Schäuble will kein Volkswirt, sondern Kaufmann sein

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will in seinem Amt ein vorsichtiger Kaufmann sein. Die Medien nehmen es hin und applaudieren sogar, wenn er verspricht, im Jahr 2015 keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu wollen (Wie oft hat das ein Finanzminister schon versprochen?). Doch was ein vorsichtiger Kaufmann im Bundesfinanzministerium zu suchen hat, interessiert niemanden. Nur wird in diesem Haus keine Fachkraft für Betriebswirtschaft benötigt, sondern jemand, der volkswirtschaftliche Zusammenhänge versteht und danach handelt. Das tut Schäuble aber nicht.

„Ich werde wie bisher nach den Prinzipien eines vorsichtigen Kaufmanns wirtschaften. Dass es geht, haben wir in den letzten vier Jahren bewiesen. Wenn es keine dramatische Verschlechterung der wirtschaftlichen Entwicklung gibt, bin ich zuversichtlich, dass es uns auch in diesem Jahr gelingt, mit weniger als geplant auszukommen.“

Vor ein paar Wochen traf Schäuble seinen amerikanischen Amtskollegen Jack Lew und verteidigte auf abenteuerliche Weise einmal mehr die deutschen Exportüberschüsse. Er sagte, dass das amerikanische Defizit nicht besser würde, wenn ein europäisches Defizit hinzukäme. In Davos erneuerte er nun diese eigenwillige Sicht der Dinge. Er akzeptiere die Kritik nicht und bezeichnete die Empfehlung des EU-Kommissars Rehn, wonach die Inflation in der Eurozone bei knapp zwei Prozent liegen sollte, um die wirtschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen, als Unsinn. Das, so Schäuble, würde ja bedeuten, dass Europa nur auf der Basis von Instabilität und Inflation funktioniere.

Inflation gleich Instabilität. Das ist ein weiterer Tiefpunkt in der Diskussion, die so arm an volkswirtschaftlichen Sachverstand ist. Die ominösen zwei Prozent Inflation sind ja nicht aus der Luft gegriffen und haben auch nicht viel mit Wahlkampf zu tun, wie Schäuble unseren hörigen Medien in die Blöcke diktiert, sondern gehen auf eine Zielvereinbarung zurück, die einzuhalten sich auch Deutschland bei der Gründung der Währungsunion verpflichtet hat. Worauf sonst sollte sich eine Währungsunion auch verständigen, wenn nicht auf eine Harmonisierung der Lohnstückkostenentwicklung, die die Inflation bestimmt?

Die Instabilität rührt schließlich nicht vom Inflationsziel her, sondern davon, es nicht einzuhalten. Schäuble findet offenbar Gefallen daran, wenn die Inflationsrate, wie zuletzt gemessen, bei unter 1 Prozent liegt. Denn die Deutschen fürchten Inflation so sehr, dass sie die Deflationsgefahr gar nicht mehr erkennen wollen oder können, die Europa inzwischen erfasst hat. Selbst die anhaltend niedrigen Zinsen der Zentralbank, die es ja nur deshalb gibt, weil die Rolle des Schuldners niemand mehr übernehmen möchte, zeigen das Ausmaß der Misere, die zu erkennen und zu bekämpfen aber mehr verlangt, als die Kurzsichtigkeit eines deutschen Finanzministers.

Der sähe es hingegen gerne, wenn alle sparen so wie er, irgendwann einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und am Ende keine neuen Schulden mehr machen würden. Dann, so Schäubles Überzeugung, stünden auch die anderen wirtschaftlich so gut da wie die teutonische “Wachstumslokomotive” mit ihren lächerlich mickrigen 0,4 Prozent BIP-Zuwachs im abgelaufenen Jahr. In diesem desaströsen Klima der verordneten Sparsamkeit investiert nur niemand mehr, obwohl gerade Schäuble und die deutsche Wirtschaft weiterhin darauf hoffen. Sie haben ja bis jetzt auch davon profitiert. Denn ohne die Schuldner des Auslands, die man mit erhobenen Zeigefinger ordentlich beschimpft und maßregelt, gäbe es keinen Exportüberschuss, den man bejubeln könnte.

Einem Volkswirt mit makroökonomischen Sachverstand wäre das wohl klar, einem studierten Juristen, der gern ein Kaufmann sein möchte aber nicht. Der hat zu komplizierten ökonomischen Sachfragen nämlich nix zu sagen, und flüchtet sich daher ins Prozedurale, sagt Heiner Flassbeck.

Klar, wenn einer etwas Blödes tut, wird es nicht besser, wenn ein anderer das Gleiche tut, würde ein Jurist sagen. Dass ein europäisches Defizit vermutlich einen amerikanischen Überschuss erlauben würde, und dass ein solcher Überschuss nach vielen Defizitjahren auch gerechtfertigt sein könnte, kommt einem Juristen nicht in den Sinn. Und es kann ihm nicht in den Sinn kommen, wenn ihm niemand klipp und klar sagt, dass die Welt insgesamt keine Überschüsse oder Defizite aufweisen kann und man deswegen nicht so daherreden sollte, wenn man sich nicht lächerlich machen will. Wer aber soll Wolfgang Schäuble das sagen?

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Die Methode Jörges: Ein Zwischenruf

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Hans-Ulrich Jörges, wir wissen es alle, ist einer der Top-Journalisten dieses Landes. Ich würde sagen, er hat die Härte für Höheres. Ach nee, dass hat Jörges einmal über zu Guttenberg gesagt, als der noch vorgab, eine große Nummer zu sein. Damals, 2009 war das, hatte Jörges auch schon sein komisches Video-Blog und spielte darin am Schreibtisch sitzend mit Pappfigürchen auf dem Mittelfinger. Mit ihnen zusammen kam Jörges zu dem Schluss, dass der Baron aus Bayern das größte Talent seit Angela Merkel sei, der neben Wulff auch das größte Potenzial dazu hätte, die Kanzlerin 2013 zu beerben.

Von seiner Meinung ließ Jörges auch dann nicht ab, als seiner Lieblingspappfigur der Sturz über ein Plagiat drohte. Bei Anne Will wetterte der Zwischenrufer im Jahr 2011 deshalb gegen die Guttenberg-Kritiker, die ja alle nur auf Äußerlichkeiten achten würden. Jörges schimpfte über Vorurteile nach dem Motto, wenn jemand gegeltes Haar trüge, müsse er unglaubwürdig und ein Schleimer sein. Aber lassen wir Jörges selber sprechen:

„Ein Mann mit Rückgrat. Das suchen die Leute. Aufrecht und authentisch. Und es zeigt sich eben, auch unter einem gegelten Haarschopf kann ein kluges Hirn und ein klarer Charakter stecken.“

Jörges hat eigentlich schon damals bewiesen, dass auch unter einem ungegelten Schopf kein kluges Hirn stecken muss. Den Charakter, es dabei bewenden zu lassen, hat der Zwischenrufer allerdings auch nicht. Nach der schauerlichen Markus Lanz Sendung von vergangener Woche, in der Jörges Gast war und Teile der Gesprächsführung übernahm, habe sich aus seiner Sicht nun ein Shitstorm von links entwickelt. Grund genug für einen neuerlichen Zwischenruf mit Pappfigur. Und was sagt er darin über Sahra Wagenknecht?

Dass sie im Jahr 2013 skandalöse neunmal in Talkshows eingeladen war und damit die Spitzenposition übernommen hätte. Wagenknecht, so Jörges, sei damit die wirksamste propagandistische Waffe der Linken. Was Jörges in seiner Manie aber verschweigt, ist die Tatsache, dass auch Jürgen Trittin, Peter Altmaier, Thomas Oppermann und Wolfgang Bosbach im Wahljahr genauso oft bei „Günther Jauch“, „Hart aber fair“, „Menschen bei Maischberger“, „Anne Will“, „Beckmann“ oder „maybrit illner“ herumgesessen haben und für ihre Parteien warben. Doch diese propagandistischen Waffen hält Jörges offenbar nur für Platzpatronen im Vergleich zu Wagenknecht.

Die hat das Mitglied der Stern-Chefredaktion nach eigener Aussage genau beobachtet und eine Methode Wagenknecht herausgefunden.

“Da sitzt diese eigentümlich altbürgerlich aufgerüschte Dame und wartet darauf, jede Diskussion auf das ihr genehme Feld überzulenken.”

Mal abgesehen von den Äußerlichkeiten, die Jörges illustriert und im Gegensatz zur Beschreibung des bayerischen Raubadels offenbar für zulässig hält, unterscheidet sich die Methode Wagenknecht jetzt von der Methode aller anderen Politiker in genau welchem Punkt? Ach ja in der Verbreitung von Halb- und Unwahrheiten im Nachhall des Applauses, den er nicht bekommen hat. Das ist aber eigentlich auch keine Besonderheit. Das Beispiel Mindestlohn allerdings ist von Jörges schlecht gewählt, weil hier Frau Wagenknecht näher an der Wahrheit liegt als Herr Jörges, was er mit seinem umständlichen Erklärversuch auch selbst bestätigt.

Ja, Herr Jörges, auch für Sie gilt, die Wahrheit ist die Wahrheit ist die Wahrheit, auch wenn sie bitter ist und schmerzlich. Das muss auch für den unterirdischen Hans-Ulrich der Gossenjournaille gelten.

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Gabriels Energiewende lässt das Wesentliche außen vor

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Wie lautet  der große Plan des neuen Bundeswirtschaftsministers mit besonderen Zuständigkeiten in Sachen Erneuerbare Energien? Sigmar Gabriel will den Anstieg der Strompreise begrenzen und glaubt, dieses Ziel mit deutlichen Abstrichen bei der Förderung von Ökostrom erreichen zu können. EEG 2.0 nennt er sein Projekt, das wesentliche Fragen unbeantwortet lässt.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat in seinem Sondergutachten mit dem Titel „Den Strommarkt der Zukunft gestalten“, das seit Montag den Abgeordneten des Bundestages als Drucksache 18/281 vorliegt, klare Zusammenhänge benannt. Die Experten warnen vor Fehldeutungen und raten zu einer Versachlichung der Kostendebatte. Sie schreiben in ihrem Bericht:

Die grundlegende Reformbedürftigkeit des EEG wird in der öffentlichen Diskussion oft damit begründet, dass das EEG hohe Stromkosten verursache, deren weiteres Anwachsen gestoppt werden müsse. Allerdings werden in dieser Diskussion verschiedene Argumentationsebenen vermengt. Erstens wird der Strompreisanstieg der letzten Jahre einseitig mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien erklärt. Zweitens konzentriert sich die Auseinandersetzung auf einen Indikator, der zur Ermittlung der tatsächlichen Förderkosten der erneuerbaren Energien ungeeignet ist. Drittens werden die resultierenden sozialen Probleme und die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Entwicklungen überzeichnet.

Der SRU warnt ausdrücklich vor solchen Fehldeutungen. Die Verdoppelung des Haushaltsstrompreises im Laufe der letzten Dekade war vor allem durch den Kostenanstieg der fossilen Energieträger getrieben. Zudem ist die EEG-Umlage als Indikator für die Kosten der erneuerbaren Energien untauglich. Die Umlage – als Differenz zwischen Einspeisevergütung und Marktpreis – steigt unter anderem, weil die großzügigen Befreiungen für eine Reihe von Industrieunternehmen auf alle anderen Stromkunden umgelegt werden.

Zu einer Steigerung führt paradoxerweise auch, dass der Börsenstrompreis wegen sinkender CO2-Preise und der wachsenden Einspeisung erneuerbarer Energien fällt. Beide Effekte stellen aber keine Förderkosten für die erneuerbaren Energien dar. Fehlerhafte Indikatoren können zu fehlerhaften Reformen führen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen und damit das Gesamtziel der Energiewende gefährden würden.

In welchem Umfang Herr Gabriel und die Bundesregierung die großzügigen Befreiungen für Industrieunternehmen nun zurücknehmen wollen, bleibt auch nach dem Treffen der Schlossgeister in Meseberg weiterhin unklar. Was ist mit den niedrigen Preisen an der Strombörse, die seltsamerweise zu einem Anstieg der Verbraucherpreise führen? Auch dazu findet sich keine Position des SPD-Vorsitzenden und Superministers, der gleichzeitig auf Vokabeln wie “Marktnähe” zurückgreift.

Eine Strompreisaufsicht könnte helfen, den Markt so zu regulieren, das er der Allgemeinheit dient und nicht dem Stromkartell. Gabriels Kanzlerkandidat hatte so etwas kurz vor der Wahl noch gefordert. Doch das ist längst vergessen. Wem Gabriel gehorcht und dient, dürfte inzwischen klar sein. Klaus Stuttmann hat es im Bild festgehalten.

Quelle: Stuttmann Karikaturen

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Über Nacht im Schloss

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Die deutsche Wirtschaft steht eher vor einem Ab- denn vor einem Aufschwung. Wer die Fakten richtig liest, weiß das. Jetzt, da die SPD mit an der Regierung beteiligt ist, hätte es auch aus Sicht der Systemmedien eigentlich keinen Sinn mehr, die Lage weiter zu beschönigen. Noch tun sie es aber, weil das gemeinsame Vorgehen gegen die nüchternen Analysen des Auslandes Lustgewinn verspricht. Dennoch: Dass es bergab geht, lässt sich nicht länger leugnen, weshalb vorsorglich gegen einige Punkte des Koalitionsvertrages wie den Mindestlohn oder die Rentenregelung scharf geschossen wird. Es geht schließlich darum, dem bereits begonnenen und in der Zukunft nicht mehr länger zu verheimlichenden Konjunkturwinter eine genehme Ursache zu verpassen.

Sollte beispielsweise das Job-Wunder, das nie eins war, in “sichtbare” Gefahr geraten (die Arbeitslosigkeit steigt übrigens saisonal bereinigt schon seit Monaten wieder), ist natürlich der Mindestlohn Schuld. Ein Wachstum weiter herbeizureden, wird da zunehmend schwieriger, weshalb sich auch die Regierungs-SPD natürlich daran versucht. Für Andrea Nahles, neue Arbeitsministerin, deuten die Zahlen am Arbeitsmarkt auf eine solide wirtschaftliche Lage hin. Dabei hatte sie als Verhandlungsspitze in den Koalitionsgesprächen noch ihre Unwissenheit in Sachen Ökonomie zugeben müssen, als sie sagte, dass sie die Kritik der EU an den Leistungsbilanzüberschüssen nicht verstehe. Wie kann sie dann wissen, was volkwirtschaftlich solide ist?

Das zweite Beispiel ist die gesetzliche Rente, die eine funktionierende Solidargemeinschaft als Grundlage braucht. In den Medien werden Rentenerhöhungen als “soziale Wohltat” diffamiert, während die unsichere und hochsubventionierte private Altersvorsorge nicht als das bezeichnet wird, was sie ist. Ein asoziales Bereicherungsprogramm für die Versicherungskonzerne. Die Journaille spottet derweil über Blüms Satz, “Die Rente ist sicher”, vergisst aber zu erwähnen oder wenigstens zu erkennen, dass dieser richtige Satz seinen Wahrheitsgehalt nur deshalb verliert, weil gleichzeitig ein anderer aus Sicht der Versicherungen und Banken, an deren Lippen die Politik ja bekanntlich hängt, zu gelten hat. Und zwar: “Die Profite sind sicher”.

Es kann gar nicht oft genug erwähnt werden, dass der Oberguru der Drückerkolonnen, Carsten Maschmeyer, die Privatisierung der Altersvorsorge als Ölquelle für seine Branche bezeichnete. “Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß und sie wird sprudeln”, sagte er einmal. Das ist auch so ein Satz, der nur stimmen kann, wenn das Vertrauen in die gesetzliche Rente bewusst zerstört wird und Beitragsgelder wie auch Steuermittel auf die Konten der Finanzinstitute umgeleitet werden. Der andere Guru, der sich Wissenschaftler nennt, aber doch bloß ein schlecht verkleideter Versicherungsmakler ist, Bernd Raffelhüschen, hat mal gesagt. “Aus dem Nachhaltigkeitsproblem der Rentenversicherung ist ein Altersvorsorgeproblem der Bevölkerung geworden. Das müssen wir denen [gemeint ist der dumme Michel, Anm. tau] jetzt erzählen.”

Und was soll man sagen. Sie glauben es auch. Rund 12 Milliarden Euro an Steuergeldern und wahrscheinlich das Dreifache an Sozialbeiträgen sind so bereits auf dem Kapitalmarkt gelandet. Warum? Weil alle von der erfundenen demografischen Katastrophe überzeugt sind, einem Banker von Natur aus Vertrauen schenken und nicht verstehen, dass es immer auf das Verhältnis zwischen berufstätigen und nicht berufstätigen Jahrgängen ankommt. Das schließt die Kinder aber mit ein, die wie die Rentner von den Berufstätigen mitversorgt werden müssen. Die abnehmende Zahl der Kinder fließt in die Berechnungen der Renten-Demagogen aber gar nicht erst ein, wenn sie die Entwicklung der Alterspyramide als sich selbst erklärende Powerpoint-Präsentation an die Wand werfen.

Natürlich geht es auch um den Glauben an den Profit, den aber nur derjenige auch einstreichen kann, der Dumme findet, die dafür bezahlen wie im Falle Prokon, die nun Insolvenz anmelden mussten. Lotto funktioniert ähnlich. Jeder kann Millionär werden, aber nicht alle, sagte Volker Pispers einmal treffend. Sollte Altersvorsorge wirklich als Glücksspiel betrieben werden? Ich denke nicht, denn die Solidargemeinschaft als Ganzes hat andere Erwartungen, die zu erfüllen letztlich auch die Grundlage für eine stabile Wirtschaft bilden, von der alle auch solide profitieren können. An einer funktionierenden Solidargemeinschaft ist die GroKo allerdings nur pro forma interessiert.

Das Kabinettstreffen in Meseberg steht unter der Überschrift Entschleunigung. In der Sache soll nicht viel entschieden werden. Man habe ja noch vier Jahre vor sich, schreibt SpOn. Nicht zu fassen, hieß es doch kürzlich noch, dass die Zeit einer herkömmlichen Legislaturperiode viel zu kurz bemessen sei und unbedingt auf fünf Jahre verlängert werden müsse. Nun wird wieder über Arbeitspläne diskutiert, so als ob die längsten Koalitionsverhandlungen aller Zeiten dringend eine Fortsetzung bräuchten. Über Nacht im Schloss auf Muttis Schoß. Da lacht der Gabriel. Denn auch er sieht die deutsche Wirtschaft wie sein Vorgänger Rösler auf einem soliden Wachstumskurs, egal wie mickrig das Ergebnis auch ausfallen mag.

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Prokon: Eine Pleite mit deutlicher Ansage

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Angesichts der aktuellen Entwicklung um den Windparkbetreiber Prokon, füge ich noch einmal meinen Artikel vom 21. November 2011 als Anlage an. Schon damals war klar, dass das Geschäftsmodell nur solange funktionieren kann, wie es dem Unternehmen gelingt, frisches Kapital einzuwerben. Deshalb auch die aggressive Werbung in Form von Flyern und ähnlichem in den Briefkästen. Insgesamt geht es um zehntausende Anleger, die auf diese Bauernfänger-Methode hereingefallen sind und nun um ihre Einlagen (von über einer Milliarde Euro ist die Rede) fürchten müssen. Eine Pleite mit Ansage.


Anlage: Irreführende Werbung für ein hochriskantes Geschäftsmodell

Eigentlich ist die irreführende Werbung des schleswig-holsteinischen Windparkbetreibers Prokon durch das Landgericht Itzehoe untersagt worden. Dennoch landen weiterhin Werbeflyer in den Briefkästen, auf denen den Verbrauchern eine angeblich sichere Anlage in sog. “Prokon Genussrechten” schmackhaft gemacht wird. Dabei geht es um erneuerbare Energien und eine zukunftsorientierte Kapitalanlage in Windenergie, Biogene Kraftstoffe und Biomasse. Versprochen wird eine Rendite von 8 Prozent im Jahr. Gleichzeitig wirbt man damit, dieses Ziel seit 2006 zuverlässig für die Anleger erwirtschaftet zu haben. Die Unternehmensgruppe kombiniert also inmitten der Finanzkrise geschickt zwei Dinge miteinander, um Vertrauen zu erwecken. Und zwar die nach Fukushima besonders gut bewertete Wachstumsbranche der Erneuerbaren Energien und eine scheinbar gute Bilanz.

Prokon Werbung Prokon_Werbung 2

In Wirklichkeit handelt es sich aber um dreiste Bauernfängerei. Es ist zwar richtig, dass Prokon diese Rendite vorweisen kann. Das liegt aber nicht daran, weil die Windenergie so profitabel ist, sondern weil es dem Unternehmen gelungen ist und immer noch gelingt, ausreichend frisches Kapital einzuwerben, mit dem in neue Windparks investiert werden kann.

Nach dem Motto „alles aus einer Hand“ übernimmt Prokon die Entwicklung seiner Windparks selbst, baut sie mit frischem Geld der Anleger und kann dieses so als Umsatz verbuchen. Mit anderen Worten: Die Unternehmensgruppe aus Dutzenden Gesellschaften bestreitet einen ansehnlichen Teil ihrer Umsätze aus dem steten Nachschub des Anlegergeldes.

Quelle: Handelsblatt

Die tolle Rendite ist wesentlich vom Kapital Dritter und damit von der Werbung für das Produkt abhängig. Denn sollte der Geldstrom versiegen oder gar abgezogen werden, sinken auch die Renditen und das Risiko eines Totalverlusts nimmt zu. Dagegen sind Anleger nicht geschützt. Denn Prokon bietet weder eine Einlagensicherung, noch eine Garantie auf den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Auf der Unternehmenswebseite verweist der Anbieter auf die Verbraucherinformation, die dem Zeichnungsschein beiliegt. Darin finden sich folgende Passagen, die in den Werbeflyern bewusst unterschlagen werden.

§ 5 Grundverzinsung, Gewinn- und Verlustbeteiligung 2. Das auf das Konto der Emittentin eingezahlte Kapital wird mit einer jährlichen Grundverzinsung in Höhe von 6 % des jeweiligen Nennbetrages verzinst. Durch die Grundverzinsung des Genussrechtskapitals darf sich jedoch kein Jahresfehlbetrag ergeben. Reichen der Jahresüberschuss und die Liquidität der Emittentin zur Zahlung oder Gutschrift (Thesaurierung) gemäß § 6 der Grundverzinsung des Genussrechtskapitals nicht oder nicht ganz aus, reduziert sich der auf das jeweilige Jahr entfallende Ausschüttungs- bzw. Gutschriftsbetrag entsprechend. Für nicht oder nicht vollständig ausgezahlte bzw. gut geschriebene Grundverzinsungsbeträge besteht jedoch ein Nachzahlungsanspruch, vorausgesetzt, der Jahresüberschuss und die Liquidität der Emittentin reichen für die Bedienung des Anspruches aus. […] 5. Weist die PROKON Regenerative Energien GmbH & Co. KG in ihrem Jahresabschluss einen Jahresfehlbetrag aus, wird dieser nach vollständiger Aufzehrung der gesetzlichen und eventuellen gesellschafts vertraglichen Rücklagen zunächst bis zur Höhe des vorhandenen Kommanditkapitals dem Kommanditisten zugewiesen. Sollte die Emittentin darüber hinausgehende Verluste ausweisen, nimmt das Genussrechtskapital daran bis zur vollen Höhe durch entsprechende Verminderung des Genussrechtskapitals teil. Die Rückzahlungsansprüche der Genussrechtsinhaber vermindern sich entsprechend.

Das heißt, die Verzinsung ist nicht garantiert, sondern nach unten variabel. Der Nachzahlungsanspruch läuft ebenfalls ins Leere, wenn die Überschüsse nicht ausreichen. Und im Falle einer Insolvenz werden zuerst die Forderungen der Kommanditisten bedient. Die Genussrechtsinhaber dürfen derweil den Verlust ihrer Anlage genießen.

Zwar verzichtet Prokon inzwischen auf die vom Landgericht Itzehoe beanstandeten Formulierungen wie „Die Alternative zur Bank oder Lebensversicherung“, „Geldanlage, die Sicherheit und Stabilität bietet“, „Sicherheit zum Anfassen“ oder „sichere Einnahmen”, nutzt aber gezielt die Antiatomkraftstimmung nach Fukushima aus, um eine riskante Anlage zu verkaufen, die für Leichtgläubige rasch zu einem Super-GAU werden könnte.


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Das sonderbare Coming-Out von Wolfgang Schäuble

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Eine der am wenigsten zur Kenntnis genommenen Nachrichten am gestrigen Mittwoch war das Coming-Out von Finanzminister Wolfgang Schäuble, der im Anschluss an eine Unterredung mit seinem amerikanischen Amtskollegen Jack Lew einmal mehr offenbarte, dass er von Finanzen und Wirtschaftspolitik keine Ahnung hat. Schäuble wies die Kritik von Lew an den hohen deutschen Handelsüberschüssen, die im November laut statistischem Bundesamt noch einmal zulegten, erwartungsgemäß zurück. Die Begründung bleibt abenteuerlich.

Schäuble machte gar nicht erst den Versuch, die nachweislich nur so vor sich hin dümpelnde Binnenkonjunktur als wesentliche Stütze der Wirtschaft und damit als Gegenargument groß aufzublähen (ich komme weiter unten darauf zurück), er meinte vielmehr in einem Akt der Hilflosigkeit, dass das amerikanische Defizit nicht dadurch geheilt werden könne, wenn Deutschland auf seine Überschüsse verzichten und die Eurozone als Ganzes ebenfalls ein Defizit ausweisen würde. Dem deutschen Finanzminister scheint immer noch nicht klar zu sein, dass alle weder Überschüsse noch Defizite zur gleichen Zeit in ihren Handelsbilanzen haben können.

Die simple Logik, dass der Defizitsünder solange existieren muss, wie sich der Exportsünder an seine Überschüsse klammert, braucht nicht länger wiederholt zu werden, sondern dürfte inzwischen jedem klar sein. Ein Abbau der deutschen Überschüsse hätte entgegen der Behauptung Schäubles direkte Auswirkungen auf die Leistungsbilanz anderer Staaten, die dann erst in die Lage kämen, die über Jahre angehäuften Forderungen der Deutschen, nichts anderes sind die erzielten Überschüsse ja, Schritt für Schritt zurückzuzahlen.

Für Schäuble ist das allerdings keine Alternative. Er zündet lieber Nebelkerzen und behauptet, dass das Modell der Haushaltskonsolidierung erfolgreich und auch nachhaltig sei. Die mickrigen Wachstumsraten von 0,7 Prozent in 2012, erwarteten 0,4 Prozent für 2013 und völlig unrealistischen 1,8 Prozent für 2014 sprechen aber eine andere Sprache. Der Sparkurs der Bundesregierung wird scheitern, während sich die expansive Geldpolitik der Amerikaner mit durchschnittlichen Wachstumsraten um die zwei Prozent in den Jahren 2010 bis 2013 weiterhin auszahlen wird.

Amerika steht deutlich besser da als Deutschland. Hiesige Medien sprechen dennoch von einem Duell der Meister, bei dem eisernes Sparen auf der einen Seite und die Geldflut auf der anderen Seite gleichermaßen zur Überwindung der Finanzkrise beigetragen hätte. Der volkswirtschaftliche Analphabetismus hierzulande verstellt dabei den Blick auf die Realitäten. Wenn der Außenbeitrag infolge des Spardogmas innerhalb Europas schrumpft, laut Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute wird der Saldo aus Ex- und Importen mit –0,3 Prozent auf das Wachstum drücken, wirkt natürlich der im Vergleich zu 2012 nahezu gleich gebliebene Wachstumsbeitrag des privaten Konsums von 0,5 Prozent wie eine starke Stütze der Konjunktur.

Um aber dem negativen Effekt des Außenbeitrages etwas entgegensetzen zu können, ist eine sehr viel höhere Binnennachfrage notwendig. Eine Steigerung von Konsum und Investitionen ist aber nur dann realistisch, wenn auch die Löhne deutlich zulegen. 2013 stiegen die Nettolöhne laut Herbstgutachten um 2,9 Prozent mit dem Ergebnis, dass der private Konsum mit 0,5 Prozent zur Wirtschaftsentwicklung beitragen soll. Für 2014 gehen die Experten nun von einem Anstieg der Nettolöhne um 3,1 Prozent aus und verknüpfen damit gleichzeitig einen fantastischen Sprung des privaten Konsum-Beitrages auf 0,8 Prozent. Kombiniert mit einer erwarteten Zunahme der Investitionen in Anlagen um 0,9 Prozent (-0,1 Prozent in 2013) ergibt sich dann ein prognostiziertes Gesamtwachstum von 1,8 Prozent.

Die kaum hinterfragten Schätzungen der amtlich bestellten Konjunkturexperten, die nicht nur widersprüchlich argumentieren, sondern in beständiger Regelmäßigkeit daneben liegen, haben dennoch dazu geführt, dass alle wieder von einem bevorstehenden Aufschwung reden und etwas anderes unmöglich erscheint. Die Amerikaner bezweifeln das und finden, dass die Bundesregierung mehr für eine Stärkung der Binnennachfrage tun müsse, um auch Impulsgeber für die in der Rezession verharrende europäische Wirtschaft aber auch die Weltkonjunktur zu sein. Dabei mutet es schon komisch an, wenn Schäuble auf den Mindestlohn und Investitionen in die Infrastruktur verweist, die noch lange nicht beschlossen sind und über deren Ausgestaltung gerade ein Kampf quer durch die Koalitionsfraktionen tobt.

“Wir führen unsere Gespräche nicht, um uns gegenseitig Zensuren zu verteilen, sondern um uns besser zu verstehen”, sagte Schäuble schließlich. Diese Worte dürften den Südeuropäern einschließlich Frankreich als sonderbares Coming Out erscheinen. War es doch bisher gerade die Politik der Deutschen, einseitig Zensuren, Empfehlungen und Auflagen zu verteilen, nicht um Verständigung zu erzielen, das haben die Rechthaber in Berlin ja nicht nötig, sondern um den anderen zu verstehen zu geben, wer in Europa 100 Jahre nach Ausbruch des ersten Weltkrieges wieder etwas zu Sagen haben will.

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Verlogene europäische Wertegemeinschaft

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Der Populismus der CSU in Sachen Zuwanderungspolitik transportiert auch eine weitere Botschaft, die von den Kritikern nicht oder kaum infrage gestellt wird. Es bleibt nämlich der Eindruck zurück, das deutsche Sozialsystem sei besonders attraktiv, da üppig ausgestattet. Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Spätestens mit der Agenda 2010 ist das soziale Netz der Absicherung in Deutschland regelrecht sturmreif geschossen und durchlöchert worden. Das Misstrauen gegenüber den Leistungsempfängern, die bloß noch als Bittsteller betrachtet werden,  egal woher sie kommen, gehört zur Tagesordnung.

Dass bei der Festlegung der Regelsätze gegen die Verfassung verstoßen wurde, ist höchstrichterlich bestätigt worden. Zuletzt wertete das Bundesverfassungsgericht auch die Ungleichbehandlung von Asylbewerbern, denen der Gesetzgeber bislang noch weniger als den üblichen Regelsatz zubilligte, als grundgesetzwidrig. Die Karlsruher Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass das Existenzminimum für alle gleich zu gelten habe, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen.

Bei der aktuellen Debatte geht es diesmal ja nicht um Flüchtlinge, deren Bekämpfung, laut Merkel, erfolgreich an den Außengrenzen Europas betrieben werden müsse, sondern um Menschen, die als EU-Bürger und damit EU-rechtskonform und ganz legal nach Deutschland einreisen, hier leben und auch arbeiten dürfen. Aber warum sollten das Armutszuwanderer sein? Diese Bundesregierung sorgt doch höchst selbst dafür, dass die Menschen, die schon hier leben, zunehmend verarmen. Laut dem kürzlich vorgelegten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist beinahe jeder Siebte in Deutschland betroffen und lebt an der Armutsgrenze.

Von einer Migration in die sozialen Sicherungssysteme kann also keine Rede sein, da die Systeme weder sozial organisiert sind, noch etwas nachhaltig absichern. Denn mit dem Sanktionsparagraphen § 31 im Sozialgesetzbuch II kommt ein perfides wie legales Machtinstrument der Behörden hinzu, das weniger mit Sicherheit als mit Bedrohung zu tun hat. Man muss wohl eher davon ausgehen, dass Zuwanderer die Repressalien eines vermeintlichen sozialen Sicherungssystems sehr genau kennen und deshalb lieber einen freizügigen Bogen um Deutschland machen werden.

Demnach kann auch keiner das Sozialsystem oder den deutschen Staat betrügen. Es gibt keine ausländische Invasion, sondern eine Kluft zwischen Diskurs und Realität. In diesem Diskurs verfolgt die Bundesregierung höchst unterschiedliche Strategien. Während sie auf der einen Seite die Mitgliedsstaaten dazu auffordert, die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern wie Rumänien und Bulgarien zu verbessern, um armutsbedingten Wanderungsbewegungen innerhalb der EU entgegenzuwirken (siehe Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag vom 26.04.2013), unterstützt Kanzlerin Merkel andererseits eine knallharte Reform- und Kürzungspolitik, die beispielsweise in Rumänien 2012 zu einer Verschärfung der Wirtschaftskrise führte.

Als der rumänische Präsident Traian Basescu, der an dem neoliberalen Kurs kompromisslos festhalten wollte, von einer parlamentarischen Allianz aus Liberalen, Sozialdemokraten und Konservativen unter Premierminister Victor Ponta des Amtes enthoben wurde, reagierte Merkel umgehend und ließ in Berlin den rumänischen Botschafter einbestellen. Sie forderte mehr Rechtsstaatlichkeit und zeigte sich tief besorgt ob der innenpolitischen Vorgänge, drohte sogar an, Konsequenzen vonseiten der EU mittragen zu wollen. Schließlich war die marktkonforme Demokratie in Gefahr. Konflikte, so der damalige Außenminister Westerwelle, dürften nicht auf Kosten “grundlegender europäischer Werte” ausgetragen werden.

Europäische Werte also, die den rumänischen Bürgern, die gleichzeitig Bürger der Europäischen Union sind nun verwehrt werden sollen. Einige deutsche Schreihälse fordern in ihrer veritablen Fremdenfeindlichkeit sogar, Fingerabdrücke von Einwanderern nehmen zu lassen, damit man diese gleich erkennt, wenn sie in die Sozialkassen greifen wollen. Wieso fordert dann eigentlich keiner, Fingerabdrücke von Bankern zu nehmen, die ganz offen und unverblümt ins Steuersäckel greifen, um die Verluste ihrer angeblich systemrelevanten Finanzgeschäfte ausgleichen zu können? Hier ist die Wiederholungsgefahr doch deutlich höher, wie auch die Beträge, die aufgebracht werden müssen, um den Einsturz der auf Sand zu hoch gebauten Bankhäuser bis zur nächsten Wahl hinauszögern zu können.

Ich glaube es ist Zeit, einmal die Rechtsstaatlichkeit Deutschlands etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Pelzig sagt, es ist eine durch und durch verlogene europäische Wertegemeinschaft. Bitteschön.

Neues aus der Anstalt vom 27. August 2013
Neues aus der Anstalt vom 27. August 2013
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Jahresrückblick Teil 4

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Das letzte Quartal 2013 dürfte allen noch gut in Erinnerung sein, war es doch geprägt von der Bildung einer weiteren Großen Koalition des “Weiter so” in diesem Land. Was es inoffiziell schon seit der Durchsetzung der Agenda-Politik ab dem Jahr 2002 im Vermittlungsausschuss gab, wurde nun auch formal ein weiteres Mal per Koalitionsvertrag besiegelt. Dass die FDP endlich aus dem Bundestag flog, ist zwar erfreulich, ändert aber nichts an der neoliberalen Grundausrichtung der Politik, um die es im vierten und letzten Teil des Jahresrückblicks auch gehen soll.

Oktober 2013

Der Deutsche hat sich im neuen Biedermeier eingerichtet und will von Krise, Altersarmut, zerbröselndem Gesundheits- und Pflegesystem sowie kaputten Straßen und der vermurksten Energiewende nichts wissen. Die Deutschen sind wild entschlossen, Angela Merkel gut zu finden. Hätte die Kanzlerin den fleischlosen Tag vorgeschlagen, alle hätten ihr zu Füßen gelegen und sofort Rezepte in allen sozialen Netzwerken gepostet anstatt zu protestieren. Fernsehsendungen wie die lange Kochnacht mit Lanz und Lafer hätte es gegeben wie auch eine vegane Sonderausgabe der Bildzeitung. Der Deutsche mag seine “Queen Mum” lieber als die Demokratie. Deshalb hat er auch so gewählt. So lautet das nüchterne Analyse der Kabarettisten in der letzten Ausgabe von Neues aus der Anstalt.

Die Fassade bröckelt dennoch weiter. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Herbstbelebung fällt aus und der Fachkräftemangel ist offenbar doch nicht so dramatisch, wenn Siemens und andere Unternehmen aus Wachstumsbranchen dem Arbeitsmarkt mal wieder eigene Mitarbeiter im großen Stil zur Verfügung stellen können. Nur in der Bundesregierung gilt das Versteinerungsprinzip, das alle unfähigen Ministerinnen und Minister auf ihren Posten belässt, bis andere Versager und Wahlverlierer, die zunächst unerkannt bleiben wollen, die Ämter freudestrahlend übernehmen. Die gewählten Abgeordneten bleiben dabei kastrierte Wackeldackel, die im Parlament herumhocken und an der kurzen Leine ihres Listenplatzes gehalten werden, sagt Pispers.

November 2013

Die SPD will in die Koalition. Doch keiner weiß so recht, worüber die Sozialdemokraten mit der Union eigentlich verhandeln. Die SPD Basis sollte sich dennoch nicht so anstellen und auf keinen Fall erwarten, dass Angela Merkel einen Koalitionsvertrag unterschreiben würde, der die Handschrift der SPD trage. Die SPD könne es sich nicht leisten, alles oder nichts zu sagen, so Parteichef Gabriel. Das gelte wenn überhaupt nur für die Pöstchen, die es nur auf Augenhöhe geben dürfe. Die SPD müsse also nach dem Motto verfahren, das Pelzig treffend so formulierte: Die Kanzlerin macht alles falsch, aber wir unterstützen sie dabei – aus Sorge um Deutschland.

Die Sorge um Deutschland ist berechtigt, aber aus einem anderen Grund. Und zwar dem Irrglauben, der die Wirtschaftspolitik weiter bestimmt. Statt über die Folgen der düsteren Aussichten innerhalb der Eurozone zu beraten und einen Masterplan zu entwickeln, reden 75 Leute am Verhandlungstisch lieber über die Förderung von Internet-Geschäftsideen. Die Kritik des Auslands an den enormen deutschen Überschüssen in der Leistungsbilanz ist kein Thema. Es fehlt der Sachverstand, um die Tragweite einer Fehlentwicklung zu begreifen. Die Kirche mit ihrem Gott ist nichts gegen die absurde Gläubigkeit der Deutschen an die herausragende Qualität ihrer Waren auf dem Weltmarkt, bei denen der Preis angeblich keinerlei Rolle spielen soll.

Als Antwort auf die berechtigte Kritik von außen, bekommt der Michel, der ohnehin nicht sonderlich helle zu sein scheint, weil er es offenbar liebt, den eigenen Gürtel immer enger schnallen zu dürfen, dummdreiste Deutschtümelei serviert. Das relative Konstrukt der Wettbewerbsfähigkeit sowie der weltweite Handel werden dabei kurzerhand in ein Schlachtfeld umgedeutet, auf dem Deutschland seine gute Wettbewerbsposition mit aller Macht verteidigen müsse. Diese ist bei näherer Betrachtung aber nicht auf fairen Wege, sondern unter dem dauernden Verstoß gegen Regeln in der Währungsunion zustande gekommen.

Pelzigs Analyse über die Methoden der Meinungsmache war deshalb genial. Allein schon der Satz, dass Ökonomen wie Theologen sind, die nicht wissen, dass sie alles nur glauben, gehört in ein Lehrbuch über diese Zeit. Früher war die Wissenschaft frei, heute ist sie frei verkäuflich und das nutzt die wachsende PR-Industrie natürlich aus, um das starke Gegenlicht zu erzeugen, dessen greller Schein das Licht der Wahrheit locker überstrahlt. Und das Volk sitzt in seinem Wohnzimmer, der möblierten Uckermark, und lehnt die Wahrheit ab. Die Zinsentscheidung der EZB und die Warnung vor der Deflation, die nur mit dem Scheitern der bisherigen Rettungspolitik zu erklären ist, verstehen da die wenigsten.

“Für ausländische Beobachter mutet es kurios an, mit welcher Detailversessenheit die deutschen Parteien ihre Koalitionsverträge aushandeln, als seien diese notariell beglaubigte Rechtsdokumente und nicht letztlich unverbindliche politische Absichtserklärungen. So blieb auch von den hochgemuten Vereinbarungen der schwarz-gelben Vorgängerregierung im Alltag nicht viel mehr übrig als ein Haufen Papier” schrieb die Neue Züricher Zeitung und trifft den Nagel auf den Kopf. Denn wer Schuldenbremse und Fiskalpakt für alternativlos hält, ist zur Tatenlosigkeit verdammt, obwohl eine andere Politik unter günstigen Mehrheitsverhältnissen möglich gewesen wäre.

Was im November bleibt, sind mal wieder Wirre Trends in Prozent und Kampagnen hüben wie drüben, die jeweils auf das gleiche Ergebnis abzielen, nämlich die Zustimmung aller zur Großen Koalition, obwohl sie inhaltlich nicht das liefern kann, was sich die Mehrheit der Bürger gerne wünscht. 

Dezember 2013

Seit Dezember, Sie wissen es genau, steht die Koalition der großen Coups. Pünktlich zum Fest und buchstäblich in der letzten Minute präsentierten die Verhandlungspartner Ergebnisse, über die, wie könnte es auch anders sein, im Verlauf der Legislaturperiode noch einmal verhandelt werden müsse. Das Trommelfeuer gegen den in weiter Ferne liegenden Mindestlohn hat schon begonnen, denn Ökonomen ohne Sachverstand fürchten ihn schon jetzt. Derweil verfolgt die Kanzlerin unbeeindruckt vom Koalitionsvertrag und ohne großen Widerstand ihres neuen Koalitionspartners auch weiterhin ihr Ziel einer Troika für alle in Europa. Die Staats- und Regierungschefs sollen sich auf ein deutsches Europa verpflichten und jedes Jahr neoliberale Reformen umsetzen, die von der EU-Kommission streng überwacht werden.

In ihrer ersten Regierungserklärung als neugewählte Kanzlerin offenbarte Angela Merkel noch einmal ihre Uneinsichtigkeit, was volkswirtschaftliche Zusammenhänge anbelangt. Deutsche Interessen zu Lasten anderer haben Vorrang vor der Vernunft und einem friedlichen Europa, das auf den vermeintlichen Musterknaben verzichten müsste, weil er die Eurozone nur dazu missbraucht, sich einen unberechtigten Wettbewerbsvorteil zu erschleichen. Der Artikel Verzerrte Wahrnehmung des verzerrten Wettbewerbs geht auf diesen Punkt noch einmal ein.

Verzerrt war auch die Wahrnehmung bei der überraschenden Haftentlassung von Michail Chodorkowski, der mit dem Firmenjet in die Freiheit flog und in Deutschland eine Zuflucht fand. Im Checkpoint Charly, mehr entrückte Symbolik geht eigentlich nicht, gab er vor der versammelten Weltpresse Auskunft über nichts. Seitdem klar ist, dass der Ex-Milliardär nur seinem Geld in die Schweiz hinterherreisen will, ebbt der Hype um ihn ab. Dabei wäre es gerade jetzt interessant, etwas über die kriminellen Machenschaften des ehemaligen Oligarchen zu erfahren, derentwegen er völlig zu Recht in Russland angeklagt und verurteilt worden war. Jedenfalls fand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keinerlei Beweise für eine politische Motivation im Fall Chodorkowski.

Für die deutschen Medien war unterdessen klar. Ein Kreml-Kritiker ist etwas anderes als ein Whistleblower. Edward Snowden sitzt nach wie vor in Russland fest, einem Land, das nach deutscher Lesart nicht viel von Rechtsstaatlichkeit hält. Dennoch sind die Genschers rar, die bereit wären, ihm ein Visum und einen Firmenjet zur Verfügung zu stellen, um ihn für ein wesentlich gehaltvolleres Gespräch nach Deutschland zu holen.

Das und die alberne Konsumpropaganda an Weihnachten war es auch schon für dieses Jahr. Damit endet der Jahresrückblick 2013 in vier Teilen. Eine abgeschlossene Mission sieht freilich anders aus. Denn die Lage ist weiterhin trostlos. Aber rückblickend kann ich mit Priols Worten sagen. “Non, je ne regret rien.”

Mission Accomblished

In diesem Sinne, auf ein Neues.

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Jahresrückblick Teil 3

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Ohne Schulden läuft auch nichts in einer Volkswirtschaft. Gegen diese simple ökonomische Notwendigkeit kämpft die deutsche Öffentlichkeit mit seinen Voodoo-Ökonomen seit Jahren erfolgreich an. Schulden sind schlecht und Sparsamkeit eine Tugend. Dass das eine nie ohne das andere funktionieren kann, lässt die verbohrte Ideologie nicht zu. Darum soll es unter anderem im dritten Teil des Jahresrückblicks gehen, an dessen Ende auch das politische “Weiter so” in Form der sich abzeichnenden GroKo steht.

Juli 2013

Die wahlkämpfenden Parteien sind sich einig, die Zukunft dürfe nicht um den Preis höherer Schulden erkauft werden. Doch wie sollen kaputte Straßen und Schulen wieder instand gesetzt werden? Mit Geld natürlich, das einerseits der Staat und andererseits die Privatwirtschaft zur Verfügung stellen soll. Das Zauberwort heißt immer noch ÖPP. Union und SPD sind beide an ihre Schuldenbremse gebunden, die sie am Ende der letzten großen Koalition 2009 mit Zweidrittelmehrheit ins Grundgesetz haben schreiben lassen. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es daher zu den Öffentlich-Privaten Partnerschaften:

Öffentlich-Private Partnerschaften

Die Fortentwicklung von Öffentlich-Privaten-Partnerschaften (ÖPP) braucht einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Wir wollen die Möglichkeiten der Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Geldgebern oder Infrastrukturgesellschaften als zusätzliche Beschaffungsvariante nutzen, wenn dadurch Kosten gespart und Projekte wirtschaftlicher umgesetzt werden können. Dies muss ebenso wie bei Betriebsvergaben in jedem Einzelfall transparent und unabhängig nachgewiesen werden. Wir gestalten ÖPP mittelstandsfreundlicher aus. Die Methodik der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen werden wir evaluieren und standardisieren.

Dieser Passus beschreibt etwas Unmögliches. Zum einen können ÖPP-Modelle niemals wirtschaftlicher sein, wie die Rechnungshöfe wiederholt bestätigt haben, da nur die öffentliche Hand den zinsgünstigsten Kredit am Markt aufnehmen kann, während der private Geldgeber neben den höheren Kosten für einen Kredit auch eine Rendite erwirtschaften muss. Zum zweiten ist die geforderte Transparenz bei geheimgehaltenen Vertragswerken, die zudem mehrere tausend Seiten umfassen können, defacto ausgeschlossen. Dennoch braucht es das Konzept der Öffentlich-Rechtlichen Partnerschaft, um die absurde Schuldenbremse weiter rechtfertigen zu können und das Problem der teuren Rechnung in die Zukunft zu verlagern.

Wir brauchen höhere Steuern und höhere Schulden, um der Jugend, die ihrer Gegenwart bereits beraubt wurde, nicht auch noch die Zukunft zu nehmen, schrieb ich am 4. Juli. So eine Forderung ist unpopulär und wird mitunter als widersinnig angesehen, da alles und jeder in dieser Gesellschaft wie in der Politik nach ausgeglichenen Haushalten strebt. Eine schwarze Null ist das Pfund, mit dem jede Bundesregierung für sich wirbt. Doch haben auch ausgeglichene Haushalte und das permanente Suchen nach einer Begrenzung staatlicher Ausgaben ihren Preis, den jemand bezahlen muss. Das wird immer verschwiegen, wenn Politiker, die über den Staatshaushalt bestimmen, rein betriebswirtschaftlich denken.

Die schwarze Null in Deutschland, wenn sie denn kommt, ist teuer erkauft. Was in der Bilanz nach Stabilität aussieht, bröckelt in der realen Welt als Putz sprichwörtlich von den Wänden. Bund, Länder und Kommunen schieben einen riesigen Investitionsbedarf bei Straßen, Schulen und sozialen Einrichtungen vor sich her. So hübsch die Zahlen auch sein mögen, sie können nicht über die maroden Zustände der öffentlichen Infrastruktur hinwegtäuschen. Auf die ist die Jugend von heute wie auch in der Zukunft aber angewiesen.

Statt dieser einfachen Logik zu folgen und den Kurs der Kanzlerin für gescheitert zu erklären, schlich man lieber auf leisen Sohlen durchs Sommerloch oder beschimpfte die anderen Europäer, die nur das segensreiche deutsche Modell zu übernehmen bräuchten, um erfolgreich aus der Krise zu kommen.

Wie Lettland zum Beispiel, dessen Beitritt heute zur Währungsunion von den neoliberalen Pfeiffen bereits im Juli 2013 freudig erwartet wurde. Das Land habe alles richtig gemacht und Haushaltsdisziplin mit Reformen kombiniert. Allerdings musste Lettland mit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 den stärksten Wirtschaftseinbruch aller EU-Staaten hinnehmen (-4,6 Prozent und –18 Prozent im Jahr 2009). Die Arbeitslosenquote stieg auf 21 Prozent. Es folgte ein radikales Kürzungsprogramm. Rund 30 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurden entlassen und dem Rest das Gehalt um 40 Prozent gekürzt.

340.000 Letten wanderten daraufhin aus. Das sind etwa 14 Prozent der Gesamtbevölkerung, die der baltische Staat seit dem Jahr 2000 verlor. Die Arbeitslosenrate sank also, weil die Menschen fluchtartig das Land verließen. Wären diese Menschen noch da, es gäbe nichts zu bejubeln für die neoliberalen Pfeifen aus den Medien und dem Schloss Bellevue. Lettland gehört zwar zu den Staaten der EU, in denen die Wirtschaft am rasantesten wächst. Allerdings nimmt auch die Armut im Vergleich am schnellsten zu. Weit über 20 Prozent der lettischen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze oder müssen erhebliche materielle Einschränkungen in Kauf nehmen.

August 2013

Im August war Urlaubszeit angesagt, doch im Mainzer Stellwerk ging gar nichts mehr. Ein inzwischen abgewählter Wichtigtuer meldete sich zu Wort und forderte die gesunden Kollegen auf, ihren Urlaub sofort abzubrechen, um im Stellwerk für eine freie Fahrt der deutschen Wirtschaft zu sorgen. Die heiße Wahlkampfphase wurde eingeläutet und mit allerhand Absurditäten, wiederum durch die Demoskopen hervorgerufen, aufgeblasen. Eine Prognose über die Wahlbeteiligung wagte keiner, obwohl der Trend zur Wahlenthaltung offenkundig ist.

Im Sommerinterview der ARD gab es endlich mal zwei richtig gute Fragen, die aber nicht die Herren Moderatoren Deppendorf und Becker stellten, sondern ihr Gesprächspartner Gregor Gysi. Insgesamt waren den Deutschen Burgerrechte wichtiger als Bürgerrechte, wie die Aufregung um den Veggie-Day einerseits und das Desinteresse am NSA-Skandal  andererseits eindrucksvoll belegt. Die Meisterin der Hirntäuschung, Angela Merkel, lässt ihre Angreifer dabei gekonnt ins Leere laufen. Links andenken und rechts vorbeiregieren, das sei die Strategie der Kanzlerin, meinte etwa Volker Pispers in seiner Dienstagsglosse auf WDR 2, die es inzwischen nicht mehr gibt. Und die SPD, sie habe versucht, den Fußspuren Brandts nachzulaufen, um darin verstecken zu spielen.

Die Frage Krieg oder Frieden in Syrien beantwortete die SPD wie auch die Bundesregierung mit einem klaren Jein. Getrieben von den Medien, die einen Militärschlag regelrecht herbeisehnten, durfte es ja keine Solidaritätsbekundung mit dem Kurs der Linken im Wahlkampf geben, die den Spuren Brandts konsequent folgend, ein militärisches Eingreifen klar ablehnten. Eine verlogene Haltung sei anscheinend besser zu ertragen gewesen als die wage Aussicht auf ein Bündnis, das auf Angela Merkel als Kanzlerin verzichten könnte.

Den Deutschen dürfe man schließlich die Zufriedenheit durch so etwas wie die Realität nicht wegnehmen. Die Jugend saufe offenbar so viel, dass die Alten vom Flaschenpfand noch leben können. Das sei ein echter sozialer Ausgleich, findet Christoph Sieber in Neues aus der Anstalt. Die Beschönigungen der wirtschaftlichen Lage werden rund einen Monat vor der Wahl noch einmal in geballter Form aus allen denkbaren Richtungen abgefeuert. Deutschland geht es gut, lautet die Botschaft, obwohl es auch andere Stimmen gab, die weitgehend ungehört blieben.

Deutschland unterliegt einer gefährlichen Illusion, hatte der Chef des Berliner Forschungsinstitut DIW, Marcel Fratzscher, Anfang August gesagt. “In einer langfristigeren Perspektive hält die These, dass es uns wirtschaftlich so gut geht, der Wirklichkeit nicht stand”, meint der Ökonom. Mit Fakten untermauerte er seine Behauptung, die weitestgehend ungehört blieb:

70 Prozent der Arbeitnehmer haben heute niedrigere Reallöhne als noch vor zehn Jahren. Auch die Produktivität, die Deutschland gern von anderen Ländern einfordert, habe sich seit 1999 verschlechtert, und die Investitionsquote sei in diesen Jahren von über 20 Prozent auf 17 Prozent gesunken.

September 2013

Im September bestimmte die Halskette alle Diskussionen, nicht aber das blanke Entsetzen, das ein TV-Duell hätte auslösen müssen. Darin sah es Merkel als ihre Pflicht an, sich um die inneren Angelegenheiten Griechenlands zu kümmern, gleichwohl bezeichnete sie das Ergebnis dieses Kümmerns, nämlich eine Rezession mit über 50, jetzt schon über 60 Prozent, Jugendarbeitslosigkeit als ganz normalen Zyklus. Sie fabulierte von zarten Pflänzchen des Wachstums, wo die Journalisten im Studio eine zertrampelte Mondlandschaft hätten erkennen und ansprechen müssen.

Die SPD, die bisher als verlässliche Stütze dieser Merkelschen Zerstörungspolitik in Europa galt und brav alles mitbeschloss, sah sich nun einem Liebesentzug der Kanzlerin ausgesetzt. Total unzuverlässig sollen die Sozialdemokraten sein, ließ Merkel in einem Interview verlauten. Um ihre Treue zu Merkel zu beweisen, posaunten die Genossen fortan immer lauter hinaus, dass sie all die schrecklichen wie sinnlosen Rettungspakete der Kanzlerin doch mitgetragen hätten, um sich noch vor der staatspolitischen Verantwortung ihrer Gunst zu versichern.

Diese naive Hoffnung wurde bitter enttäuscht und die führenden Genossen kochten vor Wut, weil sie nicht so behandelt werden wollten, wie sie es mit der Linkspartei tun. Schließlich haben die Spezialdemokraten alles unternommen, um dem Establishment, den Lobbyisten und den Bossen zu gefallen. Sie haben alles gemacht, was der neoliberale Mainstream wollte und damit die eigene Wählerschaft vergrault. Zum Schluss haben sie sogar wie gewünscht den Steinbrück nominiert und eine beispiellose Demontage erlebt. Es ist klar, dass der Liebesentzug der Kanzlerin da besonders schmerzt. Die SPD hat ja sonst niemanden mehr.

Verlässliche Außenpolitik, das sei aber der Markenkern aller Parteien rechts von der Linken. Beim G 20 Treffen in Russland und der nachfolgenden Konferenz der EU-Außenminister wurde allerdings ein gescheitertes taktisches Spielchen offenbar, bei dem nicht nur die Kanzlerin, sondern auch Teile der Opposition ziemlich dümmlich und international isoliert aus der Wäsche guckten. Grund war wieder der Wahlkampf von Merkel und ihre Strategie, sich möglichst nicht auf eine Position festnageln zu lassen, die den Partnern allmählich auf den Geist zu gehen zu schien.

Am Tag der Wahl war schließlich klar, was schon galt, als Steinbrück die Spitzenkandidatur für die SPD übernahm. Die Rückkehr der Großen Koalition mit ihren alten Zöpfen. Nicht regieren, sondern mitregieren, dass war von Anfang an das erklärte Ziel der gelernten Karrieristen in der SPD. Bis zuletzt fabulierten sie über einen rot-grünen Wahlsieg, um dann gleich nach Bekanntgabe der ersten Prognose wohl sortiert und ohne sonderlich überrascht zu wirken, Frau Merkel zum Spielen eines Balles aufzufordern.

Alle Parteien betonten, wie sehr es ihnen doch jetzt um Inhalte gehe. Wie ein Schutzschild trugen sie den Begriff vor sich her. Dabei ging es bei dem Geplapper wohl mehr um eine Sprachregelung zwischen den Parteien, die miteinander koalieren müssen, weil sie eine Mehrheit von Inhalten und damit links von und ohne Angela Merkel an der Spitze kategorisch ausgeschlossen hatten.

– Ende Teil 3 –

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Jahresrückblick Teil 2

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Ein frohes und gesundes neues Jahr. Wie angekündigt, geht es an dieser Stelle mit dem Jahresrückblick 2013 weiter. Teil 2 steht an und der beschäftigt sich auch mit der absurden Meinungsforschung, die statt Klarheit zu vermitteln vor allem Widersprüchlichkeit liefert. Jörg Schönenborn, das Gesicht der Umfrage-Hybris, musste bei der Niedersachenwahl im Januar zugeben, dass er sich das Ergebnis eigentlich nicht erklären könne. Nach der ersten Prognose meinte er fassungslos: „Ich habe selten eine so kompetenzlose FDP mit einem so guten Ergebnis erlebt.“ Kompetenzlosigkeit ist in diesem Zusammenhang auch die treffende Beschreibung für Demoskopen, die im Jahr 2013 versuchten, die politische Stimmung abzubilden und damit einmal mehr jämmerlich scheiterten.

April 2013

Die meinungsforschende Widersprüchlichkeit setzte sich im April fort. Denn obwohl sich die FDP deutlich unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde bewegte, galt sie lange Zeit noch dem schwarz-gelben Lager zugehörig, welches dem rot-grünen Lager gegenübergestellt wurde. Die Linke, die inzwischen den Oppositionsführer stellt, spielte erwartungsgemäß keine Rolle, sondern erst dann, als die Konservativen kurz vor der Bundestagswahl das Schreckgespenst eines rot-rot-grünen Bündnisses mal wieder aus der Mottenkiste holten. Es könne sein, so Merkel warnend, dass es ein böses Erwachen mit Rot-Rot-Grün gebe. Dieses Erwachen gab es tatsächlich, doch es war weder böse, noch ein ernsthaftes Problem für Merkel und die Union, die sich immer auf ihre Sozialdemokraten verlassen konnte.

Die Botschaft, das Merkel Kanzlerin bleiben werde und müsse, triefte vor allem aus Propaganda-Meldungen zur wirtschaftlichen Lage. Deutschland gehe es gut, waren sich viele einig. Im April faselte die FAZ über Vollbeschäftigung und Spiegel Online sah den Aufschwung kommen. Die Medien nahmen die europäische Krise zwar zur Kenntnis, betrachteten sie aber entweder als etwas Außenstehendes, von dem Deutschland gar nicht betroffen sein könne oder aber sie glaubten, die harte Anpassungspolitik hätte zu ersten Erfolgen geführt. Die eigene Selbstgerechtigkeit und Ignoranz volkswirtschaftlichen Zusammenhängen gegenüber, blendeten die Journalisten konsequent aus, wohl als freundschaftliche Dienstleistung für die amtierende Kanzlerin.

Mai 2013

Um das leidige Thema Steuern ging es im Mai. Die erste Schätzung des Jahres stand auf dem Programm und wie zu erwarten, war von Höchstständen und sprudelnden Einnahmen die Rede, auf die sich der Finanzminister freuen dürfe. Verbunden war die Botschaft natürlich mit der Aufforderung, keine neuen Steuern zu erheben und nun endlich richtig zu sparen. Den Lesern dieses Blogs ist unterdessen klar: Wenn es sprudelt, verarmt meistens der Staat. Dass die Steuereinnahmen immer weiter steigen und damit nominale Rekordhöhen erklimmen, ist keine Besonderheit, sondern eine banale mathematische Notwendigkeit. Denn wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst, wachsen auch die Steuereinnahmen mit.

Entscheidend ist der Anteil des Steueraufkommens am BIP, das mit der Kennziffer Steuerquote gemessen wird. Nur sie zeigt vergleichend an, ob ein Staat tatsächlich genügend Geld einnimmt, um seine Aufgaben erfüllen zu können. Im Mai errechneten die Steuerschätzer eine Quote von 22,77 Prozent für das Jahr 2013, im November (siehe Grafik) sind es nur noch 22,68 Prozent und für 2014 prognostiziert 22,66 Prozent, obwohl die absolute Zahl der Steuereinnahmen weiterhin steigt. Verglichen mit anderen Staaten bewegt sich Deutschland bei den Einnahmen damit nicht auf Rekordniveau, sondern markiert eher das untere Ende der Fahnenstange.

Steuerschätzung

Quelle: Arbeitskreis Steuerschätzung (via Bundesfinanzministerium)

Das ist auch logisch, wenn man sich die Steuersenkungsorgien in der Vergangenheit in Erinnerung ruft. Der Staat verzichtet eher auf Einnahmen in Milliardenhöhe und akzeptiert weiterhin riesige Finanzlöcher bei den Gebietskörperschaften, die mit noch mehr Einsparungen, so die irrige Auffassung, und trotz eines enormen Investitionsrückstandes geschlossen werden könnten.

Im Wahlkampf spielte das Thema ein wichtige Rolle, den Konservativen und ihrer Verbündeten in den Medien gelang es jedoch, die zaghaften Ansätze eines Umdenkens in der Steuerpolitik als wirtschaftsfeindlichen Griff ins Portemonnaie der Wähler zu brandmarken und ihnen die Botschaft ins Hirn zu pflanzen, dass der Staat im Geld ja schwimmen müsse.

Doch nicht nur das. Im Mai wird auch deutlich, dass die deutsche Wirtschaft selbst in der Krise steckt. Seit dem zweiten Quartal 2012 gibt es kaum noch positive Impulse. Nur mit Rechentricks kann die Rezession (zwei schrumpfende Quartale infolge) verhindert werden. Denn wie das Statistische Bundesamt selbst mitteilt, mussten die Daten des Jahres 2012 nach unten revidiert werden. Am 22. Februar 2013 war in der ausführlichen Betrachtung von Q4/2012 noch von einem Rückgang um 0,6 Prozent die Rede (110,73 Indexpunkte). Nach der Neuberechnung liegt der Indexwert bei 110,61 und das erste Quartal 2013 bei 110,68 Indexpunkten. Weil also das letzte Quartal 2012 noch etwas schlechter ausfiel als ursprünglich berechnet, gibt es zum Start in 2013 keinen Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Dieser billige Trick genügte den Medien, um erneut vom Musterschüler zu faseln und mit chauvinistischen Zeigefinger auf die schlechte Performance der anderen Europäer zu zeigen. Brüssel unterstützte die Haltung Berlins und forderte von den Staaten der Eurozone Reformen ein. Nicht so bei Deutschland, hier sprach die EU-Kommission allenfalls Empfehlungen aus, die mit unerträglicher Begleitmusik kommentiert wurden.

Juni 2013

Im Juni wird es langsam “konkret”. Die Union verabschiedet ihr Wahlprogramm, das sich, so Parteimitglied Kurt Lauk, nach der Wahl von selbst erledigen würde. Die Wähler wüssten das seit 50 Jahren, so Lauk im ARD-Bericht aus Berlin. Die Wähler, die gleichzeitig Verbraucher sind, störten sich nicht daran, sondern zeigten sich, so die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), weiterhin in bester Kauflaune. Sie kaufen der Merkel und ihrer Union einfach alles ab und glauben auch, dass sie selbst viel konsumieren und damit zum Aufschwung beitragen.

Die guten Tarifabschlüsse würden sich im Portemonnaie der Beschäftigten bemerkbar machen, heißt es dabei immer wieder. Was aber bei derlei hübsch aussehender Begründung verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass die Tarifbindung seit Jahren immer weiter zurückgeht, also immer weniger Beschäftigte von Tarifabschlüssen überhaupt profitieren. Ein Blick in die Statistik gibt Aufschluss. “Im Jahr 2012 arbeiteten nur noch 58 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit Tarifbindung, im Westen sind es 60, im Osten 48 Prozent. Vor 15 Jahren lag die Tarifbindung in West und Ost jeweils rund 15 Prozentpunkte höher!”

Nach der aktuellsten Lohnstrukturerhebung müssen 22,2 Prozent der Beschäftigten in Deutschland mit einem Niedriglohn auskommen. Damit hat Deutschland hinter den drei baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland sowie den Ländern Rumänien, Polen und Zypern den siebtgrößten Niedriglohnsektor in der EU. Gemessen an dem Rekordwert von 41,79 Millionen Beschäftigten, der im Monat April gemessen und als Ausdruck des Wohlstandes gefeiert wurde, gehören über neun Millionen Menschen in diesem Land diesem Sektor an.

Außenpolitisch ist im Juni klar, dass vor der Bundestagswahl nichts mehr geschehen darf. Europa hat sich nach Muttis Zeitplan zu richten, auch die Zyprer, deren vermeintliche Rettung sich als Untergangsszenario entpuppte. Ein schönes Bild, noch im Mai auf der Geburtstagsfeier der SPD in Leipzig aufgenommen, beschreibt das Jahr 2013 sehr schön.

SPD_150_Neu


Heute feiert die Sozialdemokratie ihren 150. Geburtstag und ein im Mai 2007 geborener Kläger vor dem Bundessozialgericht einen Erfolg, der ohne die SPD nicht denkbar wäre. Dem inzwischen Sechsjährigen steht nämlich ein Jugendbett als Erstausstattung im Rahmen der in Leipzig noch einmal ausdrücklich von allen Seiten gelobten Hartz-IV-Gesetzgebung zu. Allerdings ist noch nicht klar, ob auch die Anschaffungskosten in Höhe von 272 Euro angemessen sind. Denn das muss nun jenes Sozialgericht entscheiden, das dem jungen Kläger zuvor die Bewilligung von Leistungen für ein “Jugendbett” mit Lattenrost auf Grundlage der in Leipzig noch einmal von allen Seiten so gelobten Hartz-IV-Gesetzgebung rechtswidrig versagt hatte.

Beim Festakt im Leipziger Gewandhaus spielen solche in der Sache und Juristerei widersprüchlichen Einzelschicksale freilich keine Rolle. Der 150. Geburtstag der “alten Tante” SPD wurde wie erwartet dafür missbraucht, um ein weiteres Mal die krachend gescheiterte Agenda-Politik als bahnbrechenden Erfolg zu würdigen.

Hier ziehen der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel und dessen heimliche Kanzlerkandidatin, die in Leipzig ganz selbstverständlich neben ihm in der ersten Reihe Platz genommen hatte, an einem Strang. Denn was der ganz links im Bild abgeschnittene Altkanzler Schröder begann, setzt Angela Merkel mit Hilfe von lauter Sozialdemokraten um sie herum in Europa und Deutschland auf brutale Weise weiter um. Sie alle wissen, was angemessen ist für Europa, Deutschland und vor dem Sozialgericht klagende Windelträger, die bis zu einer richterlichen Entscheidung längst aus Betten und knappen Regelsätzen hinaus- und in die von der SPD zu verantwortende Armut dauerhaft hineingewachsen sind.

Es braucht offensichtlich drei Jahre und mehrere Gerichte, um festzustellen:

Der Bedarf nach einem neuen Bett sei lediglich wegen des Wachsens des Klägers entstanden.

In diesem von Richtern formulierten einfachen und für jeden verständlichen Satz drückt sich der unbeschreibliche Erfolg der von allen Seiten so gelobten und einzig noch lebenden Agenda-Reform aus. Dafür hat die SPD 150 Jahre gekämpft. Chapeau.


– Ende Teil 2 –

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