Die Koalition der großen Coups

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Alle schreiben, das Gabriel und der SPD ein großer Coup gelungen sei. Trotz ihres Wahldebakels habe die Parteispitze ein aus SPD-Sicht gutes Verhandlungsergebnis erzielt, das auch die Basis überzeugen konnte. Bei der Vergabe der Ministerposten ernten die Spitzengenossen ebenfalls staunende Blicke. Die Union steht zu Beginn der 3. Großen Koalition als vermeintliche Verliererin da. Doch verlieren wird und kann auch nur die SPD.

Das Regieren unter Angela Merkel ist zu einem quälenden Prozess verkommen. Entscheidungen werden nicht getroffen, sondern so lange hinausgezögert, bis es nicht mehr anders geht. Warum sollte die SPD daran etwas ändern können, zumal die nächsten Wahlen ihre Schatten schon voraus werfen. Viele fragen, was die Union eigentlich aus ihrem Programm in den Koalitionsvertrag hat einbringen können. Die Antwort: Kaum etwas. Das ist aber keine Niederlage, sondern Absicht derer, die bloß so weitermachen wollen wie bisher. Der Union reicht Angela Merkel als unangreifbare Übermutti und ansonsten reicht es ihr, die SPD in ihrem Eifer auszubremsen.

Nicht nur Merkel, sondern auch Schäuble, der als Finanzminister über besondere Rechte in der Regierungsmannschaft verfügt, werden zu gegebener Zeit intervenieren. Die Vorboten treten bereits in Erscheinung. Die zu kurz gekommenen Jungpolitiker in der Union wie Mißfelder und Spahn kritisieren den Koalitionsvertrag ganz offen, obwohl sie ihn zum Teil selbst mit aushandelten. Über viele Dinge müsse im Verlauf der Legislaturperiode noch einmal gesprochen werden, so die Auffassung. Und das wird auch so geschehen mit Unterstützung der sogenannten Experten an ihrer Seite wie auch den Medien.

Glaube an den Weihnachtsmann

Die SPD hingegen glaubt fest an das Gegenteil und erweckt auch den Eindruck, sie könne in dieser Koalition politische Erfolge erringen. Die Sozialdemokraten scheinen immer noch nicht verstanden zu haben, wie politische Entscheidungen in diesem Land unter Merkel vorbereitet werden. Dabei hätten sie aus der beispiellosen Demontage ihres zunächst gefeierten Kandidaten Steinbrück etwas lernen können. Zu viel Lorbeeren und Bewunderung vom Gegner ist trügerisch. Dennoch nutzte die Parteispitze um Gabriel deren vergiftetes Lob erneut als Argument, um die eigenen Leute in einem aussichtslosen Kampf hinter sich zu scharren.

Politische Entscheidungen unter Merkel werden durch das öffentliche Klima bestimmt. Gerade beim Thema Rente ist der eisige Gegenwind schon deutlich zu spüren. Die Stimmungsmache läuft bereits in den Medien mit Begriffen wie „Wahlgeschenk“ oder „Wohltat“. Die SPD merkt das nicht, sondern sonnt sich noch im Lichte eines Koalitionsvertrages, der nicht das Papier wert sein wird, auf dem er geschrieben steht. Die Sozialdemokraten werden mit einer Union, die sich aufs Bremsen verständigt hat und die Medienmacht im Rücken weiß, um halbherzige sozialpolitische Korrekturen im Koalitionsausschuss ringen müssen, während die Opposition mit der Umsetzung eines viel besseren Pakets frohlockt.

Posten als Belohnung fürs Scheitern in Vergangenheit und Zukunft

Der erhoffte Glanz, von dem auch die Wähler Notiz nehmen würden, bleibt ein frommer Wunschtraum derer, die mit einem Pöstchen im großen Personalkarussell entlohnt worden sind. Union und SPD wollen insgesamt 33 Parlamentarische Staatssekretäre ernennen. Ein neuer Negativrekord. Hinzu kommen die beamteten Staatssekretäre wie der unsägliche Asmussen, der bei der EZB aufgrund seiner mittelmäßigen ökonomischen Fähigkeiten mehr oder weniger kaltgestellt, nun ausgerechnet ins Arbeitsministerium entsorgt werden muss (was genau dahinter steckt, hat Jens Berger etwas genauer analysiert).

Hinzu kommt noch das Bundestagspräsidium, das noch vor Abschluss der Koalitionsgespräche in einem Akt großer Einigkeit zwischen Union und SPD aufgestockt werden musste. Die Posse des Postengeschachers liefert aber die Chefin selbst. Auf ihrer Pressekonferenz kündigte Kanzlerin Angela Merkel eine neue Stelle in ihrer Machtzentrale an. Ein neuer Staatssekretär soll sich um die Belange der Geheimdienste kümmern. Und zwar wegen dem, was andere die NSA-Affäre nennen, sie aber lieber als Angelegenheit bezeichnen würde. Das ist Kanzlerinnen-Duktus und zu diesem passt dann auch Klaus-Dieter Fritsche, der offenbar als Entschädigung für die beim Postengeschacher arg zu kurz gekommene CSU befördert werden soll.

Bleibt eigentlich nur noch Ursula von der Leyen, die künftig das Verteidigungsressort leiten soll. Diese Personalentscheidung gilt als faustdicke Überraschung und als mehr oder weniger gelungener Coup der Kanzlerin. Was daran nun aber gelungen sein soll, erschließt sich wohl nur den Hauptstadtjournalisten. Auf die erste wirklich gute Frage von Günther Jauch (Verstehen sie etwas von Verteidigungspolitik?) antwortete die designierte Ministerin gestern mit einem sehr ausführlich vorgetragenen und bezeichnenden Nein.

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Kampagnen hüben wie drüben

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Ein Interview von Marietta Slomka mit SPD-Chef Sigmar Gabriel im ZDF heute journal sorgt für Aufregung. Beide lieferten sich gestern Abend ein Wortgefecht der besonderen Art. Slomka konfrontierte den SPD-Chef mit der Meinung des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart, wonach der Mitgliederentscheid verfassungsrechtlich illegitim sei, weil dieser die Abgeordneten in der Ausübung ihres freien Mandats einschränken würde. Gabriel meint, alles Quatsch, findet aber nicht die richtigen Argumente. Dabei waren er und Slomka sich doch einig. Die SPD muss zustimmen.

Quelle: heute journal vom 28.11.2013

Statt sich auf eine Diskussion mit Slomka einzulassen, hätte Gabriel auf den Koalitionsvertrag verweisen können, den Frau Slomka offenbar auch nicht wirklich gelesen hat, indem aber die Einschränkung des freien Mandats von CDU, CSU und SPD festgeschrieben wurde. Ich darf mal zitieren (Seite 184):

Kooperation der Fraktionen

Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.

Entschuldigung, aber im Gegensatz dazu ist die popelige Mitgliederbefragung ein Witz. Die SPD hat sich mit ihrer staatstragenden Haltung mal wieder ins Abseits geschossen und zur Zielscheibe des Kampagnenjournalismus gemacht. Nun wundert sich die SPD-Parteiführung, die ja auch ein “Ja” bei den Mitgliedern erzwingen will, über die Angriffslust der Systemmedien. Immerhin besteht ein Risiko, falls die Mitglieder ablehnen und die SPD-Führung bzw. die Abgeordneten dem folgen müssten. Da werden schon mal schwere Geschütze aufgefahren, um die Entscheidung zu beeinflussen.

Die Kampagne hat mehrere Ebenen, derer sich auch die SPD-Führung bedient. Die SPD sei die Gewinnerin der Koalitionsverhandlungen ist eine davon. Demnach trage der Vertrag vor allem die Handschrift der Sozialdemokraten. Gabriel selbst bestätigte diesen Unsinn einmal mehr und zitierte ausgerechnet Herrn Lindner von der FDP. Das alles soll die Mitglieder beeindrucken und sie zur Zustimmung bewegen. Das zweite sind die möglichen Folgen, die bei einer Ablehnung des Vertrages durch die SPD-Mitglieder drohen würden. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass einige der Meinung sind, das in diesem Fall eine Staatskrise über das Land hereinbräche.

Nun versuchen sie es mit der Verfassung und dem Recht auf die Ausübung des freien Mandats. Mit anderen Worten: Wenn die gewählten Volksvertreter der Meinung sind, dass die Koalition richtig sei, dürfen sie sich nicht durch einen Mitgliederentscheid davon abbringen lassen. Doch, wie oben schon erwähnt, müsste diese Regel auch für den Fraktionszwang gelten, der so im Grundgesetz ebenfalls nicht vorgesehen ist. Verfassungsrechtlich hat die Regierungschefin die Möglichkeit, mit Hilfe der Vertrauensfrage sich ihrer parlamentarischen Mehrheit zu versichern. Das wollen  Herr Gabriel von der SPD wie auch Frau Slomka vom ZDF der Frau Merkel von der CDU aber offenbar nicht zumuten.

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Wer Visionen erwartet, blendet die Schuldenbremse aus

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Viele Journalisten und die Grünen kritisieren den Koalitionsvertrag auch, weil er keine Vision, kein Projekt und keine Ideen für die Zukunft enthalte, sondern auf teuren Stillstand setze. Das schreiben dann aber dieselben Leute, die es auch für unabdingbar halten, dass der Staat zu jeder Zeit sparen und Verschuldung abbauen müsse. Es passt einfach hinten und vorne nicht zusammen. Wer auf eine irrsinnige Schuldenbremse setzt, ohne zu erklären, wie er den dafür nötigen Zuwachs von Vermögen begrenzen will oder das sogar unter Beifall ausschließt, kann doch nicht ernsthaft eine Vision erwarten.

Dank der Schuldenbremse und des Fiskalpaktes ist die Politik zur Tatenlosigkeit verdammt. Sie hat sich, übrigens auch auf Betreiben einer Großen Koalition, von Gestaltungsmöglichkeiten verabschiedet und dem sinnfreien Ausgabenverbot sogar Verfassungsrang eingeräumt. Welches Projekt sollten die Koalitionäre da noch in Angriff nehmen, ohne gegen die Verfassung zu verstoßen? Es wird wohl noch etwas dauern, bis diese jämmerlich einfache Erkenntnis auch in den Betonköpfen angekommen ist. Konsequent wäre es doch zu fordern, die Schuldenbremse wieder abzuschaffen und jetzt zu investieren, als auf die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu warten.

Die neue Zürcher Zeitung schreibt: “Für ausländische Beobachter mutet es kurios an, mit welcher Detailversessenheit die deutschen Parteien ihre Koalitionsverträge aushandeln, als seien diese notariell beglaubigte Rechtsdokumente und nicht letztlich unverbindliche politische Absichtserklärungen. So blieb auch von den hochgemuten Vereinbarungen der schwarz-gelben Vorgängerregierung im Alltag nicht viel mehr übrig als ein Haufen Papier.” Doch Sigmar Gabriel will bis zum bitteren Ende „vertragstreu“ bleiben. Man wundert sich nur, dass er keine Kündigungsfrist in den Kontrakt hat einarbeiten lassen, um einen vorzeitigen Ausstieg seiner Truppe zu vermeiden.

Oder gibt es sie mit dem Mindestlohn etwa doch, der ja bekanntlich erst kurz vor der nächsten Wahl überall gelten soll und damit auch als eine Art (Über)Lebensversicherung für die Große Koalition und deren künftige Postenträger fungiert?

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Déjà-vu

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Schwere Verhandlungen schweißen Schwarz-Gelb -Rot zusammen. Man kann da schon durcheinander kommen. Vor vier Jahren haben die Schwarzen und die Gelben ebenso freudig gescherzt wie heute die Schwarzen und die Roten. Sigmar Gabriel ist ein würdiger Nachfolger für Guido Westerwelle. Allerdings ist nicht abschließend geklärt worden, ob der Siggi nun auch den Horst duzen darf, aber das kann ja noch werden, bevor sie sich gegenseitig als Wildsäue und Gurkentruppe verunglimpfen.

Für die SPD-Mitglieder ist die Botschaft klar. Wer will, dass sich Horst und Siggi künftig duzen, muss mit Ja stimmen.

Damals wars

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Nach der Falschmeldung folgt die Fehleinschätzung

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Thorsten Denkler von der Süddeutschen Zeitung fordert die Genossen auf, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen, weil man ihn aus inhaltlichen Gründen nicht ablehnen könne. Die Begründung ist ein Witz, weil auch Denkler sich nur von den hübschen Schachteln blenden lässt, anstatt eine kritische Würdigung des Inhalts vorzunehmen. Er spielt die Dinge lieber herunter. “Die kleinen Kompromisse mit der Union beziehen sich in diesem Fall allein auf technische Details. Nicht auf den Grundsatz”, schreibt er beispielsweise beim Thema Mindestlohn. Mit anderen Worten: Wenn Mindestlohn draufsteht, muss er auch drin sein.

Der Knaller ist aber, dass Denkler das “Klein-Klein”, wie er es dann doch am Ende nennt, dennoch nicht für ablehnungswürdig hält. Seiner Meinung nach hätte ein Nein der SPD-Basis auf der anderen Seite einen hohen Preis. Eine akute Staatskrise mit Neuwahlen wäre die Folge. Man kann auch maßlos übertreiben beim Wettrennen um den ersten Platz im Enddarm der geschäftsführenden Kanzlerin. Oder taumelte das Land etwa in den letzten Wochen nach der Wahl vor sich hin? Die Wahrheit ist doch, dass es zwischen der Regierung Merkel und der Geschäftsführerin Merkel keinen Unterschied gibt. Wenn überhaupt dauert die Staatskrise schon seit 2005 an, weil die Kanzlerin das regieren konsequent verweigert.

Gerade die Journaille, die ständig von klaren und stabilen Verhältnissen träumt, müsste Neuwahlen doch förmlich herbeisehnen, weil dann aus der Geschäftsführerin Merkel wieder eine Kanzlerin würde, die auf das Klein-Klein eines Koalitionsvertrages zumindest mit der SPD verzichten könnte. Es stimmt auch nicht, dass die SPD eine Führungskrise erst dann bekäme, wenn die Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen. Die Krise ist längst da, weil die Wahl von jenem Personal verloren wurde, das auch schon die davor vergeigte. Trotzdem erheben diese Leute den Anspruch auf Regierungsämter, in denen sie aus Furcht vor der Basis aber erst einmal nicht erkannt werden wollen.

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Falschmeldungen am Morgen

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Pkw-Maut und flächendeckender Mindestlohn kommen. Das sind die Falschmeldungen des Morgens. Aber auf diese kommt es den künftigen Koalitionären an. Der erste Eindruck zählt und nicht der Blick ins Detail. Schließlich können alle Seiten mit der Einigung sehr gut leben und ihren Mitgliedern die Zustimmung empfehlen. Fakt ist aber, dass sich Union und SPD lediglich darauf geeinigt haben, in einem Koalitionsvertrag bestimmte Begrifflichkeiten festzuschreiben, die als Schlagworte rasch in Umlauf gebracht werden können.

Wie vorhergesagt, hat die SPD beim Mindestlohn nur eine Umetikettierung erreicht. Es wird Ausnahmen geben und eine Kommission, die nur eingerichtet wird, um den faulen Kompromiss über die Legislaturperiode hinweg fest und die Lohnuntergrenze möglichst niedrig zu halten. Der politische Basar ist den Koalitionären wichtiger als die Vernunft, die in der Lohnpolitik eine gesamtwirtschaftliche Funktion erkennen würde. Hätte sich die Vernunft durchgesetzt, gäbe es keine Kommission und keine Ausnahmen und schon gar nicht irgendwelche Übergangsfristen, sondern einen gesetzlichen Automatismus, der sich an der goldenen Lohnregel (Zielinflationsrate der EZB und Produktivitätsentwicklung) orientiert.

Beim Thema Pkw-Maut, es interessiert halt jeden, sind Bedingungen formuliert, die kaum zu erfüllen sind. Vielleicht fragt ja mal ein Journalist nachher bei der Vorstellung des finalen Entwurfes zum Koalitionsvertrag, wie es gelingen kann, Deutsche Fahrzeughalter nicht stärker zu belasten. Die Höhe der Kfz-Steuer reicht in vielen Fällen gar nicht aus, um sie mit einer Vignette zu verrechnen. Da wird dann Seehofer bestimmt noch eine Straßenbenutzungsprämie einführen müssen, um einen Ausgleich zu generieren.

Oder aber, es kommt ganz anders. Die Verhandlungen und der Regierungsstil Merkels haben doch gezeigt, das Entscheidungen eher auf die lange Bank geschoben werden und Formulierungen im Koalitionsvertrag nur grobe Richtschnüre sind, die man so und so interpretieren kann und die sich vor allem der jeweiligen Tagespolitik unterzuordnen haben. Was passiert denn, wenn die Wirtschaft im kommenden Jahr weiter einbricht und die Agenda-Befürworter, die schon längst ihre Zurückhaltung abgelegt haben, erneut das Lied der schmerzlichen Reformen anstimmen, die Deutschland angeblich schon einmal den Weg aus der Krise wiesen? Wenn erst wieder vom kranken Mann Europas geredet wird, ist auch der sogenannte Mindestlohn schnell wieder vom Tisch. Dafür reicht die Übergangszeit locker aus.

So dürfte es auch den Vereinbarungen bei der Rente ergehen. Die abschlagsfreie Rente mit 63 soll nur kommen und die Aufstockung von Geringverdienerrenten voraussichtlich erst im Jahr 2017 in Kraft treten. Demnach ist auch die Meldung, wonach man sich auf Verbesserungen bei der Rente geeinigt habe, im Lichte des genauen Wortlautes betrachtet, eher übertrieben. Wo viele solls stehen, entscheidet am Ende die Stimmung. Und die zu beeinflussen und in die richtigen Bahnen zu lenken, damit kennt sich das Spitzenpersonal aus, das vorsorglich noch nicht erkannt werden will.

Ergänzung: Die Wirklichkeit ist wahrscheinlich noch schlimmer wie die Einführung der Schuldenbremse beweist. Diese stand nämlich 2005 nicht im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD und wurde dennoch kurz vor dem Ende der letzten Großen Koalition noch schnell ins Grundgesetz geschrieben.

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Kompromisse beim Mindestlohn kann es nicht geben

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Die Geschäftsführung der Süddeutschen Zeitung GmbH soll sich laut Bild mit einem Brief an alle Bundestagsabgeordneten gewandt und darin die Bitte geäußert haben, beim Beschluss über den Mindestlohn Augenmaß walten zu lassen. Gäbe es einen Mindestlohn, gäbe es auch Risiken bei der Zeitungszustellung vor allem im ländlichen Raum, heißt es. Mit anderen Worten: Ein flächendeckender Mindestlohn gefährdet die flächendeckende Zustellung der Süddeutschen Zeitung. Dabei dürfte aber nicht der Mindestlohn Abos kosten, sondern die Haltung des Verlages, Austräger mit Recht schlecht zu bezahlen.

Mit der Meinung, der Mindestlohn stelle eine Gefahr für die flächendeckende Versorgung mit Printprodukten dar, steht der Verlag sicherlich nicht allein da. Dass Zeitungszusteller vom Mindestlohn ausgenommen werden sollen, wird ja offenbar zwischen Union und SPD diskutiert. Inzwischen geistern mehrere Entwürfe des Koalitionsvertrages durch die Redaktionsstuben. In den ersten Entwürfen, die an die Öffentlichkeit lanciert wurden, hieß es noch, dass der Mindestlohn nicht nur nicht für Zeitungszusteller gelten solle, sondern auch nicht für Langzeitarbeitslose, Rentner und Erntehelfer. Auch Schüler und Praktikanten sollen außen vor bleiben, obwohl für letztere noch zu Beginn der Koalitionsverhandlungen ebenfalls eine Mindestlohnreglung verkündet wurde.

Bezeichnende Diskussion

Inzwischen ist der Mindestlohn im Eiltempo von der Maut überholt worden. Dennoch ist die Diskussion bezeichnend für das drohende Bündnis aus Union und SPD. Die Union will eigentlich keinen Mindestlohn, die SPD dagegen schon. Ein Kompromiss zwischen diesen beiden Positionen muss scheitern, weil es ein bisschen Mindestlohn genauso wenig geben kann wie ein bisschen Schwangerschaft. Dennoch werden Union und SPD ein Kunststück vollführen wollen. Gestritten wird nur noch um die richtige Formulierung. Angela Merkel gab zu Protokoll, dass es einen flächendeckenden Mindestlohn geben werde. Die Medien interpretieren diese Äußerung völlig falsch als Kompromissbereitschaft und tappen in die Falle der Spindoktoren.

Die geschäftsführende Bundeskanzlerin sprach nämlich auch von Modalitäten, die es beim Mindestlohn noch zu regeln gebe. Damit hat sich an der Haltung Merkels nichts geändert. Sie betreibt lediglich Umetikettierung. Raider heißt jetzt Twix und sonst ändert sich nix. Damit lässt sich der Urnenpöbel dank der schnarchenden Medien sicherlich begeistern. Ihr Modell der Lohnuntergrenze mit zahlreichen Ausnahmen und einer Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die künftig über die Höhe entscheiden sollen, ist weiterhin das Ziel – etwas anderes auch nicht wirklich erkennbar. Der SPD wird also nur gelingen, dass die Lohnuntergrenze der Union künftig als flächendeckender Mindestlohn bezeichnet werden darf.

Angst bestimmt das Handeln

Die Angst vor Arbeitsplatzverlusten, die von der Öffentlichkeit auch ohne empirische Belege geteilt wird, diszipliniert die SPD. Doch warum bestimmte Berufsgruppen in einer Volkswirtschaft durch politische Unterlassung weniger verdienen sollen, bleibt ein Rätsel. Wenn ein Unternehmen der Meinung ist, dass der Vertrieb seiner Produkte zwingend erforderlich ist, muss er diesen auch bezahlen oder die Dienstleistung anders organisieren. Die Tatsache, dass es seit Jahren möglich war, gerade im Bereich der Zustellung an der Lohnkostenschraube immer wieder zu drehen, kann ja keine Begründung sein. Wo die einzelwirtschaftliche Sichtweise vielleicht nachvollziehbar erscheint, bleibt sie volkswirtschaftlich unsinnig.

Denn niedrige Löhne kosten eben auch Geld und zwar das der Allgemeinheit oder kurz der Steuerzahler, die beim Aufstocken aushelfen müssen. Über diese Beträge redet nur keiner. Dabei stehen diese Steuergelder für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung. Daran sollte man denken, wenn die künftigen Koalitionäre wie auch die Medien mal wieder über angeblich zu hohe Ausgabenwünsche und fehlende Gelder jammern. Außerdem sind die Kosten der einen immer auch die Einnahmen der anderen.

Wenn also die Süddeutsche ihre Zusteller anständig bezahlen würde, könnten die sich etwas mehr leisten, vielleicht einen regelmäßigen Restaurantbesuch. Dessen Besitzer hat höhere Umsätze und kann wiederum seiner Kellnerin mehr Gehalt überweisen. Die ist unter Umständen bereit, ein Abo der Süddeutschen Zeitung abzuschließen, weil sie besser informiert sein will und die Reportagen der Seite 3 sehr schätzt, aber bisher nicht genießen konnte, weil ihr wegen der Zweit- und Drittjobs schlicht die Zeit zum Lesen fehlte.

Die ökonomische Welt ist sicher viel komplexer, aber eins ist sicher. Der Binnenmarkt kann nur dann funktionieren, wenn es verfügbare Einkommen gibt, mit denen Nachfrage hergestellt und Kaufkraft entwickelt werden kann. Nur dann lohnt es sich auch für Unternehmen Kapital zu investieren und Menschen einzustellen, um gemeinsam mit ihnen Waren zu produzieren oder Dienstleistungen anzubieten. Eine Volkswirtschaft ist eben mehr als die Summe aller betrieblichen Einzelinteressen. Leider verlässt sich die Politik auf Letzteres.

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Das Elend des Kommentators

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Detlef Esslinger kommentiert heute in der Süddeutschen das Elend der SPD. Für ihn besteht es im ewigen Hadern der Partei mit sich selbst. Die Sozialdemokraten erzählen nicht, was sie erreicht hätten, sondern jammern darüber, was sie nicht durchsetzen können. Damit reiht sich Esslinger in die Liga derer ein, die bereits vergessen haben, was die SPD ihrer Wählerschaft in der Vergangenheit zugemutet hat und offenbar noch zumuten will. Er verdreht die historische Wahrheit, wonach die SPD mit viel Verve eine ökonomisch unsinnige Politik betrieben und diese mit noch mehr öffentlichem Tamtam nach außen hin vertreten hat. Sie hielt eben nicht hinter dem Berg, sondern brüstete sich mit dem Erreichten, wollte aber die Kampfansage an die eigenen Wähler nicht erkennen.

Wer links blinkt und dann aus angeblichen Sachzwängen oder reiner Alternativlosigkeit heraus rechts abbiegt, macht sich unglaubwürdig. So einfach ist das. Esslingers Gerede über Programme, die nur Wunschzettel seien und sich am Ende in einem Koalitionsvertrag gemessen am Wahlergebnis nur fragmentarisch widerspiegeln können, ist neoliberales Geschwätz, das vor allem jenen nutzt, die auf ein Programm gleich ganz verzichtet haben und stattdessen den Satz platzierten: „Meine Damen und Herren, sie kennen mich.“

Esslinger unterstellt, dass es der Union ja genauso schwer fallen müsste, mit der SPD am Kabinettstisch zu sitzen wie es umgekehrt der SPD schwerfalle Herrn Dobrindt zum Minister zu machen. Das thematisiere nur niemand. Ja weil es vollkommen absurd ist. Die Union kann sehr wohl und sehr gut mit einer SPD am Kabinettstisch leben, auf die man das künftige Versagen der gesamten Regierung wieder abladen kann. Esslinger tut ja gerade so, als wären die Regierungen, die Angela Merkel seit 2005 mit ihrer Richtlinienkompetenz zu verantworten hat, erfolgreich im Amt bestätigt worden. Sind sie aber nicht. Vielleicht sollte sich das Herr Esslinger erst in Erinnerung rufen bevor er das Gedächtnis der anderen aufzufrischen versucht.

Würde Esslinger seine Ausführungen selber ernst nehmen, dass Politiker nämlich nicht um ihrer selbst willen da seien, müsste er für eine Minderheitsregierung der Union eintreten. Nur dann wäre die auch gezwungen, sich um die Menschen zu bemühen, die sie zu vertreten beansprucht. Sie müsste ein politisches Programm entwerfen und für eine Mehrheit im Parlament kämpfen, statt sie bloß zu erwarten. Merkel wäre zum Regieren gezwungen, anstatt über den Dingen zu schweben.

Esslinger hätte sich vielleicht einmal die Frage stellen sollen, warum die Kanzlerin auf einer Gewerkschaftsveranstaltung mehr Applaus erhält als die alte und neugewählte Führung der Arbeitnehmervertreter. Er hätte sich fragen können, warum Merkel, egal wo sie sich auch hinbegibt, als Mainevent gefeiert wird, obwohl ihre rhetorischen Fähigkeiten arg begrenzt und die Inhaltsleere ihre Aussagen weiter zunimmt, während bei der Auswahl von Themen und Überschriften Beliebigkeit vorherrscht. Er hätte sie auch an ihrem Programm oder dem messen können, was sie bisher erreicht zu haben scheint.

Das tut Esslinger aber nicht, sondern fabuliert lieber über ein Treffen auf halben Wege und plappert etwas von jenen nur symbolisch gemeinten 50 Prozent, die die SPD doch angeblich durchsetzen könne, wenn sie sich vom kaum noch erkennbaren Rest einer Haltung verabschieden würde. Dass Journalisten nicht rechnen können, ist allgemein bekannt. Mir geht es da ähnlich. Doch ich möchte schon gern wissen, was sich auch nur symbolisch hinter den 50 Prozent verbirgt. Entweder kann oder will Herr Esslinger nicht richtig hinsehen. Sonst würde auch er erkennen, dass es nur der SPD-Parteiführung um ihrer selbst willen geht, wenn sie für die Große Koalition wirbt und vorgibt, etwas für die Menschen zu tun.

Diesem Grundsatz vertraut offenbar auch die Geschäftsleitung der Süddeutschen Zeitung GmbH, die sich laut Bild mit einem Brief an die Abgeordneten des Bundestags gewandt haben soll. Darin soll die Bitte formuliert sein, bei der möglichen Einführung des Mindestlohns Augenmaß walten zu lassen. Da sind wohl noch ganz andere nur ihrer selbst willen politisch unterwegs. Dazu später mehr.

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