Die Krise zeigt sich in den USA erneut mit aller Macht: Wer Geld übrig hat, der spart und lässt das Konsumieren sein. Ein Augenschein an der neuenglischen Küste bestätigt diese Einschätzung. An den weiten Sandstränden hat es zwar weiterhin Besucher. Aber in den Läden der Badeorte bleibt die Ware liegen, obwohl viele Besitzer bereits Rabatte von 50 Prozent und mehr anbieten. Die Zahlen bestätigen den subjektiven Eindruck. Seit dem Frühsommer sind die private Nachfrage und das Wirtschaftswachstum überall in den USA erlahmt, während die Arbeitslosigkeit im Juli erneut anstieg. Dabei führt die offizielle Quote von 9,5 Prozent in die Irre, da sie Arbeitsfähige ausklammert, die bei der Jobsuche aufgegeben haben. Von der miserablen Wirtschaftslage besonders betroffen sind neben Schwarzen und Latinos jugendliche US-Bürger, von denen jeder vierte arbeitslos ist. Dies ist der schlechteste Wert seit 1949. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist inzwischen so hoch wie während der Grossen Depression in den dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts.
Quelle: NZZ (via Hinweisen des Tages auf den NachDenkSeiten)
Im zweiten Quartal wuchs die amerikanische Wirtschaft um lediglich 0,6 Prozent, nachdem sie im ersten noch um 0,9 und im letzten Quartal 2009 um 1,2 Prozent zunahm. Aber bei uns ist „Aufschwung XL“, weil die Exportwirtschaft so boomt. Irgendetwas kann da nicht stimmen. Die Amerikaner fallen jedenfalls als künftiger Abnehmer deutscher Waren aus. Am meisten exportiert Deutschland in die EU. Und auch die fallen demnächst als Abnehmer aus, so fern die Bundesregierung als wirtschaftspolitisches Zugpferd der EU auf den Sparprogrammen seiner europäischen „Partner“ besteht.
Die Griechen zum Beispiel setzen trotz oder vielmehr gerade wegen des von der EU und dem IWF forcierten Sparprogramms ein Quartal nach dem nächsten in den Sand (Q3/2009 -0,5; Q4/2009 und Q1/2010 -0,8; Q2/2010 -1,5 Prozent). Die Wirtschaft schrumpft und die Schulden wachsen. Wollte man nicht das Gegenteil erreichen?
In Deutschland hingegen lobt sich die frisch erholte Kanzlerin selbst für ihre Politik. Sie ließ durch den frisch gebackenen Regierungssprecher Seibert ausrichten, dass sowohl die Politik als auch Unternehmen und Gewerkschaften etwas richtig gemacht hätten (siehe FAZ). Und dann sagte Seibert oder Merkel, keine Ahnung:
„Wir haben nicht mehr Geld, sondern nur ein bisschen weniger Schulden.“
Bei dem Satz habe ich lange überlegt. Wenn man nun festgestellt hat, durch volkswirtschaftliches Wachstum weniger Schulden zu haben, wieso sollte man dann eine hirnrissige Sparpolitik weiterbetreiben wollen, die das Wachstum ausbremst, wie der Fall Griechenland sehr schön zeigt? Aus welchem Grund? Wenn es also richtig ist, dass kreditfinanzierter Staatskonsum zu weniger Schulden führt, weil die so entstehende Nachfragesteigerung die Wirtschaft belebt, verstehe ich die Logik der Bundesregierung an dieser Stelle einfach nicht. Sie widerspricht sich in einem Satz.
Den obigen Satz könnte man allerdings auch so verstehen, dass erst dann wieder von mehr Geld gesprochen werden könne, wenn es gar keine Schulden mehr gibt. So gesehen, wird es nie wieder mehr Geld geben. Aber wie der Film im vorigen Beitrag zeigt, gibt es viel Geld, auf das der Staat einfach verzichtet.
Aber ich war ja noch bei Amerika und der dortigen Wirtschaftsflaute. Die Deutschen „Star-Ökonomen“ meinen ja, dass die Entwicklungsländer wie China und Indien gerade Maschinen und chemische Produkte „made in Germany“ für ihren Aufstieg bräuchten und somit die deutsche Konjunktur längerfristig beflügeln würden. So zum Beipiel der fälschlicherweise als „Experte“ titulierte INSM-Botschafter Michael Hüther kürzlich (siehe NDR-Info). Das ist natürlich nur eine Teilwahrheit. Denn ohne amerikanische Nachfrage wird auch der aktuelle Exportweltmeister China keine Waren „made in Germany“ brauchen, um die in Kombination mit noch niedrigeren Personalkosten hergestellten Billigprodukte auf dem Weltmarkt anbieten zu können. Wer soll den Mist denn kaufen, wenn der Rest der Welt mit Sparen beschäftigt ist?
Aber es ist ja noch etwas anderes. Michael Hüther, der hierzulande gegen jede Form des Keynesianismus wettert und Konjunkturprogramme und eine Stärkung der Binnennachfrage am liebsten ins Reich der Märchen verbannen würde, ausgerechnet dieser neoliberale Hampelmann stellt sich hin und lobt die Konjunkturpolitik der Volksrepublik China, von der die Deutschen in Zukunft wohl profitieren sollen, wenn die USA und ganz Europa als Nachfrager deutscher Billigprodukte ausfallen. Dabei war China doch in den Augen dieser angeblichen „Experten“ immer ein Konkurrent. Nun soll also ausgerechnet China, in dem bereits Immobilienblasen zu platzen drohen, zur Lokomotive der Weltwirtschaft werden (siehe Jens Berger, Telepolis)? Wohl kaum.
„Am chinesischen Wesen wird die deutsche Volkswirtschaft genesen? Wenn man hierzulande nicht bald die Weichen in Richtung Binnenwirtschaft stellt, wird man in Nibelungentreue zusammen mit dem Dogma der freien Märkte untergehen.“
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.