Vor den beiden Landtagswahlen am Sonntag hat es Ausgrenzung, Dämonisierung und Beschimpfung gegeben. Das hat offensichtlich gewirkt. Mehr Menschen haben von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. In Sachsen lag die Wahlbeteiligung bei 74,4 Prozent und in Thüringen bei 73,6 Prozent. Die Wahlergebnisse geben nun Anlass zu einer Überprüfung der bisherigen Sprachregelung. Denn Ausgrenzung, Dämonisierung und Beschimpfung haben nicht den gewünschten Effekt erzielt. Im Gegenteil: Diese Nicht-Strategie hat zur Mobilisierung und dem beklagenswerten Wahlergebnis maßgeblich beigetragen.
Zu diesem Ergebnis kommen zumindest einige Beobachter, die das Wahlergebnis und insbesondere den deutlichen Wahlsieg der AfD einordnen, wie die phoenix wahlrunde gestern Abend. Dort kam man auch zu dem Ergebnis, dass Ausgrenzung, Dämonisierung und Beschimpfung des zweiten Wahlgewinners BSW doch etwas überzogen war. Es gebe Unterschiede zwischen AfD und BSW, was man als eine pragmatische Einsicht werten kann, da eine Regierungsbildung gegen die AfD nur mit dem BSW noch möglich ist. Dieser Realismus tut gut, auch weil damit der Hinweis auf inhaltliche Leerstellen verbunden ist, die die unerwünschte Konkurrenz erfolgreich besetzen konnte. Die Wähler wollen etwas, das im bisherigen Angebot nicht zu haben war. Damit müsse man sich auseinandersetzen. Ein Fortschritt in der Analyse.
Realismus gibt es auch hier. Zeit-Autor Martin Machowecz kommt zu dem Ergebnis, dass es ein Fehler wäre, das BSW wie die AfD zu behandeln. Er weist außerdem auf Probleme hin, die dem bisherigen Selbstbild Deutschlands immer mehr widersprechen. „Die Bahn fährt nicht, die Energiewende ist ein mittleres Desaster, Stahlkonzerne ziehen sich zurück. Es reicht nicht mehr, das nur so dahinzusagen. Dieses Wahlergebnis belegt es. Der Fortschrittsoptimismus ist weg. Und Ostdeutsche finden das traditionell besonders bekümmernd.“ Diese inhaltliche Analyse ist zu begrüßen, weil sie klarstellt, dass sich eine Demokratie nicht allein durch das Aufstellen von Brandmauern definiert, sondern auf ganz andere, nämlich konkrete Dinge achten muss, die mit dem Alltag der Menschen zu tun haben.
Andere Beobachter machen hingegen weiter mit Ausgrenzung, Dämonisierung und Beschimpfung. „Nein, es sollen hier keine Wählerinnen und Wähler beschimpft werden. Vielleicht ist es aber nach annähernd zehn Jahren, in denen die deutsche Öffentlichkeit sich von Wahl zu Wahl an höhere AfD-Zahlen gewöhnen musste, einmal Zeit für eine dezente Wählerkritik“, schreibt etwa Christian Bangel, ebenfalls Zeit. Bestimmte Wähler schaden der Demokratie, meint er. Nicht das politische Angebot ist also schlecht, sondern der Wähler zu dumm oder gefährlich. Dabei kann die CDU in Thüringen ohne AfD oder Linke keine Regierung bilden. Kooperationen mit beiden Parteien sind laut Beschlusslage aber immer noch untersagt. Wie wäre es da einmal mit dezenter Parteienkritik?
Aufgabe von Parteien ist es, ein politisches Programm mit Zielen zu formulieren und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen zu sorgen (siehe Parteiengesetz). Das misslingt, auch weil schon wieder erklärt wird, die mangelnde Unterstützung resultiere lediglich aus einer unzureichenden Kommunikation, was nur eine andere, vor allem abgedroschene Form der Wählerbeschimpfung ist. Die Hysterie rund um die Landtagswahlen ignoriert, dass Kooperationen auf kommunaler Ebene längst stattfinden und die Demokratie trotzdem noch intakt ist. Ausgrenzung, Dämonisierung und Beschimpfung funktioniert nur bis zu einem gewissen Punkt. Auch der Kanzler hat das erkannt und mahnt inzwischen aus Mangel an Alternativen, „stabile Regierungen ohne Rechtsextremisten zu bilden.“
Mehr Druck und mehr Aufarbeitung
Das tat er als Abgeordneter der SPD-Bundestagsfraktion und nicht als Kanzler, wie zu lesen ist. So können die Sprecher der Bundesregierung Nachfragen in der Bundespressekonferenz leichter abwehren. Denn eins ist auch klar. Trotz des miserablen Abschneidens der Ampelparteien zweifelt außer Wolfgang Kubicki niemand an dem Fortbestand der Koalition. Sie wird nun aber mehr Druck aus den Ländern bekommen. Das BSW hat Regierungsbeteiligungen an Bedingungen geknüpft, die schon vor der Wahl für Aufregung und Ablehnung sorgten. Künftige Partner müssen ihre Haltung zu bundespolitischen Themen ändern. Dabei geht es um die Stationierung von Mittelstreckenraketen, die der Kanzler im Alleingang mit den USA beschloss, und um diplomatische Initiativen, um den Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu beenden.
Fast alle Beobachter sind sich nun aber einig, dass dies nichts mit der Landespolitik zu tun habe, was natürlich falsch ist. Das Wahlergebnis ist auch eine Folge von Krieg und Aufrüstung. Das zeigen die Zahlen. Die Friedenspolitik zum Thema zu machen, war daher eine kluge Strategie. Sahra Wagenknecht wies außerdem auf den Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten im Bundesrat hin, der durchaus in der Lage wäre, Einfluss auf die Politik der Bundesregierung zu nehmen. Es ist daher nicht sonderlich überzeugend, wenn Kommentatoren nun die Rolle der Länder herunterspielen, weil sie keine brauchbaren Argumente gegen eine legitime politische Position mehr finden, gleichzeitig aber betonen, wie gefährdet die Demokratie durch diese Wahlergebnisse doch ist.
Und noch eins: Junge Menschen wählen wohl keine Parteien, die offen kommunizieren, das sie künftig jede Menge Reserven – umgangssprachlich Kanonenfutter – für militärische Belange benötigen. Und das, nachdem diese Wählergruppe durch eine rigorose Coronapolitik auf ihre Jugend weitgehend verzichten musste. Da hilft dann auch kein Gejammer über den vermeintlichen Untergang der Demokratie, sondern nur konkrete Aufarbeitung. Dafür müsste man den Weg schnellstens frei machen. Man kann diese Menschen natürlich auch einfach weiter beschimpfen, sollte sich dann aber nicht mehr über künftige Wahlergebnisse wundern.
Bildnachweis: Screenshot, Berliner Runde, ZDF, 1. September 2024
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.