Wer die Fußball Europameisterschaft nicht im Ersten oder Zweiten verfolgt, sondern auf Magenta, dem mag die Sache mit dem Spielermaterial entgangen sein. Ein Begriff, den man der vielen Zuschriften wegen, doch vor der Kamera lieber nicht gebrauchen möge. Spieler seien schließlich kein Material, sondern Menschen. Dabei ist es noch viel schlimmer. Spieler gelten inzwischen als Assets, werden demnach als Vermögenswerte von Vereinen betrachtet. Darauf weißt Lukas Scholle in einem Beitrag auf Jacobin hin.
Was stört also einen Reporter an einer gängigen wie umgangssprachlich akzeptierten Formulierung, die jeder versteht? Nichts, wie er via Bild-Zeitung im Nachgang einräumte. Im vollends kommerzialisierten Fußball reicht das „kritische Feedback“, das es bei derlei Begrifflichkeiten geben soll, nicht für eine große Materialschlacht. Kritische Beiträge über die Schattenseiten der professionellen Sportligen sucht man allerdings auch vergebens. Selbst die amerikanischen Big 4 NFL, MLB, NBA und NHL sind nun mit Salary Cap und Draft-System, das für eine faire Verteilung der Talente sorgt, keine humanen Einrichtungen, bei denen es viel gerechter zugeht, sondern ein knallhartes Business, bei dem jede Menge Spielermaterial einfach verwertet oder schlicht und ergreifend sich selbst überlassend aussortiert wird.
Doch auch auf anderen Sendern gibt es abseitigen Stunk. So musste sich auf Magenta Johannes B. Kerner für die Einblendung einer Grafik öffentlich entschuldigen, auf der die Krim nicht in den Farben der Ukraine eingezeichnet war. Darauf hatten wohl Leute hingewiesen, die sich mehr für Geographie und Shitstorms auf Twitter/X interessieren, als für Fußball. Zum Glück lieferten die Türkei und Georgien dann eines der packendsten Spiele dieser Vorrunde. Dass darüber hinaus Gelsenkirchen nie ein Austragungsort dieser EM hätte werden dürfen, wie Jens Berger auf den NachDenkSeiten schreibt, ist als Einwohner der Region Hannover nur zuzustimmen. Hier ist das Material der Infrastruktur trotz anhaltender Sparpolitik immer noch besser als anderswo.
Bleibt noch die erfreulichste aller Nachrichten. Der Journalist Julian Assange kommt nun endlich frei. Bevor er allerdings in seine Heimat Australien zurückkehren kann, wird er auf die Pazifikinsel Saipan fliegen – ein Außengebiet der USA im westlichen Pazifik – um sich dort für ein Verbrechen schuldig zu bekennen, das er nicht begangen hat, während gleichzeitig die Kriegsverbrecher, die er mit den Wikileaks-Veröffentlichungen entlarvte, noch immer frei sind. Den Amerikanern ist damit nicht nur gelungen, einen Journalisten, der nicht US-Bürger ist, jahrelang festzusetzen (sieben Jahre ecuadorianische Botschaft und anschließend fünf Jahre Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh), sondern auch seinen Beruf zu kriminalisieren.
Dazu und zu der Art und Weise, wie am Ende ein Deal mit dem US-Justizministerium über das Schicksal eines zu Unrecht inhaftierten Menschen entschieden wird, regt sich nur wenig Empörung, in der Süddeutschen wird sogar anerkennend von einer kontroversen Figur, einem Egomanen und Radikalen geschrieben, dessen Arbeit von einem Fundamentalismus geprägt gewesen sei, der oft mehr Schaden anrichtete als Aufklärung brachte. Die Unterstützung deutscher Politiker, die fest an Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat sowie die Pressefreiheit glauben, ist ebenso bemerkenswert. Erst kürzlich hat beispielsweise Bundesfinanzminister Christian Lindner, der sich in der Angelegenheit Assange bislang wöchentlich via Twitter/X zu Wort gemeldet hat, ihm wieder einen aufmunternden Post gewidmet.
Spielermaterial, Menschenmaterial, Twittermaterial und Medienmaterial. Es gibt wahrlich genug Material. Es ist wirklich genug.
Bildnachweis: Screenshot tagesschau24
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.