Angst vor den Wählern

Geschrieben von: am 25. Aug 2024 um 21:17

Am 1. September ist ein regulärer Wahltermin. In drei ostdeutschen Bundesländern wird zum Urnengang aufgerufen. Eine Hochzeit der Demokratie? Nein. Die Angst vor den Wählern ist mal wieder groß. Diese Angst ist es dann auch, die die Ampel in Berlin trotz allen Streits und fehlender Geschäftsgrundlage immer noch zusammenhält, meint jedenfalls der Spiegel. Und so verkehrt ist das nicht.

Seit Tagen wird der Osten und die dort lebenden Menschen dämonisiert. Der vorläufige Tiefpunkt war wohl der Auftritt des Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk, der gerade ein neues Buch geschrieben hat und im heute journal seltsame Thesen zum Besten geben durfte, wonach die Ostdeutschen den Wert der Freiheit nicht sonderlich schätzen würden und lieber autoritäre Regierungsformen bevorzugen. Das überrascht nach der Corona Pandemie mit ihrem zweifelsfrei autoritären Ansatz, der gerade im Osten auf sehr viel Widerstand stieß.

Man könnte daher auch nach anderen Gründen suchen, warum die Umfragen jetzt so sind wie sie sind und sich beispielsweise in Erinnerung rufen, dass in Thüringen eine vorgezogene Landtagswahl im Jahr 2021 vereinbart war. Die kam aber aus Gründen der Opportunität und, weil am Ende wieder die falschen der Auflösung des Landtages zugestimmt hätten, dann doch nicht zustande. So wurschtelte die Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen, die nach dem Kemmerich-Intermezzo doch noch ins Amt kam, die vollen fünf Jahre lang weiter. Dass die Wähler diesen gescheiterten parlamentarischen Kuhhandel mit ihrer Stimmabgabe missbilligen könnten, liegt jedenfalls näher, als die These vom Wunsch nach einer autoritären Regierungsform, von der der Historiker gar nicht genauer erklärt, wie sie denn im Rahmen der Verfassung eigentlich umgesetzt werden sollte.

Lustige Diffamierungsversuche

Gelernt haben wir bislang nur, dass eine pandemische Lage von nationaler Tragweite Grundrechte und wesentliche Mechanismen der Gewaltenteilung außer Kraft zu setzen vermag. Aber das haben die bisherigen Regierungsparteien zu verantworten und nicht die, denen man nun einen Hang zum Autoritarismus unterstellt, was übrigens im Fall von Sahra Wagenknecht besonders lustig ist. Ihre Forderung nach Diplomatie wird allenthalben als Sympathie für Putin ausgelegt und weil man aber merkt, dass das nicht sonderlich überzeugend ist, wird hervorgekramt, dass sie in den 1990er Jahren in der Kommunistischen Plattform aktiv gewesen war. Deshalb ist das BSW jetzt auch kommunistisch, folgt man dem Historiker. Irgendwas muss ja funktionieren, und wenn es nur der abgestandene Antikommunismus ist, der als grundlegender Integrationsfaktor für die Entwicklung des politischen Selbstverständnisses der westdeutschen Gesellschaft gilt.

Aber damit kann man nicht einmal mehr im Westen punkten, im Osten schon gar nicht. Hier gehen die Umfragewerte mit jedem albernen Diffamierungsversuch ein Stück weiter nach oben. Der Kommunismus-Vorwurf ist zudem unvollständig wie Sahra Wagenknecht in der Berliner Zeitung erklärt. „Plötzlich wird wieder hervorgekramt, dass ich mich in den 90-er Jahren in der Kommunistischen Plattform engagiert habe. Oder dass ich 1989 der SED beigetreten bin. Wobei man natürlich verschweigt, dass ich in der DDR nicht studieren durfte, weil ich die Partei kritisiert hatte.“

Lustig ist auch der Versuch von Kevin Kühnert, Großspenden an das BSW zum Problem zu erklären. Wenn die Despoten dieser Welt verstünden, dass man sich im größten EU-Mitgliedstaat mit ein paar Millionen eine – Zitat – „Pappmaché-Partei“ aufbauen könne, stehe Deutschland eine Entwicklung bevor, die seine liberale Demokratie möglicherweise sehr unter Druck setze. Ob die SPD bereits eine solche „Pappmaché-Partei“ sei, weil sie regelmäßig Großspenden von Rüstungsfirmen und Finanzkonzernen annimmt, ließ Kühnert allerdings offen. Eine Überarbeitung der Parteienfinanzierung ist allerdings durchaus zu begrüßen.

Aus Gründen

Das ganze Geplänkel lenkt ein wenig ab, von der Frage, warum Parteien wie AfD und BSW an Zustimmung gewinnen, andere Parteien hingegen massiv an Unterstützung verlieren. Der Spiegel schreibt nun in seiner aktuellen Titelstory über den Zustand der Ampel: „Der Schaden geht über die drei beteiligten Parteien hinaus. Im September werden in Ostdeutschland drei Landtage neu gewählt. Die AfD liegt in Thüringen und Brandenburg vorn, in Sachsen nur knapp hinter der CDU, sie profitiert vom Frust, den diese Regierung auslöst, sammelt diejenigen ein, die sich entnervt, enttäuscht abgewandt haben.“ Aha. Dass die Ampel-Parteien derzeit schlecht abschneiden, hat etwas mit den Ampel-Parteien zu tun und eben weniger mit Desinformation, Sehnsucht nach Autorität oder Putin.

Da könnte wohl etwas dran sein. Leider erklärt der Spiegel nicht, wo die Ampel versagt, sondern beschränkt sich auf die Performance, also die Haltungsnoten der drei Ampel-Männer, die sich zunehmend gegenseitig in die Pfanne hauen, was sich gut nachvollziehen und lesen lässt, aber am Kern des Problems vorbei geht. Vielleicht sind die Wünsche der Bevölkerung andere als die, die in der Politik immer wieder zum Tragen kommen. Die soziale Frage, die wachsende Ungleichheit, die Außen-, Wirtschafts-, Migrations- und Energiepolitik. Auf diesen Politikfeldern hört man vor allem viel Ideologisches, garniert mit einer immer größer werdenden Portion Moral, aber nichts, was den Interessen der Bevölkerung tatsächlich Rechnung trägt. So entscheidet die sich dann eben für andere Parteien.

Der Entertainer Harald Schmidt sagte kürzlich: „Solange gewählt wird, haben wir eine Demokratie“. Hört man aber den Politikern zu, die immer weniger Unterstützung für sich und ihre Parteien organisieren können, dann ist das Gegenteil der Fall. Die Demokratie ist immer häufiger durch die nächste Wahl in aller größter Gefahr. Die laufen allerdings immer noch frei, gleich und geheim ab, so wie es das Grundgesetz vorschreibt und wie es sich die Ostdeutschen 1989 gewünscht haben. Harald Schmidt urteilt, wenn man das nicht mehr wolle, müsse man Wahlen eben abschaffen oder das Ergebnis vorher festlegen. Für beides gebe es Modelle. Die Angst vor Wahlen und den Wählern nervt dagegen gehörig und ist mittlerweile pathologisch.

Wer dann dies wählt, ist das und wer das wählt, bewirkt dies. Es ist ein Trauerspiel, so als ob Demokratie nur dann ist, wenn man „richtig“ wählt. Das ist aber nicht Demokratie, sondern DDR. Der Ampel-Koalition droht nun bei den anstehenden Landtagswahlen ein Desaster, was demokratisch vollkommen legitim ist. Es besteht nun einmal keine Pflicht zur Rettung von Parteien, die immer nur unter sich miteinander koalieren wollen, dabei aber missachten, was im Interesse der Wähler ist.

Symbolpolitik mit Helm

Schadet das alles der Demokratie? Sicherlich, sie war noch nie perfekt und immer schon anfällig für Inkompetenz und das Bestreben nach Autoritarismus. Deshalb sind die Grundrechte auch als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat formuliert und nicht umgekehrt. Man wird daher mit den Wahlergebnissen leben müssen, auch wenn die Berichte zu Vertrauensfrage und Neuwahlen sicherlich schon im Stehsatz hinterlegt sind. Nur warum sollte das passieren, wenn die Furcht vorm Wähler inzwischen das Sein bestimmt? So ein Kanzler – einmal gewählt – sitzt fest im Sattel und verlässt diesen nur dann vorzeitig, wenn er sich der Fortsetzung seiner Macht durch Neuwahlen sicher sein kann.

Wie die Lage ist, erklären die 12 Autoren der Spiegel-Titelstory ganz nüchtern: „Käme es demnächst zur Neuwahl, hätten alle drei Ampelpartner Grund, sich vor den Wählern zu fürchten. Die SPD würde das Kanzleramt nach nicht einmal vier Jahren ziemlich sicher wieder verlieren, die Grünen dürften zurück auf die Größe einer ambitionierten Spartenpartei schrumpfen, die FDP könnte aus dem Bundestag fliegen.“ Dann lieber weitermachen, sogar ohne Geschäftsgrundlage. Zu diesem Befund hätte allerdings auch ein einziger Journalist kommen und ergänzen können, dass nun wieder eine Phase der Symbolpolitik, vorzugsweise mit Helm, folgt, um durch Rettung einer Werft zum Beispiel, die dahinsiechenden Haltungsnoten ein wenig aufzupeppen. Doch „wer Symbolpolitik mit Helm betreibt, macht es sich zu einfach. Wer ernst genommen werden will, sollte schleunigst den Helm absetzen und den Verstand einschalten.“


Bildnachweis: Cover Der Spiegel vom 24. August 2024

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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