Jubel nach der Parlamentswahl in Frankreich: In der zweiten Runde konnte ein Durchmarsch des RN (Rassemblement National) doch noch verhindert werden, obwohl, was allgemein untergeht, die Rechten deutliche Zugewinne verbuchen konnten und nach Stimmen eigentlich die stärkste Kraft sind. Das Bündnis gegen den RN hat die Wähler aber mobilisiert. Die Franzosen wollen keine rechtsextreme Regierung. Was sie nun aber stattdessen bekommen, ist unklar. Wie erwartet, wird bereits alles unternommen, um die „Nouveau Front Populaire“ (Neue Volksfront) zu spalten.
Zunächst muss auch dieser Wahlausgang unter den besonderen Bedingungen des geltenden Wahlrechts betrachtet werden, bei dem zwei Runden vorgesehen sind. Das Mehrheitswahlrecht erlaubt damit in der zweiten Runde eine Korrektur durch Absprachen. In vielen Wahlkreisen zogen schlechter platzierte Bewerber ihre Kandidatur zugunsten anderer Kandidaten zurück, um den Sieg des RN Vertreters zu verhindern. Das gelang. Die „Nouveau Front Populaire“ (NFP) konnte mit 26,3 Prozent aller Stimmen 188 der 577 Sitze (+57) in der Nationalversammlung erringen, also rund 32,6 Prozent aller Sitze. Für das Lager der Macronisten, Ensemble (ENS), stimmten insgesamt 24,7 Prozent. Das führte zu 161 Sitzen (-76), was aber immer noch 27,9 Prozent aller Sitze entspricht. Der RN hat mit 37,1 Prozent der Stimmen den meisten Zuspruch an der Wahlurne erhalten, erreicht aufgrund des Wahlsystems aber nur 142 Sitze (+53), was lediglich 24,6 Prozent der Sitze entspricht (siehe Angaben Politico).
So betrachtet ist der Wahlausgang daher nur bedingt ein Beleg dafür, dass die Rechten erfolgreich zurückgedrängt werden können. Das hängt halt vom Wahlrecht ab. In Frankreich erlaubt es in der zweiten Runde eine taktische Reaktion auf das Votum im ersten Durchgang. Was bleibt: Wie in Großbritannien vor ein paar Tagen können die Rechtsextremen durchaus deutliche Zugewinne verbuchen, wenn man alle Stimmen berücksichtigt. Das gilt es beim allgemeinen Überschwange hierzulande zu beachten. In UK erreichte die Reform UK von Nigel Farage 14,3 Prozent der Stimmen, aber nur fünf Sitze im Unterhaus. Die Liberal Democrats gewannen dagegen mit nur 12,2 Prozent der Stimmen 72 Sitze. Die Labour Party errang hingegen mit einem vergleichbaren Ergebnis wie 2019 nun beinahe die zweidrittel Mehrheit im Unterhaus. Ohne Blick auf die Besonderheiten des Wahlrechts sind die Ergebnisse nicht zu verstehen und viele Schlüsse im Nachgang sogar falsch.
Denn solche Wahlrechtsbesonderheiten wie in Frankreich oder Großbritannien kennt Deutschland nicht. Würde beispielsweise die AfD hierzulande 37,1 Prozent der Stimmen holen, wäre der Anteil an Sitzen im Parlament aufgrund des Verhältniswahlrechts auch ungefähr genauso hoch. Zu behaupten, was in Frankreich ginge, könne auch in Deutschland klappen, ist daher mehr als fragwürdig. Natürlich könnte man auch eine Art republikanische Front bilden, die sich in einer Bereitschaft zu Koalitionen gegen die AfD äußert. In Deutschland üben sich die Parteien aber lieber im Ausschließen von Optionen. Ein Problem, dass sich übrigens auch in Frankreich nach der Wahl anbahnt. Zwar hat die neue Volksfront gegen den RN gut funktioniert und deutlich gemacht, dass die Franzosen keine rechtsextreme Regierung wollen, nach der Wahl grenzen sich Teile des neuen Linksbündnisses aber deutlich voneinander ab.
Es ist daher schwer zu sagen, ob das ganze Manöver nun dem Präsidenten Macron nutzt oder nicht. Klar ist nur, die Regierungsbildung ist viel schwieriger geworden und das politische Chaos vielleicht viel größer als im ersten Jubel gedacht.
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JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.