Die Trump-Karikatur

Geschrieben von: am 25. Jan. 2025 um 15:01

Der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, geht in der kommenden Woche „all in“. So wird es jedenfalls aus dem internen Kreis um ihn herum berichtet. Bei der Einschätzung des Manövers gehen die Meinungen auseinander. Dem einen nötigt der Schritt so etwas wie Bewunderung ab – die FAZ beschreibt den Abriss der Brandmauer zum Beispiel als eine Art mutigen Tabubruch –, die anderen sprechen von einem politischen Selbstmord. Die Wirklichkeit ist nur noch Karikatur.

Los ging es mit der Ankündigung eines 5-Punkte-Plans, dem eine gewisse Wunderwirkung zugeschrieben wurde. Der Plan erfüllte aber gerade kein Momentum – jedenfalls keines, das von Dauer hätte sein können. Vielmehr musste man mit der raschen Erkenntnis rechnen, dass der Tag 1 der Kanzlerschaft nicht identisch mit dem Tag 1 nach der Bundestagswahl ist. Wer sich an die letzten Koalitionsbildungen zurückerinnert – irgendwo gab es doch mal eine Hitliste – weiß, dass zwischen dem Wahltermin und der Bildung einer neuen Regierung weniger Tage oder Wochen vergehen, als vielmehr einige Monate ins Land ziehen. Das kann ein Mann ohne jegliche Regierungserfahrung natürlich leicht übersehen. Vermutlich hat der innere Kreis es ihm in der Nacht erklärt.

Ergebnis: Den trumpesken Ankündigungen in der Migrationspolitik, die dem Unions-Kanzlerkandidaten umgehend einen offenen Liebesbrief der AfD-Vorsitzenden einbrachten, müssen jetzt Taten folgen. Nun sei es ihm und der Union egal, wer den Anträgen zur Migrationspolitik im Bundestag zustimmt. Das war bislang anders. Man wollte mit Blick auf die Brandmauer explizit keine zufälligen Mehrheiten im Parlament riskieren. Doch wer sagt, dass er als erste Kanzleramtshandlung das Innenministerium anweisen wolle, die Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und faktische Einreiseverbote für Menschen ohne gültige Papiere durchzusetzen, muss halt erst einmal Kanzler sein und nicht nur ein Wahlgewinner.

Wie geht nun die Kanzlerwahl? Das steht im Grundgesetz. Demnach entscheidet nicht der Souverän per Erst- oder Zweitstimme, wer Kanzler wird, sondern das Parlament, das auf Grundlage der Stimmabgabe gebildet wird. Es gibt übrigens noch eins, das vollkommen beschlussfähig ist, auch dann noch, wenn der Bundespräsident einen Termin für Neuwahlen angesetzt hat. Die wären nämlich unverzüglich abzusagen, wenn aus der Mitte des Parlaments ein neuer Kanzler gewählt würde. Doch der deutsche Schalspur-Trump greift nicht zum Instrument des konstruktiven Misstrauensvotums, sondern will jetzt Anträge einbringen, die das Parlament beschließen möge, um einen anderen Kanzler zu verpflichten, die Dinge zu tun, die sich Friedrich „der Scheinriese“ Merz für den ersten Tag seiner Regentschaft vorbehalten hat.

Das gilt übrigens auch für den Tag nach der Wahl. Sobald sich ein neues Parlament konstituiert, bleibt der alte Kanzler geschäftsführend im Amt.

Ist das Auftreten von Merz nun ein Kontrollverlust? Die Bundespolizei versucht zu retten, was zu retten ist. „Wenn Politik es um 20 Uhr beschließt, machen wir um 20.01 Uhr Deutschland dicht“, teilt der Vize-Chef der Bundespolizeigewerkschaft mit. Es müssten allerdings drei Dinge erledigt sein, fügt er hinzu. Die Bundespolizei muss dauerhaft Grenzbehörde werden und der Gesetzgeber ihr mehr Zuständigkeiten übertragen. Außerdem müssten schnellstens bundeseigene Abschiebeeinrichtungen her. Das heißt wohl, dass der Möchtegern-Kanzler seine trumpeske Vorstellung über eine erste Amtshandlung noch einmal überdenken sollte.

Ein empörter Vorwurf lautet nun, Merz sei bereit, Grundgesetz und Europarecht zu brechen. Das stimmt. Darüber darf trotzdem einmal herzlich gelacht werden, weil so getan wird, als ob das nicht schon längst stattfindet, und zwar von denen, die sich immer als gute Demokraten diesseits der Brandmauer verstehen. Ob die AfD nun mitstimmen darf oder nicht, sie regiert bei den anderen schon lange mit. Zahlreiche Verschärfungen des Asylrechts und in der Migrationspolitik sowie ein sozialdemokratischer Kanzler auf dem Spiegel-Cover, der endlich mehr Abschiebungen fordert, belegen das. Der nächste Abschiebeflug ist unmittelbar vor der Bundestagswahl übrigens auch schon organisiert, wie man hört.

Die nächste Woche dürfte jedenfalls interessant werden. Vor allem mit Blick auf die Frage, was da überhaupt beschlossen werden soll, so ohne Zeit für Anhörungen, Lesungen und vor allem ohne Haushalt, der regelt, für welche Vorhaben es finanzielle Mittel gibt. Letzteres ist ohnehin die viel dringendere Frage. Also, wo kommt das Geld her? Das ist das, was an Tag 1 zuerst erledigt werden muss und auch erledigt werden wird. Doch das sind ja die Probleme für die Wirklichkeit und nicht für die Karikatur derselben.


Bildnachweis: KI generiertes Bild mit Grok/xAI

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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