Die Debatte im Bundestag um die Behauptung der Linken, wonach Geringverdiener eine niedrigere Lebenserwartung hätten, treibt die Regierungsfraktionen auf die Palme. Dabei zitiert die Linke aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Abgeordneten Matthias W. Brinkwald, Klaus Ernst, Diana Golze und weiterer Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE.
Darin sei dokumentiert, dass gerade geringverdienende Männer in den letzten zehn Jahren immer früher gestorben seien.
Starben solche Rentenbezieher 2001 im Durchschnitt noch mit 77,5 Jahren, lag die Zahl 2010 nur noch bei 75,5 Jahren. Im Osten jedoch ging die Lebenserwartung im gleichen Zeitraum bereits um 3,8 Jahre zurück, also fast vier Jahre. Dort starben Geringverdiener 2001 im Schnitt noch mit 77,9 Jahren, 2010 jedoch bereits mit 74,1 Jahre.
Quelle: taz
Die Regierung bezichtigt die Linke der Lüge und wirft ihnen vor, eine Falschmeldung in den Medien platziert zu haben. Und jetzt kommt die abenteuerliche Begründung: Die Linke würde Sterbetafeln mit der Lebenserwartung verwechseln.
Die Lebenserwartung steige im Durchschnitt über alle Einkommensgruppen und Altersklassen hinweg. Das würden die Studien und Zahlen des statistischen Bundesamtes und der Deutschen Rentenversicherung eindeutig belegen. Interessant ist nun, dass Fakten mit Erwartungen bekämpft werden. Dass eine nicht unerhebliche Zahl von Männern mit geringem Einkommen tatsächlich früher gestorben ist, als es die Erwartungen vermuten ließen, ignoriert die Koalition und wirft der Linken stattdessen vor, mit sozialistischen Rechenkünsten die Öffentlichkeit zu täuschen.
Dabei erinnere ich mich an Frau von der Leyens aufgedeckte Falschrechnung zu einer angeblich gestiegenen Geburtenrate und die monatlich vorgestellten Arbeitsmarktdaten, die auf einer fingierten Statistik beruhen. Die Koalition ist keineswegs vertrauenswürdig im Umgang mit Zahlen. Doch wie hat Brinkwald von der Linken gerechnet? Nun er hat sich die Statistik im Anhang der umfänglichen Antwort der Bundesregierung genauer angeschaut und aus den unten markierten Werten, die im übrigen von der Rentenversicherung selbst stammen, seine Schlüsse gezogen.
Aus der Tabelle geht hervor, dass es im Jahr 2001 etwa 10.000 Männer gab, deren Altersbezüge weggefallen sind und die von ihrem 65. Lebensjahr an gerechnet für etwa 12,5 Jahre eine durchschnittliche Rente von 683 Euro bezogen haben. Schaut man nun weiter nach rechts, stellt man fest, dass im letzten Jahr über 16.000 Männer gestorben sind, die ab ihrem 65. Lebensjahr eine durchschnittliche Rente von 712 Euro für lediglich 10,5 Jahre bezogen haben.
Um Geringverdiener handelt es sich deshalb, weil die Betroffenen nur zwischen 0,5 bis 0,75 Entgeltpunkte pro Versicherungsjahr erhalten haben. Sie haben also Versicherungsbeiträge unterhalb des Durchschnitts in die Rentenkasse eingezahlt. Im Grunde genommen ist statistisch auch ablesbar, was sich für jeden mit gesundem Menschenverstand auch so erschließt, weite Teile des Bundestages ausgenommen.
Wer nur wenig verdient, muss trotzdem mit den gestiegenen Kosten leben, die ihm die Politik durch die Reformen der letzten Jahre aufgedrückt hat. Da wären beispielsweise eine höhere Mehrwertsteuer, die Praxisgebühr, allgemein höhere Zuzahlungen, aber auch weniger Wohngeld zu nennen. In der Realität können Menschen mit niedrigem Einkommen gar nicht gesund leben, ohne sich massiv zu verschulden.
Sie haben eben nicht die Wahl, wie das der völlig behämmerten FDP immer vorschwebt, zwischen verschiedenen Gesundheitsleistungen frei auszuwählen, sondern sie sind dazu gezwungen, sich auch notwenige Arztbesuche zu sparen. In diesem Zusammenhang ist mir während der heutigen Bundestagsdebatte aufgefallen, dass Johannes Vogel Jahrgang 1982 der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Liberalen ist. Ja hat der denn überhaupt schon mal gearbeitet? Erster Satz am Rednerpult war dann auch entsprechend von Kompetenz durchdrängt. Er wisse jetzt, warum die DDR untergegangen sei.
Wer mit wenig Geld auskommen muss, frisst auch den billigen Lebensmitteldreck, der ohne Warnampel auf der Verpackung in den Regalen der Einzelhandelsketten herumliegt. Am Ende zeigen dann gerade solche liberalen Irrlichter wie der Vogel mit dem Finger auf die immer fetter werdenden Leute und beschwert sich angeekelt über die angeblich spätrömische Dekadenz von Geringverdienern, denen man doch ansehen könne, dass es ihnen immer noch zu gut geht.
Aus Sicht der großen schwarz-rot-grün-gelben Koalition gibt es natürlich keinen Zusammenhang zwischen der Agendapolitik und der Lebenserwartung. Sie muss einfach steigen, weil sonst die gesamte demografische Ideologie einfach so in sich zusammenbrechen würde. Wobei eigentlich jeder bei klarem Verstand längst durchschaut haben müsste, dass das Demografieargument nur eine nützliche Erfindung der Versicherungslobby war, um die für die Konzerne so lukrative private Vorsorge politisch salonfähig zu machen.
Klar werden die Leute älter und die Geburten gehen zurück. Aber wenn das Alter Kosten verursacht, werden auf der anderen Seite durch weniger Geburten Kosten eingespart. Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass bis heute niemand eine Gesamtbetrachtung aller gesellschaftlichen Kosten vornimmt, sondern der Blick immer nur auf einen Teilaspekt reduziert wird.
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.