Ohne Moos nix los

Geschrieben von: am 22. Mai 2024 um 8:44

Ursula von der Leyen ist EU-Kommissionspräsidentin und möchte diesen Job auch weitere fünf Jahre ausüben. Überzeugen muss sie allerdings nicht die Wählerinnen und Wähler, obwohl ihr Gesicht auf Wahlplakaten auftaucht und die ein oder andere Veranstaltung mit ihr stattfindet. Überzeugen muss sie in erster Linie Emmanuel Macron, den französischen Staatschef, der ihre Ernennung vor fünf Jahren ermöglicht hat.

Ursula von der Leyen kam nach der Europawahl 2019 überraschend an die Spitze der Europäischen Union. Die EVP (Europäische Volkspartei) hatte die Wahl zwar gewonnen, allerdings mit dem Spitzenkandidaten Manfred Weber von der CSU, der dann auch umgehend für sich das Amt des Kommissionspräsidenten reklamierte. Diese Personalie war aber nicht durchsetzbar, weil eben nicht die Wählerinnen und Wähler entscheiden, sondern die Staats- und Regierungschefs (Europäischer Rat) und das EU-Parlament zusammen. Letzteres konnte sich nicht auf einen Kandidaten einigen, weshalb das Geschacher diesmal auf die Spitze getrieben werden musste.

Das damals betriebene Spitzenkandidaten-Modell war ohnehin nur eine Simulation, da ein Manfred Weber aus Mangel an transnationalen Wahllisten lediglich in Bayern tatsächlich gewählt werden konnte. Der Rest Europas hatte andere Kandidaten auf dem Wahlzettel. Nun hat die CDU/EVP die amtierende Kommissionspräsidentin als Spitzenkandidatin für die Europawahl nominiert. Auf den Wahlzetteln, egal wo, wird sie trotzdem nicht stehen. Das ist angesichts der Erfahrungen aus 2019 nur konsequent. Dennoch besteht auch diesmal die Gefahr, dass von der Leyen gar nicht ernannt wird, sondern jemand anderes. Um ihre Machtposition zu sichern, braucht die Kandidatin also den Rückhalt der wirklich Mächtigen. Die Wählerinnen und Wähler sind das gerade nicht.

Wie im Spiegel nachzulesen ist, zeigt sich von der Leyen rund zwei Wochen vor der Wahl nun offen für eine weitere gemeinsame Schuldenaufnahme der EU. Das ist angesichts von Kriegs- und Aufrüstungsdebatten ohnehin notwendig. Da gilt schließlich die alte Brettspielweisheit, ohne Moos nix los. Das werden auch die notorischen Schuldenbremser aus Union und FDP noch lernen müssen. Nur geht es um die spezielle deutsche Kassenwartmentalität gerade nicht, sondern um die Machtfrage. Und da hat der französische Präsident, der von der Leyen beim ersten Mal ins Amt verhalf, ein Wörtchen mitzureden. Allerdings hat er seine Unterstützung für von der Leyen noch nicht zugesagt, wie der Spiegel schreibt. Dafür sei er ein Fürsprecher für eine Neuauflage gemeinsamer europäischer Schulden.

Und da fällt dann wieder der Groschen. Unter Druck geriet die Kommissionspräsidentin zuletzt auch aufgrund von Ermittlungen im Zusammenhang mit der Impfstoffbeschaffung während der Pandemie. Von der Leyen wird vorgeworfen, einen milliardenschweren Deal per SMS mit dem Pfizer-Chef eingetütet zu haben. Zu Lasten der europäischen Bürger, also derjenigen, die vom 6. bis 9. Juni mit ihrer Stimmabgabe die Wahl von der Leyens gar nicht verhindern können. Nun hat ein Gericht ein Hearing zur Pfizer-Affäre auf Dezember verschoben. Bei dem Hearing geht es um die Frage, ob die belgischen Strafermittler oder die EU-Behörde für die Verfolgung dieses Falls zuständig sind. Der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn spottet, dass mit der Europäischen Staatsanwaltschaft EPPO nur eine weitere Organisation entstanden zu sein scheint, die nicht das Interesse der Bürger, sondern die Abschirmung der EU-Amtsträger vor ihrer demokratischen Rechenschaftspflicht im Auge hat.

Der bereits hinreichend delegitimierten EU-Wahl, in der das Ergebnis, nämlich eine weitere Amtszeit von Kommissionspräsidentin von der Leyen, bereits genauso feststeht, wie die Ergebnisse bei Wahlen in Russland oder China, wird durch diese Entscheidung weiter delegitimiert.

Martin Sonneborn in der Berliner Zeitung

Demokratiedebakel

Einfluss auf die politische Richtung der EU haben die Wählerinnen und Wähler übrigens auch nicht, da bereits vor der Wahl beschlossen worden ist, welches Programm danach gilt. So ist bereits entschieden, dass die Ukraine EU-Mitglied werden und weiter militärisch wie finanziell unterstützt werden soll. Neben dem Ziel, einer Kriegswirtschaft näherzukommen, wird der Klimaschutz aufgeweicht und die Asyl- und Migrationspolitik massiv verschärft (vor diesem Hintergrund unterstützen auch die Grünen den Kurs von der Leyens). Das alles ist schon gelaufen und steht nicht zur Wahl. Die politischen Entscheidungen der Europäischen Union sowie die Wahl zum Europäischen Parlament sind daher gerade kein Beispiel für Demokratie, sondern eher ein Demokratiedebakel, wie Eric Bonse im Cicero schreibt.

Denn eigentlich sollte nach 2019 das Wahlverfahren reformiert und die Bürger besser beteiligt werden. Statt mehr Demokratie zu wagen, wurde allerdings durchregiert. Corona und Krieg waren wichtiger. Folglich dominieren im Wahlkampf dann auch nur nationale Themen. In Deutschland ist es zudem ein Testlauf für die anstehenden Landtagswahlen. Gerechnet wird auch mit einem Denkzettel für die Ampelregierung im Bund. Wie immer ist die Stimmabgabe aber extrem schicksalhaft und der Sturz in den Abgrund nur mit dem Kreuz an der richtigen Stelle verhinderbar. Es gelte einen Rechtsruck zu stoppen und die Brandmauer zu halten. Beides ist jedoch pure Fiktion. Die politischen Entscheidungen sprechen klar dagegen, die EU ist längst rechts abgebogen und zur Not geht es dann eben auch mit den Rechten und Europagegnern, wie schon jetzt die Umarmungen mit Meloni und Fiala zeigen.

Bildnachweis: PeterBe auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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