Ein angeblicher Eklat im Bundestag

Geschrieben von: am 26. Feb 2010 um 19:52

Ich kann diese Übertreibungen nicht leiden. Die Fraktion die Linke im Deutschen Bundestag hat heute nicht für einen Eklat gesorgt, sondern still Transparente hochgehalten mit Namen von Opfern des tödlichen Bombenangriffs von Kundus. Allein die Reaktion darauf war erbärmlich und ließ es so aussehen, als hätte es einen Eklat gegeben. Warum hat Bundestagspräsident Lammert die Abgeordneten der Linken nicht einfach stehen lassen? Hat er etwa befürchtet, dass bei parlamentarischer Nichtbeachtung, Klaus Ernst über seinen Tisch gesprungen, quer durch den Saal gestürmt und schließlich Guido Westerwelle auf der Regierungsbank das dreckige Grinsen aus dem Gesicht geschlagen hätte? Das wäre dann tatsächlich mal ein Eklat gewesen. In anderen Parlamenten sind gelegentliche Prügeleien ja durchaus möglich.

Bei uns gibt’s das aber nicht. Wir haben ja schließlich Kultur. Im Beamtendeutsch heißt das etwas sperrig „Geschäftsordnung“. Sogar die Schreibtischtäter im Dritten Reich konnten sich mit Verweis auf die Geschäftsordnung vor einer Verurteilung retten und wurden zum großen Teil als Mitläufer eingestuft.

Ich bin ja ein Freund von Plenarprotokollen, weil darin ja bekanntlich alles steht, auch das manchmal ziemlich dumme Gequatsche der übrigen Parlamentarier, welches von den Mikrofonen nicht eingefangen wurde. Und wenn ich im vorläufigen Protokoll der heutigen Sitzung den Vorfall nachlese, stelle ich fest, dass vor allem Mitglieder anderer Fraktionen etwas zu sagen hatten. Beurteilen sie selbst, wer da nun störend wirkt und wer nicht.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich bitte Sie, unverzüglich die Spruchbänder herunterzunehmen.
(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU), an die Fraktion der LINKEN gewandt: Es ist eigenartig, wie Sie die Opfer der Taliban, der Selbstmordattentäter vergessen!)

Ich schließe alle Kollegen der Fraktion, die dieser Aufforderung nicht gefolgt sind, hiermit vom weiteren Verlauf der Sitzung aus.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bitte Sie nunmehr, den Plenarsaal zu verlassen.
(Jörg van Essen (FDP): Einschließlich der Rednerin! Die war dabei! – Hellmut Königshaus (FDP): Ihr seid des Saals verwiesen! – Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Verachtung von Spielregeln nennt man das!)

Ich fordere Sie jetzt noch einmal auf, den Saal zu verlassen, weil Sie vom weiteren Verlauf dieser Sitzung ausgeschlossen sind. Ich vermute, dass mindestens die Parlamentarischen Geschäftsführer eine hinreichende Kenntnis der Regelungen unserer Geschäftsordnung haben, zumal das bei vergleichbaren Situationen im Ältestenrat immer als hoffentlich ernstgemeinte Positionierung vorgetragen worden ist.
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tja, Frau Enkelmann!)

Ansonsten muss ich auf die weiteren Konsequenzen aufmerksam machen, die sich ergeben, wenn Sie dieser Aufforderung nicht folgen.
(Die Abgeordneten der Fraktion der LINKEN verlassen den Saal)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ein Romanautor hätte wohl szenengerecht geschrieben, „Die Abgeordneten der LINKEN verlassen still den Saal“.

Einem war dann doch die ganze Nummer etwas peinlich und bat ums Wort. Christian Ströbele erbarmte sich und fand meiner Meinung nach die richtigen Worte:

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich fühle mich in dieser Situation hier und heute und jetzt mehr und mehr unwohl. Wir diskutieren hier ein ernstes Thema, nämlich die Kriegführung Deutschlands in Afghanistan. Wir wissen, dass der Deutsche Bundestag eine Entscheidung gegen die riesengroße Mehrheit der Bevölkerung fällen wird. Gegen die ganz große Mehrheit der Bevölkerung werden wieder Bundeswehrsoldaten für ein Jahr in den Krieg nach Afghanistan geschickt.

Eine Fraktion im Deutschen Bundestag stellt sich hierhin und hält Schilder hoch, auf denen die Namen der Opfer der Bombardierung vom 4. September vergangenen Jahres stehen. Sie hat nicht randaliert, sie war auch nicht laut, sondern sie hat Schilder hochgehalten, auf denen die Namen der Personen, die dort Opfer gewesen sind, zu lesen sind.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Lesen Sie mal in der Geschäftsordnung des Bundestages nach! Nehmen Sie mal die Geschäftsordnung zur Hand!)

Ich selber war mit den Kollegen in Afghanistan. Auch ich habe mit den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer geredet. Ich stelle mir vor, in Afghanistan wird sich herumsprechen – das steht dann vielleicht in der Zeitung -, dass im Deutschen Bundestag Abgeordnete, die Schilder mit Namen der Personen, die auf deutschen Befehl hin getötet worden sind, hochgehalten haben, aus dem Saal geworfen worden sind.

Ich möchte das nicht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, es wäre ein völlig falsches Signal nach Afghanistan und in die Welt, wie wir mit den Opfern von Krieg, für den wir, die Abgeordneten und Deutschland, verantwortlich sind, umgehen.
(Arnold Vaatz (CDU/CSU): Ungeheuerlich!)

Deshalb, Herr Präsident, bitte ich Sie, Ihre Entscheidung zu überprüfen. Ich möchte anregen, dass sich die Fraktionen überlegen, ob wir weiter ohne die Fraktion der Linken diskutieren, ob wir diesen Punkt der Diskussion aus unserer Debatte heraushalten wollen, wobei wir davon ausgehen, dass das, was sie getan hat, keinerlei nachhaltige Störung der Parlamentssitzung gewesen ist und wahrscheinlich dem Willen und dem Wunsch einer großen Mehrheit in dieser Bevölkerung sehr nahekommt.
(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Sie haben aus der Geschichte nichts gelernt!)

Herr Präsident, so weiter zu verhandeln, halte ich für unwürdig.

Und nun die Antwort von Norbert Lammert:

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Ströbele, ich hätte diese Wortmeldung nach den Usancen des Hauses nicht zulassen müssen. Ich habe sie zugelassen, weil ich die Ernsthaftigkeit Ihres Motivs anerkenne und ich die Situation natürlich auch alles andere als routinehaft empfinde. Aber ich mache Sie auf drei Dinge aufmerksam.

Erstens. Wir haben unter allen Fraktionen des Hauses – unter allen Fraktionen – völliges Einvernehmen in der Einschätzung der Frage, dass Demonstrationen im Plenarsaal mit der Ordnung des Hauses unvereinbar sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Wir haben bei mehreren vergleichbaren Vorgängen wiederholt die Erklärung der Fraktionsführung der Linken im Ältestenrat zu Protokoll genommen, dass diese Aktionen von der Fraktionsführung weder geplant noch in Kenntnis der Fraktionsführung durchgeführt worden seien.

Drittens. Ich habe mit Zustimmung aller Mitglieder des Ältestenrates bei einem dieser letzten Vorgänge angekündigt, dass ich im Wiederholungsfall die entsprechenden Kollegen von der Sitzung ausschließen werde. Das Vorgehen ist unter Berücksichtigung unserer Geschäftsordnung und der Übereinkunft aller Fraktionen des Hauses alternativlos.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was für ein korrekter Bürokrat. Wahrscheinlich hätte er am 9. November 1989 sämtliche Mitglieder des Bundestages aus dem Saal verwiesen, weil diese sich spontan erhoben, um die Nationalhymne zu singen. Das Präsidium steht übrigens als letztes.

Aber die absolute Krönung lieferte mal wieder die SPD. Deren parlamentarischer Geschäftsführer Thomas Oppermann ließ sich zu folgender hirnlosen Bemerkung hinreißen:

„Der Präsident hat richtig entschieden. Das Parlament ist Ort der Debatte, nicht der Demonstration. Im Parlament zählt das Argument, nicht das Transparent.

Was für ein Unsinn. Jedes Argument, das diesen Krieg zu rechtfertigen suchte, ist bereits widerlegt und dennoch entscheiden die Volksvertreter für den Krieg und gegen die Mehrheit in der Bevölkerung. Tolle Demokratie.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Careca  Februar 26, 2010

    Tja. So ändern sich die Zeiten. Als vor 20 Jahren die Grünen in den Bundestag einzogen, waren diejenigen die Buhmänner und Sitzungsstörer. Heute applaudieren die Grünen und rotzen auf ihre geschichtliche Wurzeln. Wer an das Gewissen von Abgeordneten appelliert, muss raus aus dem Bundestag.
    Das Gewissen der meisten Abgeordneten ist rein.
    Sie benutzten es nie …

  2. Teja552  Februar 27, 2010

    Ich schließe mich deiner Meinung dazu an, auch wenn viele das anders sehen!

  3. Anonymous  Februar 27, 2010

    Schade, dass es in Deutschland wieder einmal zu einer solchen Diskrepanz zwischen der Meinung des Volkes und den Entscheidungen der Politik gekommen ist.
    Mindestlohn, Atomlaufzeiten oder Kriegseinsätze werden gegen die Mehrheit der Deutschen durchgeführt (obwohl man solche Umfragen ja immer mit Rücksicht beachten soll, halte ich sie nicht für ganz plausibel).
    Deutschland ist auch dank des häufig vorherrschenden Parteienzwangs wieder nahe an einem Abnickparlament – etwas was wir aus historischer Verantwortung eigentlich nicht zulassen dürften.

    Von unseren Politkern würde ich erwarten, dass sich nicht gegenseitig – die offensichtlichen Mängel – bei der Strafverfolgung von Tätern (CDU & Co 1949 „Altnazis“) (Linke – „StaSi“² ) vorwerfen, sondern dafür sorgen, dass sich sowas hier und heute nicht wiederholt. Aber offensichtlich haben die meisten Politiker ein höheres Interesse an einer sinkenden Wahlbeteilung und einer immer unkritischeren Bevölkerung.
    „Wir haben ja nichts gewusst“ hat ja schon mal geklappt…

    ²http://www.welt.de/politik/deutschland/article6581682/Linke-Politikerin-darf-keine-Deutsche-werden.html

  4. olli  Februar 27, 2010

    Allein schon die Intervention von Ströbele war die Sache Wert. Er hat auch als einer der wenigen Grünen mit Nein gestimmt.

    • adtstar  Februar 28, 2010

      So ist es. Aus meiner Sicht stehen nicht die Linken, sondern das Bundestags-Präsidium sowie die, in der Sache völlig unpassend reagierenden, hämischen Zwischenrufer anderer Fraktionen ziemlich blöd da. Ströbele hat das sehr gut auf den Punkt gebracht und die anderen Fraktionen zur Reaktion gezwungen.

      Diese viel natürlich peinlich aus, wie Elke Hoff von der FDP im Anschluss an Ströbeles Kurzintervention unter Beweis stellte.

      Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ströbele, ich glaube, dass niemand angesichts der Ereignisse ein besonders gutes Gefühl hat.

      Ich hätte mir an dieser Stelle von den Kollegen der Fraktion Die Linke dann aber auch gewünscht, dass sie auch auf die zahlreichen Todesopfer hingewiesen hätten, die Selbstmordanschläge der Taliban auf belebten Basaren, auf Marktplätzen, in Schulen, in Hotels und auf den Straßen gefordert haben.

      Da kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus. Die Geschäftsführung des Bundestages gestattet es also, wenn man bei einer Demonstration quasi für Ausgewogenheit sorgt. Total hirnverbrannt. Aber die Antwort Sröbeles einfach nur geil.

      „Die sind aber nicht auf deutschen Befehl umgebracht worden!“