Verfassungsfeindliche Sabotage, egal

Geschrieben von: am 18. Aug 2024 um 21:46

Im Fall der Lecks an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 hat die Bundesanwaltschaft vor zwei Jahren Ermittlungen eingeleitet. Der Verdacht: verfassungsfeindliche Sabotage. Ziel war es, Täter sowie Tatmotive herauszufinden (BR24, 10.10.2022). Ebenso hoffte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, dass es zu einer Anklage gegen die Saboteure der Nord-Stream-Pipeline kommen wird. „Ich erhoffe mir, dass der Generalbundesanwalt genügend Anhaltspunkte findet, um die Täter anzuklagen“, sagte Faeser dem Magazin „Spiegel“ (ZDF, 25.08.2023). Heute ist das alles egal. Aus einem Akt der verfassungsfeindlichen Sabotage oder einem Anschlag auf die Energieinfrastruktur des Landes ist ein legitimes militärisches Ziel geworden.

Zumindest stellt das die FAZ als ernsthafte Frage in den Raum und auch andere, die bislang der These anhingen, die Russen müssen es selbst gewesen sein, adeln die Zerstörung der Pipelines nach den Enthüllungen der letzten Tage nun als eine Art Heldentat. Der Grund: Die Ermittlungsergebnisse des Generalbundesanwalts auf der einen und Recherchen amerikanischer Medien auf der anderen Seite. Diesen zu folge spielten die Ukraine, aber auch Polen eine aktive Rolle bei der Zerstörung der Pipelines. Doch statt sich darüber zu empören, was unter Freunden noch so alles möglich ist, wird ein Akt des Terrorismus plötzlich verharmlost und sogar gerechtfertigt oder die jüngsten Erkenntnisse mit neuen aus den Ärmeln geschüttelten Fährten abgetan.

Vor eineinhalb Jahren verlangte Kiesewetter von der Bundesregierung noch Transparenz zu Nord-Stream-Explosionen, heute findet er es im Interview mit Welt gut, dass sie still ist, weil ja noch in alle Richtungen ermittelt würde. Vor zwei Jahren vermutete derselbe Kiesewetter Russland hinter dem Sabotageakt sofort und ohne Ermittlungsergebnis. „Nach allem, was wir wissen, kann es sich bei den Lecks in den Pipelines Nord Stream 1 und 2 fast nur um einen gezielten staatlich veranlassten Sabotageakt handeln. An Zufälle glaube ich kaum in der fragilen und angespannten Lage“, sagte Kiesewetter dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Jetzt ist es ihm allerdings allem Anschein nach wurscht, zumindest wenn es die Ukrainer und nicht die Russen gewesen sein sollten.

„Aus sicherheitspolitischer Perspektive dient ein solcher Sabotageakt der Abschreckung und Bedrohung. Mit einem Angriff auf die Infrastruktur der Energieversorgung soll Angst und Schrecken verbreitet werden“, so Kiesewetter damals weiter. „Es ist deshalb wahrscheinlich, dass Russland auf diese Weise versucht, einerseits Verunsicherung in der europäischen Bevölkerung zu schüren und anderseits auf staatlicher Ebene ein weiteres Mal auf die Bedrohungsmöglichkeit durch den Angriff auf kritische Infrastruktur hinweist“, fügte der Abgeordnete hinzu.

Und nun? Müssen wir uns nicht mehr fürchten, weil die Ukrainer, sofern sie es waren, gar keinen Angriff auf kritische Infrastruktur der Energieversorgung unternommen haben, sondern die Leitungen als ein legitimes militärisches Ziel zerstörten? Haben die Ukrainer, sofern sie es waren, uns also einen großen Gefallen getan, weil Russland die Pipelines als Werkzeug und die Energie als Waffe gegen uns nicht mehr einsetzen kann? Wieso wäre das erst jetzt so und nicht schon vorher, als noch galt, die Russen hätten sie gesprengt? Am besten Klappe halten und einen Schlussstrich ziehen, meint jedenfalls Donald Tusk, der polnische Ministerpräsident.

Nicht die Saboteure gilt es zu verurteilen, sondern die Befürworter der Pipelines. Sie hätten sich gefälligst zu entschuldigen. Tusk hat da wohl insbesondere den ehemaligen BND-Chef August Hanning im Sinn, der im Interview mit dem Sender Welt eine Verabredung zwischen der Ukraine und Polen behauptete. Dabei, und das scheint mittlerweile in Vergessenheit geraten zu sein, hatte auch die EU den Angriff auf die Pipelines verurteilt und dem mutmaßlichen Täter schärfste Reaktionen und Vergeltung angedroht.

Die Nato passte sogar ihre Doktrin an und wertet Taten gegen kritische Infrastruktur inzwischen als kriegerischen Akt. Gilt das nur, wenn die Täter aus Russland kommen oder sind Nord Stream 1 und 2 inzwischen unkritische Infrastruktur? Es scheint fast so, kam ja eh kein Gas mehr an, sagen die ganzen Experten, einschließlich Kiesewetter heute. Demnach ergebe der Verdacht gegen die Ukraine auch keinen Sinn. Es hätte aber wieder welches fließen können. Ermittler deuten so etwas in der Regel als Motiv, der deutsche Politiker mit militärischem Rang und Mandat stellt sich derweil dumm.

Jedenfalls ist klar, warum plötzlich eine Kehrtwende in der Betrachtung des Anschlags vorgenommen wird, behaupten doch die jüngsten Enthüllungen des Wall Street Journal, dass es eine staatlich organisierte Operation war und die Bundesregierung dank geheimdienstlicher Warnungen darüber Kenntnis haben musste. Daraus ergeben sich wiederum unangenehme Fragen, die aber niemand stellen will, weil doch die Ukrainer die Angegriffenen sind und deren Sicherheit laut Kiesewetter unser aller Interesse ist, auch wenn sie die Pipelines gesprengt haben sollten.

Was darf die Unterstützung der Ukraine noch kosten?

Doch diese Art der kritiklosen Unterstützung geht entschieden zu weit. Schließlich steht der Vorwurf im Raum, dass sich mit der Ukraine und Polen zwei Staaten abgesprochen haben sollen, die kritische Infrastruktur eines befreundeten Nachbarlandes zu zerstören. Auch wenn nun so getan wird, als sei nur Russland ein Schaden entstanden, bleibt die Frage, was die Unterstützung der Ukraine eigentlich noch kosten darf. Die FAZ liest aus interner Korrespondenz der Bundesregierung eine baldige Kappung der Hilfen heraus. Der Bericht sorgte ebenfalls für Wirbel, da er gleichwohl als Zugeständnis an eine neue politische Kraft verstanden werden könnte, die nach den drei ostdeutschen Landtagswahlen am 1. September als möglicher Koalitionspartner für eine Mehrheit jenseits der AfD in Frage kommt.

Das BSW lehnt weitere Waffenlieferungen ab und macht die Zurückweisung der Pläne, neue Mittelstreckenraketen der USA in Deutschland zu stationieren, sogar zu einer Bedingung der Zusammenarbeit. Der Hebel wirkt, da inzwischen alle Parteien aus purer Not heraus signalisieren, offen für Gespräche mit dem BSW zu sein. Das ist aber nur ein Nebeneffekt. Im Kern hat die Bundesregierung ein ungelöstes Finanzierungsproblem. Weitere Milliardenhilfen an die Ukraine gibt die dogmatische Haltung zur Schuldenbremse nicht her, so dass mit den Zinsen auf beschlagnahmtes russisches Vermögen eine alternativen Finanzierungsquelle präsentiert wird. Die existiert derzeit aber nur als Ankündigung. Ein Verfahren gibt es nicht und wird es mit Blick auf die Folgen vermutlich auch nicht geben.

So bleibt es bei der Verwaltung der allgemeinen Hilflosigkeit. Oder wie der Bundeswirtschaftsminister nach der zweiten Einigung zum Haushalt 2025 formulierte, jetzt müsse man halt in den anstehenden Beratungen noch ein paar Milliarden im Haushalt finden. Das sei auch kein Problem, gelang der Regierungsspitze nur leider nicht.


Bildnachweis: Screenshot, Welt, 16.08.2024

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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