Der Kanzler war nie sonderlich beliebt beim Wahlvolk, nun ist ihm aber auch noch die Macht abhanden gekommen. Die Zweifel an seiner Eignung als Kanzlerkandidat der SPD nehmen zu. Und er kann kaum etwas dagegen unternehmen. Denn die Fremdbestimmung der SPD ist zurück.
Über Meinungsmache wird mal wieder massiv von außen auf die innere Willensbildung der Partei eingewirkt. Sie möge doch den beliebteren Kandidaten zur Wahl aufstellen. Das kommt vor allem aus Medien, die der Union nahestehen, die also gar kein Interesse an einem Erfolg der SPD haben. Es ist ja zunächst einmal erklärungsbedürftig, warum man nicht die Chance nutzen sollte, aus dem Kanzleramt heraus Wahlkampf zu betreiben und stattdessen einen Verteidigungsminister zum Kandidaten zu ernennen, von dem man nur weiß, dass er Deutschland kriegstüchtig machen möchte, mal mit Schröders Ex liiert war und ursprünglich aus der Friedensstadt Osnabrück stammt.
Der Kanzler sei gescheitert, heißt es. Daher solle er sich in Würde zurückziehen, meint etwa Markus Söder bei Caren Miosga in der ARD. Das ist bemerkenswert, da nicht nur der Kanzler, sondern auch die anderen beiden Führungsgesichter der Ampel, Christian Lindner und Robert Habeck gescheitert sind. Jedoch sind die wie selbstverständlich zu Spitzenkandidaten ihrer Parteien ernannt worden. Der eine will wieder Finanzminister werden, ohne dass die Medien in schallendes Gelächter ausbrechen, und der andere sogar der nächste Kanzler sein, was weitgehend kritiklos hingenommen wird. Seine Kandidatur käme halt nur zur Unzeit.
Die Eignung des FDP-Chefs steht auch kaum infrage. Der Kampf um die Deutungshoheit in den Medien ist ja noch nicht abgeschlossen. Die „Please Stärke die FDP“-Medien aus dem Springer-Universum tun alles, um den Skandal um den geplanten Koalitionsbruch, den die Zeit enthüllt hat, zu relativieren. Die Meinungsmache läuft also auf Hochtouren und die Frage, wer bei der SPD als Kanzlerkandidat geeigneter wäre, schwächt die Partei insgesamt, was ja auch die Absicht der Medienkampagne ist. 2021 dürfe sich nicht wiederholen. Damals lag die Union in Umfragen auch souverän in Führung und verlor erst im Schlussspurt an Zustimmung. Die Lehre damals: Alles hängt von den Kandidaten ab. Scholz mag nicht beliebt sein, aber professionell genug, um beim Niveaulimbo als das kleinere Übel wahrgenommen zu werden.
Die große Erkenntnis war, dass Scholz von der noch schlechteren Performance seiner Konkurrenten profitierte. Das soll sich nicht wiederholen, da auch ein Merz kein Überflieger ist, sondern grundsätzlich unbeliebt, sogar bei den eigenen Leuten, und anfällig für Peinlichkeiten. Mit Markus Söder hat sich bereits eine Art Betreuer an seine Seite gestellt (»Ohne mich wird es keine Regierung geben.«). Besonders hilfreich wirkt das nicht. Scholz, der den Bruch der Koalition kommen sah und sich mit drei Reden auf mögliche Szenarien vorbereitete, stellt möglicherweise noch immer eine Gefahr dar. Allerdings ist sein Stern verglüht und manches Manöver durchschaubar, wie das Telefongespräch mit Putin, das es als besondere Bildinszenierung in die Fotoreihe der Kanzlerwoche schaffte.
Mehr Diplomatie wagen, das kauft dem Kanzler niemand mehr ab. Inzwischen dürfte klar sein, dass eine Lösung des Konflikts jenseits des Atlantiks erzielt werden wird, ohne Europa und ohne Deutschland, das allerdings einen Großteil der Rechnung begleichen dürfte. Die Ukraine wird diesen Krieg verlieren und all diejenigen in Erklärungsnöte bringen, die immer vom Gegenteil überzeugt waren und forderten, die Kämpfe so lange fortzusetzen, bis Russland sich zurückzieht. Sie brauchen einen Schuldigen für ihre Fehlannahmen und das ist der Kanzler, dessen Zögern die Niederlage einleitete. Er soll durch einen Kandidaten ersetzt werden, der augenscheinlich auf Linie ist.
Bildnachweis: Bundestagsdebatte zum nationalen Veteranentag am 25. April 2024
NOV
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.