Mit Erleichterung haben deutsche Medien und Meinungsmacher die Entscheidung des US-Repräsentantenhauses aufgenommen, ein bislang blockiertes Waffenpaket in Höhe von über 60 Milliarden Dollar freizugeben. „Über Jahrzehnte war die Bundesrepublik im pazifistischen Wolkenkuckucksheim angesiedelt, bei den weißen Tauben. Man hielt sich raus und versäumte es, intellektuell kriegstauglich zu werden“, schreibt der Spiegel zur Lage am vergangenen Sonntag. Man müsse den Gedankenraum um die Möglichkeit von Kriegen erweitern. „Auch, damit die Bundesrepublik dazu beitragen kann, dass sie beendet werden.“ Für den Frieden müssen die Kriege also weitergehen. Dafür tut man alles, um die Deutschen mit dem Militarismus zu versöhnen.
Dafür steht die Zeitenwende und die braucht vor allem Symbole, daher gibt es bald einen Veteranentag, bei dem, typisch deutsch, sich noch darum gestritten werden wird, wer im Sinne des Beschlusses als Veteran zu gelten hat. Auf jeden Fall die Soldaten, die sich zuletzt ehrenhaft verhalten haben und beispielsweise die nach wie vor bestehende Duldungspflicht der weitgehend wirkungslosen Coronaimpfung über sich ergehen lassen. Die Impfverweigerer dürfen sich als Entlassene dagegen sicherlich nicht angesprochen fühlen. Denn: „Wir haben eine Verantwortung für die Gesunderhaltung der Truppe“, erklärte der Kriegstüchtigkeitsminister zuletzt. Symbole sind wichtig. Sie schützen vor dem Gesichtsverlust, der natürlich längst eingetreten ist, in der heilen Welt sozialdemokratischer Partei- und Delegiertentreffen aber schlichtweg ausgeblendet wird. Man kennt das ja.
Nun gilt als Veteran im Sinne des Beschlusses offenbar auch, wer bis zum Jahr 2011 als zwangsrekrutierter Wehrpflichtiger beinahe täglich mit viel Alkohol auf der Stube hockend, an seiner Gesunderhaltung gearbeitet hat, oftmals auch mit deutschen Kameraden, russischer Herkunft. Dazu besagter Kriegstüchtigkeitsminister im Bundestag: „Es geht um die Anerkennung derjenigen, die in letzter Konsequenz bereit sind, das Äußerste für andere zu geben und die ihr Leib und Leben für unser Land einsetzen.“ Das ist mit Blick auf die gemeinsamen Kompanieabende, die im Volksmund zu Unrecht als schlichte Besäufnisse abgewertet wurden, sicherlich etwas übertrieben, aber aus Sicht dieser Koalition verständlich, die sonst nichts mehr auf die Reihe bekommt.
Blut-Schweiß-und-Tränen-getränkte Wirtschaftswende
Die Zeitenwende interpretieren die Koalitionäre höchst unterschiedlich. Die FDP, die an diesem Wochenende einen Parteitag abhält, hat gerade ein Zwölf-Punkte-Papier herausgebracht, das manche als Scheidungsurkunde verstehen. Die Zeitenwende, auf die sich im Prinzip alle geeinigt haben, siehe oben, „soll nicht durch eine Lockerung der Schuldenbremse, sondern durch eine Blut-Schweiß-und-Tränen-getränkte Wirtschaftswende finanziert werden“, schreibt Wolfgang Michal im Freitag. Der Autor ist fest davon überzeugt, dass die Liberalen nicht bloß Symbolpolitik betreiben, sondern entschlossen sind, aus der Ampel auszusteigen, wenn sich nur der passende Anlass bietet. Das lehrt die Geschichte der Partei, die sich ihrer brutalen Machtwechsel-Funktion bewusst ist.
Und in der Tat ist die Lage der Koalition schlecht. Sie hat ein Finanzierungsproblem. Die Zeitenwende und eine Fortsetzung der Kriege kosten Geld. Bereit es auszugeben, sind ja alle, nur wo es herkommen soll, da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die bestanden schon zu Beginn der Koalition, konnten aber durch eine Weiterentwicklung der Praxis im Umgang mit Sondervermögen einfach toleriert werden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltspolitik geht das nun nicht mehr. Die einen fordern daher eine Reform der Schuldenbremse, die anderen glauben, durch Kürzungen in anderen Bereichen zum Ziel zu kommen.
Eine neuerliche Diskussion darüber ist Zeitverschwendung, stattdessen lohnt sicherlich ein Besäufnis zur allgemeinen Gesunderhaltung des Veteranenstatus und vielleicht der Hinweis auf den transatlantischen Bruder, der begriffen hat, dass man lieber Schulden macht, bevor die Wirtschaft einbricht, um sich eine Rezession zu sparen, die um so teurer wird. Nun kann man natürlich glauben, durch schärfere Sanktionen beim Bürgergeld oder Kürzungen von Leistungen ebenfalls jene Mittel generieren zu können, um neue Artilleriegeschosse und hochkomplexe Waffensysteme zu finanzieren. Doch auch hier sei angemerkt, dass der Verlust durch Sozialbetrug um Äonen kleiner ist, als der Verlust, der durch die zwar allgemein beklagte, aber dennoch immer wieder akzeptierte Steuerhinterziehung entsteht.
Deutschlands wichtigste Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker begründete ihren Wechsel von der Staatsanwaltschaft zur Organisation Finanzwende so: „Man kommt als Steuerhinterzieher, besonders wenn man es im großen Stil betreibt, deutlich besser weg als Sozialhilfebetrüger in Deutschland.“ So oder so, der Krieg reich gegen arm geht weiter. In diesem Punkt sind sich die Koalitionäre ebenfalls einig. Sogar der Habeck: Er ist jetzt auch „Rüstungsindustrieminister“. Damit beim Veteranentag auch Wehrdienstverweigerer wie er mitmachen können. Denn einen Tag für Zivildienstleistende, die sich in ihrem „pazifistischen Wolkenkuckucksheim“ eingerichtet hatten und sich um alte und hilfsbedürftige Menschen kümmerten, während andere in der Kaserne das ordnungsgemäße Zerlegen des Gewehrs G3 übten, wird es ja nicht geben.
Bildnachweis: Bundestagsdebatte zum nationalen Veteranentag am 25. April 2024
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.