
Kriege haben Ursachen. Doch daran ist kaum jemand interessiert. Der Aggressor ist der Aggressor und das auch nur deshalb, weil er irgendein Imperium errichten will und die Demokratie in der Nachbarschaft dabei fürchtet. Ein Treffen mit der Presse im Oval Office des Weißen Hauses dauert insgesamt rund 50 Minuten, doch daran ist kaum jemand interessiert. Nach den gestrigen Ereignissen in Washington stellt das deutsche, auf Twitter/X herumdödelnde, Expertentum seine Dummheit erneut unter Beweis, indem es auf einen kleinen Ausschnitt am Ende dieser denkwürdigen Zusammenkunft verweist, um darin, natürlich erst nach einer Weile, einen perfiden Plan zu erkennen.
Demnach hätten Präsident Trump und sein Vize Vance den ukrainischen Präsidenten Selenskyj bewusst gedemütigt, weil es ihnen nur darum ging, vom eigenen Versagen abzulenken. Schließlich hätte Trump versprochen, innerhalb von 24 Stunden für Frieden zu sorgen. Das sei ihm nicht gelungen, daher braucht er nun einen, dem er die Schuld in die Schuhe schieben kann und das ist eben der ukrainische Präsident, der offenbar kein Interesse am Frieden hat. Das Bemerkenswerte daran ist nur, dass Letzteres zuzutreffen scheint, da er selbst die Vorlage dazu lieferte. Denn die Frage, welchen Sinn Diplomatie mit Russland eigentlich haben soll, stellte er („Can I ask you?“ bei 40:30 an Vance gewandt), bzw. stellte er das fest. Vereinbarungen seien sinnlos, weil sich Russland ohnehin nicht daran halte. Das entspricht auch exakt der Haltung jener auf Twitter/X herumdödelnden Experten, die schon seit Jahren behaupten, mit Putin könne man nicht reden, sondern ihn nur mit militärischer Stärke beeindrucken.
Um was damit zu erreichen, erklärten diese Denkleuchten allerdings nie. Soll Russland besiegt werden und wenn ja wie, indem man das größte Land der Erde mit inzwischen jugendlichen Zwangsrekrutierten und ein paar Söldnern komplett besetzt oder indem man es (eine Atommacht) zur Aufgabe/Rückzug zwingt. Dann, so offenbar die Hoffnung, werde sich das mit dem Frieden von ganz allein regeln. Vereinbarungen, mit wem auch immer, an die man sich auch dann halten müsste, braucht es in dieser infantilen Denkwelt offenbar nicht. Vielmehr wurden auch Bedenken beiseite gewischt, Moskau könnte den Einsatz von Atomwaffen in Betracht ziehen. Das sei alles nur ein Bluff, weil klar wäre, dass eine nukleare Antwort umgehend erfolgen würde. Ist das so? Glauben die Experten nach gestern immer noch an den nuklearen Schutzschirm für Europa? Natürlich nicht, weshalb, um die Falschheit der eigenen Thesen bezüglich des Umgangs mit Russland dennoch aufrechterhalten zu können, schon wieder die absurde Idee eines europäischen Atomkoffers recycelt wird.
Man müsste eigentlich mal zu der Erkenntnis gelangen, dass die Wand, vor die man immer wieder läuft, nicht zurückweichen wird. Es bringt auch nichts, die Wirklichkeit durch die Betrachtung eines kleinen Ausschnitts zu entstellen. Was zum Beispiel vergessen wird, dass dieses Pressegespräch im Vorfeld einer Vertragsunterzeichnung stattgefunden hat. Ein Vertrag, der den amerikanischen Zugriff auf ukrainische Bodenschätze regeln soll, also vor allem Vorteile für Washington bietet. Ist es denn vorteilhaft, einen solchen mutmaßlichen Milliarden-Deal in den Wind zu schlagen, nur um den ukrainischen Präsidenten als Schuldigen für die geplatzte 24-Stunden-Friedensanage zu präsentieren? Offenbar übersieht die twitternde Expertenriege in ihrem Wahn, alles zu verkürzen, die Tatsache, dass dieses Wahlversprechen schon lange vorher kassiert und durch einen Zeitplan bis Ostern ersetzt worden ist. Und da könnten die dödelnden Superexperten mal eine Wette abschließen, wer denn eigentlich früher eine Einigung schafft. Trump und Putin über die Ukraine oder Union und SPD über einen Koalitionsvertrag.
Letztere haben im Angesicht der jüngsten Ereignisse ihre Sondierungsgespräche planmäßig für den Karneval unterbrochen. Erst nach Aschermittwoch soll es weitergehen, eilig scheint es mit einer neuen Regierung niemand zu haben und an diesem Sonntag ist in Hamburg auch schon wieder eine Wahl. Bis dahin haben die auf Twitter/X herumdödelnden Experten, die nicht an Entwicklungen, sondern nur an komischen Moralvorstellungen interessiert sind, mit ihrer höchst eigenartigen Sicht auf die Welt das Wort. Es ist zum Heulen.
Bildnachweis: Screenshot, Tagesschau vom 28. Februar 2025
MäRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.