Europawahl Kurzanalyse

Geschrieben von: am 10. Jun 2024 um 8:44

Für eine endgültige Analyse der Europawahl ist es zu früh, aber in der Kurzanalyse sind alle schon einmal Gewinner, sogar die SPD sprach von einer gemeinsam errungenen Niederlage. Einen Friedenskanzler zu plakatieren, der kurz vor der Wahl erlaubte, Russland mit deutschen Waffen zu beschießen, das war sicherlich ein strategischer Erfolg. Man habe das besonnen abgewogen und mit den engsten Verbündeten abgestimmt. Mit dem hier zum Beispiel, der sich nur einen Tag später zu Wort meldete.

Jedoch zeigt ein Blick auf erste Auswertungen der Wahlforscher Dinge, die zum einen überraschen, aber zum anderen auch erwartbar waren.

Der grüne Balken mit Minus 23 bei den 16- bis 24-Jährigen ist so ein Fall. Vielleicht hat Fridays for Future erkannt, bevor die Zukunft in der Klimakatastrophe ankommt, könnte sie für diese Generation bereits am Samstag im Schützengraben enden. Es wäre jedenfalls nachvollziehbar, wenn sich junge Menschen vom Gerede über Kriegstüchtigkeit abgestoßen fühlen. Dass die Kriegsbesoffenen annehmen, mit ihrem radikalen Auftreten punkten zu können, ist besorgniserregend. Auch die vollkommen bekloppte Oma Courage war gerührt von den rund 5 Prozent, die ihre Partei errang, und dankte den Wählern, die sie kurz vor der Wahl noch öffentlich beschimpfte. Es hätten ja auch nur vier Prozent sein können, daher ein Erfolg.

Bemerkenswert ist auch diese Auswertung hier, die das erfolgreiche politische Agieren der Bundesregierung unterstreicht.

Da Arbeiter bekanntermaßen über sehr, sehr, nein, unfassbar viel Vermögen verfügen und auf öffentliche Leistungen nicht angewiesen sind, machen ihnen natürlich auch Kürzungen im Etat, besonders bei Soziales, Bildung, Familie und so einem Gedöns überhaupt nichts aus. An die Haushälter der Ampel daher vielleicht folgender Tipp: Die bereits angekündigte Politik des Gürtelengerschnallens, weil Bum Bum Boris mehr Panzer braucht, ist richtig und wird sich daher mit Sicherheit auch auf den langen Balken da ganz oben auswirken.

Die Ampel muss nur so weiter machen und kann einer erfolgreichen Wiederwahl im nächsten Jahr gelassen entgegensehen. Die Union, natürlich auch eine Gewinnerin. Sie hat ihr bereits klägliches Ergebnis von vor fünf Jahren halten können. Friedrich Merz, der noch geringere Beliebtheitswerte aufweist als der Kanzler selbst, fühlt sich nun als King of Kotelett. Dabei ist es für den Oppositionsführer gerade kein gutes Ergebnis, wenn er sich faktisch nicht von der Stelle bewegt, während die Regierungsparteien dramatisch an Zustimmung verlieren. Die Union macht noch mehr als die Ampelparteien die AfD nicht klein, sondern immer größer, wie die vorläufigen Daten zur Wählerwanderung zeigen. Das BSW hingegen hat es in geringem Umfang geschafft, überhaupt Wähler von der AfD abzuziehen.

Wenn man aber natürlich überall nur „Nazis“ oder „Putins Gesellen“ sieht, die das Volk mit Desinformation hinter die Fichte führen, kann es mit einer brauchbaren Analyse des Wahlergebnisses leider nichts werden. Vorwürfe und Beschimpfungen nutzen sich allerdings zunehmend ab und für Desinformation finden sich keine Belege. Das European Digital Media Observatory EDMO hat jedenfalls im Vorfeld der Wahl nichts Gravierendes feststellen können. Übrigens: Der Kampf gegen Rechts mit der damit verbundenen Empörung ist überhaupt nicht glaubwürdig, wenn die rechte Politik gleichzeitig umgesetzt wird. Das gilt für Europa noch mehr, da das politische Programm für die nächsten fünf Jahre bereits vor der Wahl beschlossen worden ist.

Mehr Kriegskurs, weniger Klimaschutz und eine Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik mit Haftlagern für Flüchtlinge an den Außengrenzen, in denen dank der Abschottung hinter Stacheldraht dann so etwas wie eine „humane Begrenzung von irregulärer Migration“ gelingen soll. Europa rückt nicht mit dieser Wahl nach rechts, sondern tat es schon davor. Das ist die nüchterne Erkenntnis. Die europaweite Abstimmung hat trotzdem Konsequenzen. In Frankreich löste Staatspräsident Emmanuel Macron die Nationalversammlung auf und setzte Neuwahlen an. Auch seine Partei hatte am Wochenende massiv verloren. Dass Ursula von der Leyen erneut Kommissionspräsidentin wird, wie vorher ausgemacht, bleibt abzuwarten, denn nicht der King of Kotelett Friedrich Merz schlägt sie vor, sondern Olaf Scholz, der dazu noch turnusgemäß auf die Grünen hören muss.

Aus dem angeblichen Selbstläufer ist trotz der Jubelarie schon jetzt eine „Zitterpartie“ geworden. Auch das war zu erwarten. Wie sehr das Wahlergebnis die Ampel in Berlin durchschütteln wird, ist noch unklar. Der Kanzler schweigt.


Bildnachweis: PeterBe auf Pixabay

0

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge