Versagen der Gewaltenteilung

Geschrieben von: am 08. Sep 2024 um 13:52

Bei der Aufarbeitung der Coronazeit spielen die Forderungen nach Konsequenzen eine wichtige Rolle. Die Schuldigen müssen nicht nur Verantwortung übernehmen, sondern zu eben jener gezogen werden. Das erlittene Leid fordert nach Genugtuung. Eine Entschuldigung reicht da nicht, ein Rücktritt auch nicht, sondern Bestrafung, wie auch immer die aussehen mag. Doch wichtig bei der Aufarbeitung der Coronazeit ist weniger, dass am Ende irgendein Politiker oder Wissenschaftler bestraft wird, sondern dass ein offenbar gewordener Mangel im System der Gewaltenteilung behoben wird. Denn deren Versagen wird immer deutlicher.

Die Legislative gab mit der Erklärung der pandemischen Lage nationaler Tragweite die Verantwortung an die Exekutive ab. Man begnügte sich damit, in regelmäßigen Abständen diese Lage pro forma zu überprüfen und dann zu verlängern. Die Exekutive wiederum erließ Verordnungen, gegen die zu klagen beinahe sinnlos war, weil die Gerichte nach dem Prinzip der Folgenabwägung entschieden und der Exekutive dabei ein weitgehendes Entscheidungsrecht unter Unsicherheit zubilligten. Darüber hinaus vertrauten die Gerichte bei der Bewertung konkreter Sachverhalte fast ausschließlich auf die Expertise von Behörden, die weisungsgebunden und damit abhängig von der Exekutive waren.

Durch die RKI Protokolle ist inzwischen bekannt, dass es Einfluss der Exekutive auf die öffentlichen Stellungnahmen der Behörde gab. War das möglicherweise auch den Richtern bekannt? An den Verwaltungsgerichten vielleicht nicht, wie die jüngste Verhandlung in Osnabrück gezeigt hat, aber das Bundesverfassungsgericht muss sich ein begründetes Misstrauen gefallen lassen, zumal es während des Verfahrens über die Bundesnotbremse beispielsweise vertrauliche Abendessen mit Vertretern der Bundesregierung abhielt, bei denen auch noch Impulsvorträge zum Thema „Entscheidung unter Unsicherheiten“ gehalten wurden. Es ist daher die Frage zu klären, ob hier ein Mechanismus möglich wurde, die Gewaltenteilung außer Kraft zu setzen. Falls das so war, hätte die Demokratie einen sehr viel größeren Schaden erlitten, als durch Landtagswahlen in Ostdeutschland, über die das immer wieder behauptet wird.

Komischerweise interessieren sich ZDF-Chefredakteurinnen aber nicht für das mutmaßliche Versagen der Gewalten, wenn sie doch ganz billig Wahlergebnisse heranziehen können, um diese in eine Reihe mit dem Zweitem Weltkrieg zu stellen. Wie konnte das Bundesverfassungsgericht eigentlich urteilen, die einrichtungsbezogene Impfpflicht sei verfassungskonform, obwohl die gelieferte Begründung zu keinem Zeitpunkt stimmte. Den Übertragungsschutz, den das Gericht bemühte, gab es nicht. Trotzdem hat sich Karlsruhe auf die offiziellen Verlautbarungen des RKI gestützt, von denen wir inzwischen wissen, dass sie gelogen waren. Denn intern war die Sache mit dem fehlenden Übertragungsschutz längst klar, wie einerseits die RKI Protokolle belegen und andererseits die Zeugenaussage des jetzigen RKI Präsidenten vor dem Verwaltungsgericht in Osnabrück bestätigt. Haben am Ende Parlament, Regierung und Gericht gemeinsame Sache gemacht? Diesen ungeheuerlichen Vorwurf gilt es aufzuklären und das Prinzip der Gewaltenteilung wiederherzustellen. Darum geht es und nicht darum, ob es gelingt, Karl Lauterbach irgendwann zu einem Rücktritt zu bewegen.


Bildnachweis: Jeyaratnam Caniceus auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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