Eigentlich wollte ich mit der Überschrift „Grass macht den Möllemann“ zum Ausdruck bringen, dass sich Grass auf die Stufe eines Möllemanns begibt und nicht umgekehrt, wie das in einem Kommentar geäußert wurde. Grass wusste um die Wirkung seines Gedichtes. Er hat es ja selbst dort hinein geschrieben. Insofern hat Reich-Ranicki in der FAZ vollkommen Recht wenn er sagt, dass es Grass nur um die Wirkung, die Diskussion und die Aufmerksamkeit zu einem zudem problematischen Zeitpunkt ging und nicht um den Inhalt, wie Grass im anschließenden Interview mit dem NDR beteuerte.
Ich frage noch einmal, warum kritisiert Grass nicht die „out of area“ Politik zur Sicherung von Ressourcen und Nachschubwegen, an der sich auch die deutsche Bundesregierung beteiligt und der das iranische Regime einfach im Wege steht? Die Anfeindungen, die Grass aus den Mainstreammedien entgegenschlagen, ist nicht verwunderlich und wirkt wie bestellt. Jetzt kann man nämlich die neue Wirtschaftspolitik mit militärischer Option prima verteidigen. Eine Kritik daran hat nun den Ruch antisemitisch zu sein. Eigentlich müsste die Linke, der Grass mit seinem Gedicht einen Bärendienst erwies, ihn dafür verurteilen.
Stattdessen stolpert die Linke sichtlich irritiert durch ihre eigenen Artikel und findet jemanden toll, dem auch die Rechten Beifall klatschen, was dem Verfasser des Gedichtes von Anfang an klar sein musste. Und obwohl die schlechte Qualität seiner Arbeit von niemanden bestritten wird, nimmt man ihn in Schutz, weil eine Kritik an Israel geäußert wurde, die in diesem Land nun einmal nicht so einfach formuliert werden darf. Doch wenn es einer tut, führt das zu einer seltsamen Verbindung zwischen links und rechts und zu einer Diskussion um Antisemitismus, an der sich alle abarbeiten und ihren Blick von den wirklichen Problemen wenden.
„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“
Zitat: Theodor W. Adorno.
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.