Anstand und Moral?

Geschrieben von: am 15. Mrz 2009 um 12:36

Gerade zieht der Bundeshorst durchs Land und gibt überall Interviews. Wahrscheinlich will er mal wieder auf sich aufmerksam machen bzw. seiner in die Kritik geratenen Kanzlerin beiseite springen. Am Samstag jedenfalls erschien in der Neuen Presse Hannover ein verkürztes Interview mit ihm unter dem Titel „Kapital muss den Menschen dienen“. Sie können das komplette Machwerk auch auf der Seite des Bundespräsidenten nachlesen. Darin verteidigt er die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung und beklagt sich über maßlose Manager, die sich zu weit von der Realwirtschaft und der Gesellschaft entfernt hätten.

Das Interview ist eigentlich keiner besonderen Erwähnung wert. Nur kann man daran wieder erkennen, wie die Verzahnung von politischer PR und den Medien funktioniert. Diesmal werden gleich drei angebliche Journalisten in Stellung gebracht, um den Anschein von journalistischer Objektivität zu wahren. Es sind Christoph Slangen, Andreas Herholz und Rasmus Buchsteiner, die so tun, als würden sie kritisch nachfragen. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es immer mehr Frager werden. Bisher reichten bei den NP-Interviews in der Regel zwei Pappnasen aus. Vielleicht erleben wir demnächst vier. Das hängt dann wohl von den kritischen Leserbriefen der NP-Leser oder aber auch der Leser der Passauer Neuen Presse ab, für die das Interview eigentlich gemacht worden war oder aber auch von den Lesern, die diesen Müll in den zahlreichen regionalen Tageszeitungen ebenfalls vorgesetzt bekommen haben. ;)

Warum erzähle ich das? Nun, das Interview hätte eigentlich überhaupt keiner Fragensteller bedurft, denn selbst die Fragen sind vordiktiert. Das ist angesichts der großen Verbreitung ein ziemlicher Skandal. Ein Beispiel:

Verschieben sich die Grundachsen der sozialen Marktwirtschaft in der Krise, ist ein neuer ordnungspolitischer Kompass notwendig?“

Hier werden einfach die Wortschöpfungen der politisch handelnden Personen übernommen und somit eine Vorlage für die entsprechend vorgefertigte Antwort geliefert.

Die soziale Marktwirtschaft vereinigt Freiheit und Verantwortung zum Nutzen aller. Das ist die eigentliche, kulturelle Leistung der sozialen Marktwirtschaft. Dagegen ist auf den Finanzmärkten eklatant verstoßen worden. Die Freiheit war hier praktisch schrankenlos geworden. In schrankenloser Freiheit aber steckt auch Zerstörungskraft. Deshalb muss es jetzt darum gehen, die Finanzmärkte wieder in die Schranken zu weisen, sie zu kultivieren. Im Grunde bestätigt die Krise das Kernprinzip der sozialen Marktwirtschaft. Die Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass dieses Prinzip auch auf die Finanzmärkte angewendet wird. Der Markt braucht Regeln und Moral. In keinem Fall kann unsere Zukunft in einer verstaatlichten Wirtschaft liegen. Dieses Modell ist historisch gescheitert. Privateigentum ist konstitutiv für Freiheit und Wohlstand für alle. Aber: Eigentum verpflichtet. Zum Wohle der Allgemeinheit. So will es unser Grundgesetz. Das ist gut so.

Weiter vorne spricht er davon, dass unter den bösen Managern eine Art von Selbstreflexion stattfinden solle. Von gesetzlich vorgeschriebenen Gehaltsobergrenzen halte er hingegen nichts. Hm. Also doch keine Regeln. Anstand und Moral kommen von ganz allein, wie es scheint. Das kann man gerade wieder beobachten. Die Postbank-Manager genehmigen sich eine Erhöhung ihrer Bezüge genauso wie der verurteilte Steuersünder Klaus Zumwinkel, der ganz legal seine Pensionszusagen in Höhe von 20 Millionen Euro einfordert.

Köhler spricht von gescheiterten vergangenen Modellen, die nie wieder Wirklichkeit werden dürften. Diese Wirklichkeit aber und dieser Bundespräsident liefern uns die Gewissheit, dass es weiterhin Menschen erlaubt sein wird, in großem Stil ihren ganz persönlichen Gewinn aus dem System zu ziehen. Und alles was dem obersten Deutschen dazu einfällt, ist ein Appell an die Moral derer, die auch mit der milden Bestrafung ihrer schweren Verbrechen weiter machen können wie bisher. Das ist nicht nur ignorant, sondern auch menschenverachtend. Denn auf der anderen Seite dürfen Leute wie Clement, Westerwelle und Mißfelder weiterhin gegen sozial Schwache trommeln und eine asoziale Mitnahmementalität in feinstem Nazideutsch und in volksverhetzender Weise beschreien, ohne dass es den Bundespräsidenten auch nur im Entferntesten interessieren würde.

Stattdessen diskutieren die drei Statisten und der Bundessparkassendirektor darüber, wie man die Verstaatlichungspläne der Bundesregierung in Bezug auf die HRE zu bewerten habe. In der Enteignung würde ja schließlich eine Gefahr für die geliebte „Neue Soziale Marktwirtschaft“ lauern.

Wir reden hier von der ultima ratio. Zuvor kommen viele Stufen, auf denen versucht wird, durch gemeinsames Handeln der Beteiligten und mit Staatshilfe eine Lösung zu finden. Ich verstehe den Gesetzentwurf der Bundesregierung als absolute Notmaßnahme, um eine für den marktwirtschaftlichen Geldkreislauf systemisch wichtige Bank zu retten und damit dem Allgemeinwohl zu dienen.

Auch das wird einfach hingenommen. Keine Nachfrage, welche systemisch relevante Aufgabe die HRE denn nun übernommen hat und ob diese nicht entbehrlich sei. Vielleicht weil dann rauskommen würde, dass die HRE von Anfang an eine Bad Bank Konstruktion war? Stattdessen darf Köhler in einer unverfrorenen Weise sagen, dass zunächst gemeinsames Handeln der Beteiligten (also derjenigen, die die Verluste zu verantworten haben) und mit Staatshilfe (also wir alle) Vorrang habe. Dieses Denken ist ASOZIAL, UNDEMOKRATISCH und VERFASSUNGSFEINDLICH.

Im Ergebnis müsste man sagen, dass dieser Bundespräsident sein Amt beschädigt, weil er lügt, arglistig täuscht und mit der Anheuerung von Mietmäulern wie Slangen, Herholz und Buchsteiner für die Verbreitung seiner politischen Propaganda sorgt. Also wenn sie mal ein beschädigtes Amt sehen wollen, gucken sie sich diesen Bundeskasper an.

Lesen sie doch spaßenshalber noch den Schwachsinn über Globalisierung und – ACHTUNG: neue Wortkreation – De-Globalisierung, mit der er einen angeblichen Rückschritt beschreiben will, den diejendigen anstreben würden, die seine neoliberale Grundidee für obsolet erklären. In dieser Antwort schwadroniert dieser Trottel und Hochstabler davon, dass gar die Verbreitung universeller Menschenrechte auf dem Spiel stünde. Damit will Köhler vergessen machen, dass es zur Druchsetzung von Menschenrechten eines permanenten Kampfes bedurfte – vor allem um die Lösung der sozialen Frage. Doch er will ja nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Politik, die er anschließend so rühmt, dafür verantwortlich zeichnet, dass das hart erkämpfte soziale wie auch ökonomische Gleichgewicht zerstört wurde.

Köhler will uns erzählen, dass Deutschland von der „Globalisierung“ profitiert hat. Das ist richtig, wenn er gleichzeitig dazu sagen würde, auf Kosten anderer Volkswirtschaften unter dem Motto – Beggar your neighbour, wie es Heiner Flassbeck kürzlich treffend formulierte.

Mit Lohnsenkungen und Standortpolitik wurde in und außerhalb der Eurozone ein riesiger Wettbewerbsvorsprung auf Kosten der eigenen Binnennachfrage herausgeholt. Jetzt können andere Länder nicht mehr mithalten und der vermeintliche Sieg des Exportweltmeisters hat sich in seine Niederlage verkehrt … Die Bundesregierung hat jetzt zehn Jahre „Politik für die Wirtschaft“ gemacht – und die Wirtschaft ist am Ende.

Köhler nennt diese weltwirtschaftlich wie auch volkswirtschaftlich schädliche und asoziale Politik einfach verharmlosend Arbeitsteilung und Austausch mit anderen, die er als Quelle des deutschen Erfolges anpreist. Das ist im Grunde eine Bankrotterklärung – seitens der Politik wie der ihr hörigen Medien. Unterm Strich ist das dann im höchsten Maße unanständig und unmoralisch. Aber vor allem antiaufklärerisch. Und das ist RÜCKSTÄNDIG.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Anonymous  März 15, 2009

    Der Leitsatz der Ethik war klar. Achte und Ehre jeden Menschen denn nur so wird dir die Achtung und Ehre zurück gegeben. Da die Wertvorstellungen und Lebensweisen der Menschen unterschiedlich sind bedarf Ethik des Einfühlungsvermögens und des Einfühlungswillens. Was für den Einen seine Wurst ist, ist für den Anderen sein Käse in der Wertigkeit. Ethik hat keinen zeitlichen Anteil. Ethik ist eine Ehrensache. Moral hat einen zeitlichen Anteil. Moral nimmt einen Verlauf. Nicht umsonst sagt der Volksmund „Und was ist die Moral von der Geschicht“. Der Volksmund sagt es auch drastisch „Die haben alle keine Moral“ und meint damit „Die denken alle nicht weiter wie ein Schwein scheißt und nach uns die Sintflut“. Es kann also allgemein gültig festgestellt werden. „Ethik ist das allgemeine Grundgerüst und Moral ist die Individuell Weiterführung mit Blick auf die Zukunft“. Moral ist also Verantwortliches Handel in Weiser Voraussicht. Moral setzt viel Lebenserfahrung voraus. Da aber kein Mensch zaubern kann und junge Menschen diese Lebenserfahrung noch nicht haben können. Predigen ältere Menschen jüngeren Menschen die Moral. Moral setzt die Erkenntnis von Lebenswahrheiten voraus. Da es viele Menschen gibt die dumm geboren wurden wie wir alle aber leider nicht all zu viel dazu gelernt haben. Ist es mit der Moral und dem Verstand vieler so eine Sache.
    Adam Amor Christus
    Hätten sie als Trägerin des Lebens und Jungbrunnen der Menschheit die Liebe im Auge. Wo sich ihr Herz fallen läßt so das die Gründung von Familien kein risiko poppen Herzkloppen ist. Wehre das von Wert, da Liebe Resultate hat. Also Werte Schaft. Haben sie aber das Geld im Auge. Würde das jeden Wert zerstören da Geld keine Resultate hat. Also keine Werte schaffen kann. Da es Imaginär ist. Vielleicht ein par Nullen und Einsen auf einer Festplatte oder so. Die kann man leicht Löschen. Menschen können aber mit Hilfe der Liebe Werte
    schaffen. Zum Beispiel neue Menschen um dann ein Haus zu bauen. Oder eben andere Werte zu schaffen die dann die Deckung für das Imaginäre Geld sind. Kurz gesagt es sind Menschen die für die Deckung des Imaginären Geldes gerade stehen müssen. Können die das nicht mehr hat das Imaginäre Geld kein Wert mehr. Geld kann nicht für sich gerade stehen.

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    Also zu erst die Liebe das Ideal erst dann wird ein Wert Real.
    Umgedreht geht alles rückwärts.
    Fehlt die Liebe in der Gleichung wird der Wert Irreal und alles wird zum Katastrophal.

    Das war der Wirdschaftswissenschaftliche erste Welt Funktion Grundsatz.
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    • adtstar  März 15, 2009

      Das hilft uns aber jetzt nicht viel weiter.

      Hier geht es um den Missbrauch von Begriffen, um zu täuschen und in die Irre zu führen. Es geht hier darum, dass mit blumigen Worten und neuen Wortkreationen von einer Misere abgelenkt werden soll, deren Verantwortung gerade jene zu tragen haben, die sich heute als Retter oder wie der Bundeshorst als Moralapostel aufspielen. Ich erinnere nur an seine berufliche Verflechtungen in die Finanzmarkindustrie.

      Wenn Köhler da etwas kritisiert, müsste er entsprechende Vorwürfe genauso gut an sich richten. Deshalb spricht er ja auch sehr schwammig von Selbstreflexion, denn konkrete Regeln gehen ihm viel zu weit – das gibt er sogar zu.

      Ferner ist zu klären, warum das Thema „Exzesse bei den Managergehältern“ auch plötzlich bei den Konservativen Konjunktur hat. Das kommt ja nicht von ungefähr, sondern ist der Planlosigkeit und Panik geschuldet, die Krise könne dazu beitragen, dass sich an den Verhältnissen etwas ändert.

      Man sollte sich demnach nicht den Kopf über Moral und Wert zerbrechen, sondern sich darüber Gedanken machen, welche Funktion diese Art der breit angelegten PR erfüllen soll.