Gegenseitige Provokationen

Geschrieben von: am 05. Nov 2024 um 9:26

Ständige Forderungen nach Neuwahlen machen diese nicht wahrscheinlicher. Die Ampelparteien sind zwar kaum in der Lage, sich zu einigen, aber noch weniger dazu fähig, die Koalition zu beenden. Wahrscheinlich, weil angesichts der miesen Umfragewerte am Ende keiner verantwortlich sein will. Daher gibt es nur gegenseitige Provokationen, in der Hoffnung, dass ein anderer den entscheidenden Schritt vollzieht.

Begonnen hat es wohl mit den Alleingängen in der Wirtschaftspolitik. Während der Kanzler einen Industriegipfel veranstaltete, lud der Finanzminister zum Mittelstandsgipfel ein und Vizekanzler Habeck, zu dessen Geschäftsbereich die Wirtschaft eigentlich gehört, wartete mit der Idee eines Investitionsfonds auf. Problem: Die drei von der Tankstelle haben keinen günstigen Kraftstoff mehr, weshalb der kleinste gemeinsame Nenner mal wieder im Abbau einer ominösen Bürokratie besteht. Ob sich das aber als großer Wurf verkaufen lässt, ist mehr als fraglich. Deshalb geht es bei den Manövern auch mehr um Provokation und die Frage, wer schmeißt als erster hin? Spoiler: Keiner.

Da richten sich die Augen sofort auf die FDP, die schon ganz grundsätzlich nicht in diese Regierung passt und bei Wahlen bislang am stärksten Federn lassen musste. Könnte sie mit einem Austritt aus der Koalition drohen? Nein, stellte der Verkehrsminister Volker Wissing kürzlich in der FAZ klar. Das wäre respektlos vor dem Souverän und wörtlich: „Welchen Grund sollte es dafür geben? Weil die anderen Parteien andere Überzeugungen haben? Das wäre ein albernes Argument, denn das wussten alle schon vorher.“ Das Papier seines Parteivorsitzenden kannte er da wohl noch nicht. Dort steht aber auch nicht, dass die FDP die Koalition verlässt, sondern ein Katalog altbekannter Forderungen, über den der Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Montag sagte, er sei ein „ehrliches Angebot“.

Übereifrige Entscheidungen werde es nicht geben, sie wären nüchtern betrachtet auch sinnlos, da ein Bruch der Koalition keinesfalls automatisch Neuwahlen bedeuten würde, bei denen ohnehin keiner der drei Partner derzeit sonderlich gute Ergebnisse zu erwarten hätte. Nein, die SPD stellte klar, dass es notfalls auch ohne die FDP ginge. Und die Grünen? Die sind derzeit führungslos. Der Parteivorstand ist geschlossen zurückgetreten und der Umbau zum Bündnis Robert Habeck noch nicht durch die Basis legitimiert. Das schränkt die Beinfreiheit erheblich ein, weshalb es auch der Vizekanzler war, der eine Teillösung im Haushaltsstreit aufzeigte. Die reservierten Milliardensubventionen für ein Intelwerk, das nicht kommt, könnte man zum Stopfen des Haushaltslochs verwenden.

Und so fügt sich am Ende alles wieder zusammen. Dem neuen NATO-Generalsekretär Mark Rutte sagte der Kanzler: „Die Regierung wird ihre Aufgaben erledigen. Ich bin der Kanzler“. Basta. Es bleibt dabei. Die drei von der Tankstelle haben keine Erklärung dafür, warum der Kraftstoff so teuer ist. Sie wissen aber, dass sich etwas ändern muss, nur ist keiner bereit dazu, die eigenen Überzeugungen über Bord zu werfen, weshalb man sich ständig dieselben Sprechzettel vorliest. Die Bockigkeit aller drei Partner ist dann wohl die gemeinsame Grundlage, auf der es sich weiter regieren lässt.

Der Grund dafür, dass das Land seinen politischen Kompass verloren hat, liegt in einer überangepassten und mediokren politischen Generation in den sogenannten „Mitte-Parteien“. Denn egal, ob Christian Lindner, Olaf Scholz oder Robert Habeck – sie alle schreien zwar ständig nach der großen Kursänderung, weigern sich dann aber, den eigenen Kurs zu ändern, und steuern lieber bockig ins Nirwana.

Wolfgang Michal in der Freitag


Bildnachweis: KI generiert mit Adobe Firefly

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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