Bis zur Aufgabe

Geschrieben von: am 26. Sep 2024 um 8:29

Deutschland bleibe der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa und zwar so lange wie es nötig ist, betont der Bundeskanzler immer wieder, zuletzt beim Treffen der sogenannten Ramstein-Gruppe. Hinter dieser Sprachregelung verbirgt sich ein konkretes Ziel. Und zwar die Hoffnung, dass die Ukraine selbst zu der Erkenntnis gelangt, die Kämpfe nicht länger fortsetzen zu können und in Verhandlungen einzutreten. Doch die denkt nicht daran und legt ihren Sponsoren einen neuen „Siegesplan“ vor. Das passt wiederum nicht zu der inzwischen erfolgten Einladung an Russland, an den nächsten „Friedensgesprächen“ teilzunehmen. Moskau lehnt ab. „Siegesplan“ ist eben kein „Friedensplan“.

Die Formulierung „so lange wie nötig“ gilt seit Anfang an und muss im Kontext der Debatte über einen Sieg der Ukraine gesehen werden. Denn zu Beginn des Krieges gab es eine Auseinandersetzung über das westliche Narrativ. „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen“ gegen „Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren“. Was ist daraus geworden? Vom Gewinnen ist angesichts der militärischen Lage kaum noch eine Rede, vom Verlieren allerdings auch nicht. Nun gilt das Narrativ, wonach eine Ausweitung der Waffenhilfe einschließlich der Erlaubnis, mit Marschflugkörpern tiefer auf das russische Staatsgebiet schießen zu dürfen, einen Beitrag dazu leisten soll, den Kreml an den Verhandlungstisch zu bewegen.

Strategisch missliche Lage

Gleichzeitig gilt aber immer noch das Narrativ, wonach man mit Russland gar nicht verhandeln könne oder dürfe, weil es in seinen Absichten unaufrichtig sei. Moskau verfolge demnach ausschließlich imperialistische Motive und führe einen Krieg, um die Ukraine zu zerstören und das ukrainische Volk zu vernichten. Wer auf dieser Grundlage in Verhandlungen einsteigen wolle, besorge in Wahrheit das Geschäft des Kremls. Nicht Schwäche sondern Härte, Abschreckung, Wehrhaftigkeit, Geschlossenheit – das seien die einzigen Chancen, um Putin wirklich an den Verhandlungstisch zu zwingen. Das ist unlogisch, will man nun verhandeln oder nicht? Der Westen kommuniziert somit inkohärent, was auf eine strategisch missliche Lage schließen lässt.

Die Formulierung „so lange wie nötig“ ist in Wahrheit der Ausweg des Westens aus einem Krieg, den er nicht verhindert, sondern billigend in Kauf genommen hat. Der Teil im „Siegesplan“, wonach man die Russen nur ordentlich bedrängen müsse, um Verhandlungen zu erzwingen und Frieden zu haben, ist insofern schräg, weil ja aus russischer Sicht die fortwährende Bedrängung – Stichwort NATO-Osterweiterung – erst zum Krieg geführt hat. Zu glauben, dass eine höhere Dosis dessen, was in die Katastrophe führte, nun helfen soll, den Frieden zurückzugewinnen, ist daher mindestens fragwürdig, wenn nicht sogar hochgradig gefährlich. Aber deutsche „Experten“, die ihr fehlendes militärstrategisches Wissen regelmäßig öffentlich zur Schau tragen, sehen es wie immer anders.

Sie wollen sich mit den russischen Perspektiven einfach nicht beschäftigen. Wahr ist sicherlich, dass die Ukraine und deren Präsident nicht einfach aufgeben oder Zugeständnisse an Russland machen können. Das hat aber einen Grund, der im Westen nicht zur Kenntnis genommen werden will, weil man die Ukraine als Vorbild der europäischen Demokratie verklärt. Die nationalistischen Kräfte, die schon beim Maidan-Putsch eine Rolle spielten sind immer noch stark. Von ihrem Wohlwollen hängt Selenskis Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit ab. Er bleibt nur solange im Amt, wie er deren Geschäft besorgt, nicht etwa das von Freiheit und Demokratie. Daher werden nun „Siegespläne“, die den Feind zum Frieden zwingen sollen, präsentiert, obwohl es für den geplanten Sieger mehr als schlecht auf dem Schlachtfeld steht.

Nur auf Platz 3

Man solle sich doch mal vorstellen, der ukrainische Präsident würde ohne den „Erfolg“ der Kursk-Offensive [sic!] in New York verhandeln, sagt der deutsche „Experte“, dem offenbar entgangen zu sein scheint, dass die Ukraine schon einmal weniger stark mit dem Rücken zur Wand stand als heute und deshalb verhandelte, bis hin zu einem Ergebnis, das vielleicht nicht annehmbar war, aber als Grundlage für weitere Gespräche hätte dienen können. Nur gab es offenbar Kräfte, die das nicht wollten, was die hiesigen Propagandisten kaum beeindruckt, weil sie sich einen Stellvertreterkrieg partout nicht vorstellen wollen, sondern lieber an die imperialistischen Pläne Russlands glauben, die dabei helfen, über Ursachen und Interessen nicht sprechen zu müssen.

Täte man das, wäre ja auch den deutschen Sofagenerälen klar, dass die Ukraine nur noch auf Platz 3 hinter Asien und Nahost rangiert, also um Aufmerksamkeit und Unterstützung mehr denn je kämpfen muss, dabei aber, ganz nüchtern betrachtet, auf verlorenem Posten steht. Nun soll es der „Siegesplan“ trotzdem richten und wenn das nicht klappt oder die Zustimmung ausbleibt – in New York hört dem ukrainischen Präsidenten bei der UN wieder kaum einer zu – soll eine weitere Runde Stuss auf Twitter/X oder im Interview beim Deutschlandfunk die Wende zumindest an der Heimatfront bringen. Doch die ungeschönte Wirklichkeit straft die herbeigeblockte Filterblase Lügen. Die Öffentlichkeit hält Frieden und Diplomatie inzwischen oder schon immer für wichtiger. Und selbst wenn sie eine Fortsetzung des Krieges befürworten würde, wäre das ohne Belang, da sich an Platz 3 wohl nichts mehr ändert.

Insofern kann der von Vertretern schrumpfender Parteien immer wieder gescholtene Kanzler gar nicht anders, als sich defensiv zu verhalten. Er hat schlicht keine anderen Optionen auf dem Tisch, zumal seine Regierung nach den letzten Wahlergebnissen wieder ein Stück mehr unter Druck geraten ist und gegen Auflösungserscheinungen ankämpfen muss. Während die Amerikaner am Krieg verdienen, sollen die Europäer dessen Kosten übernehmen und noch mehr Geld für Waffen bereitstellen. Derweil stürzen Brücken und im übertragenen Sinne auch der gesellschaftliche Zusammenhalt unter der Last der Schuldenbremse ein. Die Fortschrittskoalition ist inhaltlich am Ende, weil ihr keine trickreichen Antworten mehr auf ungelöste Finanzierungsfragen einfallen. So wird möglicherweise auch sie am Ende einfach aufgeben müssen.


Bildnachweis: Screenshot, tagesschau

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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