das Projekt S21 auch mit Gewalt durchsetzen ließ, keine Kenntnis von den Berechnungen der Beamten besaß.

Jedenfalls zeigt die Rechenpraxis unserer politischen Zahlenverdreher und Euroratgeber deutlich, dass einige es verdient hätten, persönlich auf halbmast gesetzt zu werden, um andere von einem ähnlichen Gebaren abzuschrecken. Ganz in Oettingers Sinne wäre das ja auch nur symbolisch gemeint.

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Wer sitzt am längeren Hebel?

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Diese Frage stellt sich, wenn man die Aussagen unserer Eurorettungsassistenten im Bundestag sortiert. Da heißt es einerseits, die Griechen hätten Vertrauen verspielt, weil sie mit dem bekannten “Winkelzug” das Volk in einer wichtigen Frage zu befragen, bloß Zeit schinden wollten. Die Griechen hätten die Geduld der Rettungsassistenten strapaziert, heißt es aus den hinteren Reihen von Union und FDP. Die gewonnene Vertrauensabstimmung habe noch keine Probleme gelöst.

Jetzt müssten zusätzliche Garantien her, an die weitere Hilfen geknüpft seien. Griechische Staatsunternehmen zum Beispiel könnten als Pfand hinterlegt werden. Andererseits behaupten dieselben Geister, dass eine Insolvenz Griechenlands gravierende Auswirkungen auf die ganze Welt haben würde und daher unter allen Umständen vermieden werden sollte.

Wenn das stimmen sollte, wieso sollte dann das griechische Volk darauf eingehen und sich Bedingungen diktieren lassen, wenn es die Welt in den Abgrund reißen könnte? Sitzt nicht der am längeren Hebel, der die Macht besitzt, über Wohl und Wehe aller zu entscheiden? Die Ankündigung, eine Volksabstimmung durchführen zu wollen, hat doch gezeigt, wie labil das marktgläubige System geworden ist, an dem alle hängen.

Ein Satz genügt, um die Welt der Gläubigen aus den Angeln zu heben. Die Frage ist doch wohl, ob es sich die Marktgläubigen leisten können, Hilfe zu verweigern, weil ihre Auflagen nicht umgesetzt werden. Darüber sollten die Griechen mal nachdenken, denen ja weitere Milliardengelder trotzdem  zugesagt wurden, obwohl sie nicht die Bedingungen von Troika, Schäuble, Merkel und Co. erfüllten. Je lauter politische Hinterbänkler aus Deutschland nach noch schärferen Vorgaben rufen, desto größer muss die Angst auf deren Seite sein, alles zu verlieren.

Und das man es der relativ kleinen griechischen Wirtschaft zutraut, die ganze Welt in den Abgrund zu reißen, zeigt doch nicht nur die Blödheit, mit der man es zu tun hat, sondern auch eine Möglichkeit, den Spieß nach Belieben umzudrehen und selbst Bedingungen zu stellen.

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