Nun liegen die Protokolle des Coronakrisenstabes am Robert Koch-Institut (RKI) vor, ohne Schwärzungen. Bringen sie neue Erkenntnisse? Sicherlich. Doch im Augenblick leisten sie aber noch keinen Beitrag zur Aufklärung. Das Interesse daran ist wirklich gering. Die Protokolle dienen vor allem einer Fortsetzung des Grabenkampfes, wie die Art der öffentlichen Unterrichtung zeigt.
Die Gekränkten wollen verständlicherweise keine Aufarbeitung mit dem Ziel, den gesellschaftlichen Frieden wiederherzustellen, sondern in erster Linie eine schonungslose Abrechnung mit den Verantwortlichen. Die wiederum setzen sich gegen die verbale Aggressivität ebenso verständlich zu Wehr. Das Ergebnis: Die extremen Positionen nähren sich von Neuem, was wiederum den Geschäftsmodellen beider Seiten dient. Nur wer bereit ist, zu ertragen, kommt einer Überwindung eben jener gesellschaftlichen Gräben näher. Doch das scheint von niemandem gewollt.
Dass es nicht um Aufklärung, sondern um Befindlichkeiten oder das eigene Geschäft geht, zeigt allein schon die Veröffentlichung der ungeschwärzten Protokolle durch die Journalistin Aya Velázquez, die das ausgerechnet an der Seite von Stefan Homburg tat, der bekannt für seine scharfen und anklagenden Worte in sozialen Netzwerken ist. Das Medium wiederum, das auf Herausgabe der Protokolle in einem langen Verfahren klagte und damit maßgebliche Vorarbeit leistete und vor allem Geld investierte, blieb außen vor. Der Herausgeber von Multipolar, Paul Schreyer, wunderte sich daher auch über die Art und Weise, wie es zu der Veröffentlichung kam.
Einige behaupten nun, den Leak habe die Regierung selbst zu verantworten, um dem armen Paul Schreyer und sein Magazin im Vorfeld des noch ausstehenden Urteils im Verfahren um die Protokolle in die Parade zu fahren. Wer weiß das schon, inhaltlich erfuhr die Öffentlichkeit bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz, deren Ansetzung angeblich den Urlaubsplänen von Beteiligten geschuldet war, aber kaum etwas Neues. Auch das RKI hielt die Äußerungen über eine Pandemie der Ungeimpften für fragwürdig. Das ist nun wahrlich keine Überraschung, da der eigentliche Skandal schon immer in einer mangelhaften Erfassung von Daten bestand. Man erinnere sich nur an die Corona-Toten, die nur deshalb Corona-Tote waren, weil bei ihnen zum Zeitpunkt ihres Todes zufällig eine Infektion nachgewiesen werden konnte.
Die Irreführung mit Inzidenzen ist ebenfalls bekannt und durch Medien längst aufgeklärt. Die Wirkung der Impfungen wurde für jeden erkennbar überschätzt und die Belastung der Intensivstationen stets dramatisiert. Dass für die Virusübertragung Aerosole verantwortlich sind, die in Abhängigkeit zum jeweiligen Raum, in dem man sich bewegt, gesehen werden müssen, wurde gerade von Virologen und Physikern, die die Regierung berieten, standhaft ignoriert. Es war aber schon immer bekannt, dass sich die Infektionen nicht gleichmäßig in einer Population ausbreiten, sondern dort besonders hoch sind, wo Menschen auf engstem Raum zusammenleben oder Einrichtungen gemeinsam nutzen müssen. So kann man sich beispielsweise in einem Fahrstuhl eines Mehrparteienhauses anstecken, ohne einer infizierten Person je begegnet zu sein, aber nicht auf einem Wochenmarkt unter freiem Himmel, wo sich viele infizierte Menschen gleichzeitig aufhalten.
Es war auch von Anfang an klar, dass die Schwere einer Covid 19 Erkrankung stark vom Alter abhängig ist, im Gegensatz zur Grippe, an der auch junge Menschen und kleine Kinder schwer erkranken können. Für Kleinkinder noch schwerwiegender sind im übrigen Erstinfektionen mit dem RS-Virus. Ein Risiko, das bislang durch die Gesellschaft einfach hingenommen wurde. Der Umstand, dass vor allem Ältere von Covid betroffen sind, hat dennoch dazu geführt, auch Kinder in ein Impfprogramm gegen das Coronavirus aufzunehmen, obwohl der Nutzen im Verhältnis zu den Risiken überhaupt nicht erkennbar war. Die Politik übte dennoch Druck auf die Impfkommission aus, eine entsprechende Empfehlung zu formulieren, was sie später auch tat, weil man letztlich der Argumentation folgte, eine Impfung sei besser als eine Infektion. Dass am Ende aber niemand einer Infektion würde ausweichen können, stand bereits zu Beginn der Pandemie fest. Auch Virologen wussten das.
Die Protokolle erzählen hier im Grunde nichts Neues. Sie erhärten aber den bereits vorhandenen Eindruck der politischen Einflussnahme. Der ergab sich wiederum schon immer aus der Tatsache, dass das RKI eine nachgeordnete Behörde des Gesundheitsministerium ist und entsprechend Weisungen zu befolgen hat. Die Behauptung, die Politik würde sich lediglich an den wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren, stimmte daher nie. Erstens war die Datenlage immer unzureichend, zweitens hatte die Politik kein Interesse an einer Beseitigung dieses Mangels, worüber sich auch der damalige RKI-Chef in einem Zeit Interview beklagte. Mit Rückendeckung der Gerichte, die Entscheidungen unter Unsicherheiten zuließen, ließ sich daher ein Ordnungsrecht per Verordnung durchsetzen. Die Parlamente fügten sich diesem undemokratischen Akt.
In der Rückschau ergibt dieses Verhalten natürlich Sinn. Denn weder Politik, noch exponierte Wissenschaftler sehen sich in der Verantwortung für den angerichteten Schaden. Das zeigt, das die Entscheidungskompetenz als Simulation nur funktionieren konnte, so lange es eben keine verlässliche Datengrundlage gab. Man musste ja was tun, da Nichtstun den politischen Tod bedeutet hätte. Daher spielten alle Entscheidungsträger mit der Angst vor dem, was sein könnte, wenn man dies oder jenes nicht täte. Doch genau wissen wollte man eben nicht, ob das, was man dann tat, auch sinnvoll im Sinne der Pandemiebekämpfung war. Erst nach und nach rangen sich auch die Gerichte dazu durch, den ausufernden Ordnungshammer in die Schranken zu weisen, natürlich nicht, ohne von den angst liebenden Entscheidungsträgern dafür öffentlich gerügt zu werden.
Eine verlässliche Datengrundlage hätte vermutlich unweigerlich zum schwedischen oder allgemein skandinavischen Weg geführt, wo man sehr viel gelassener mit der Pandemie umgegangen ist und das Ordnungsrecht allenfalls behutsam bemühte, was letztlich auch zu einem höheren Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen beitrug. Unterm Strich steht man dort nicht schlechter da und die wissenschaftlichen Gremien wirken unabhängiger und glaubwürdiger als hierzulande. Man muss sich natürlich die Frage stellen, warum es der Politik nicht gelang, vernünftig zu sein. Eine mögliche Erklärung liegt in ihrer Besessenheit, jede Abweichung vom Narrativ mit einem rigorosen Ausschluss aus dem Diskurs zu quittieren. Das schuf Gräben und jenes absurde Regelwerk, dass bis zuletzt mit Belohnung für ein Wohlverhalten und mit Bestrafung für die Verweigerung arbeitete.
Eine Politik, die den Verlust an Zustimmung nicht erklären kann, aber insgeheim weiß, dass das etwas mit ihren Entscheidungen zu tun haben muss, weiß sich nur mit bedingungsloser Aus- und Abgrenzung zu helfen, die am Ende auch jene Methoden für gerechtfertigt hält, die man der Gegenseite, ob rechts oder links, als Beleg für ihre moralische Verkommenheit und Demokratieunfähigkeit unter die Nase hält. Die Ironie ist, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Das Spiel mit der Empörung ist am Ende nur ein Geschäft, bei dem die Aufklärung auf der Strecke bleibt.
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JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.