Weiße Fahne

Geschrieben von: am 11. Mrz 2024 um 16:02

Die Worte des Papstes zwingen die Kriegsbegeisterten zur Verteidigung ihrer unhaltbaren Position. Das ist gut so, weil sich dann auch jeder ein Urteil im Lichte der vollständig enthüllten Scheinheiligkeit bilden kann. So wird zum Beispiel erklärt, dass die Sehnsucht nach Frieden nicht dazu führen dürfe, dass das Recht des vermeintlich Stärkeren siegt. Wie entlarvend, denn darin drückt sich im Grunde nur das tiefe Bedauern darüber aus, selbst nicht mehr stark genug zu sein, um eine regelbasierte Ordnung durchzusetzen, die wiederum nur eine vom Westen erfundene freundliche Umschreibung jenes Rechts des Stärkeren ist.

In der Ukraine wollen wieder die Russen bestimmen, wo es langgeht, nachdem es der Westen auch mal versucht hat, unter anderem mit einem Investment in Höhe von fünf Milliarden Dollar und einer gewissen Victoria „Fuck the EU“ Nuland, die damals, 2014, Staatssekretärin für Außenpolitik war und nun nicht mehr lange Unterstaatssekretärin für politische Angelegenheiten sein wird. Hat sie die weiße Fahne hissen müssen, weil es so schlecht läuft in der Ukraine? Das fragen sich viele, mit Ausnahme der Kriegsbegeisterten, die nur in Russland den alleinigen Aggressor erkennen wollen. Welche Rolle solche Figuren wie Nuland Zeit ihres politischen Lebens spielten, interessiert sie nicht.

Die EU versucht derweil seit 13 Sanktionspaketen das Recht des Stärkeren zurückzuerobern. Doch statt aufgrund von Erfolglosigkeit die weiße Fahne zu hissen, geht es mit Sekundärsanktionen weiter, die auf die extraterritoritoriale Geltendmachung eigener Rechtsakte zielen. „In ihnen konzentriert sich alles, was der geopolitische Westen an prädemokratischem Dominanzgebaren und (post)kolonialem Unterwerfungswillen je unter einer euphemistischen Bezeichnung auf den Markt gebracht hat.“ Kurz gesagt: Die „Guten“ nehmen es sich unter Wahrung höchster moralischer Ansprüche einfach heraus, gegen internationales Recht zu verstoßen und zwar wann immer und wie oft es ihnen beliebt.

„Dass die EU sich ernsthaft Zugriff auf fremdes Eigentum zu verschaffen plant, ist nicht nur – erneut – auf sublim dämliche Weise selbstschädigend, sondern – erneut – schlicht illegal, wie sie es auch dreht und wendet. […] …eine transnationale Organisation mit semidemokratischer Legitimationsbasis beginnt damit, eine der wesentlichsten Grundlagen der von ihr selbst propagierten Gesellschaftsordnung anzutasten: das Eigentum“, wie die wirtschaftspolitische Beraterin von Martin Sonneborn weiter ausführt. Da müsste die EU mit Blick auf Rechtsordnung, Verfassung und die Verbindlichkeit von Verträgen die weiße Fahne hissen. Aber nicht nur da, die Kapitulation vor der Rüstungsindustrie ist ebenfalls beschlossen. Offenbar braucht auch ein Friedensnobelpreisträger einen Kommissar für Kriegswirtschaft, trotz Finanzierungsverbot für Rüstungsgüter.

Einmal mehr wird deutlich, entscheidend ist nicht das Recht, sondern ein nicht näher bestimmter Geist der Verträge, der sich beliebig interpretieren lässt. Das erklärt auch, warum die unveräußerlichen Grundrechte niemals für sich allein stehen, sondern immer in einer Art Ableitung von den europäischen Werten oder einer regelbasierten Ordnung zu verstehen sind. Diese Flexibilität erlaubt zum Beispiel, den Russen das Töten von Zivilisten vorzuwerfen und gleichzeitig Eurofighter an Saudi-Arabien zu liefern. Gratis gibt es die Erklärung der deutschen Außenministerin an ihre Parteifreunde. Denn ohne die Lieferungen hätte Bundesfamilienministerin Lisa Paus keine Mittel mehr „für die Kinder, die sie dringend brauchen“. Gemeint hatte sie die Kindergrundsicherung, aus der trotz viel Bumbum nicht mehr viel geworden ist.

Früher hieß es noch voller Überzeugung: „Nie wieder Krieg!“ Das war glaubwürdig. Heute heißt es: „Nie wieder ist jetzt“, doch der Protest gegen die Kriegstreiberei steht dabei augenscheinlich nicht im Mittelpunkt. Noch nicht. Denn immerhin hat der Kanzler erkannt, wie er wieder beliebter wird. Die Umfragen geben ihm recht. Die bekloppte Minderheit von Influencern, die der Öffentlichkeit permanent weismachen wollte, es gebe eine Mehrheit für deutsche Marschflugkörper, die ausweislich der echten Experten (abgehörte Militärs, nicht Hochschulprofessoren mit Talkshow-Abo und Twitter-Konto), keine Änderung des Kriegsverlaufs bewirken können, liegt falsch. Nur sie werden die letzten sein, die eine weiße Fahne hissen. Denn ein Sofa ist immer noch sicherer als ein Schützengraben.

Lesetipp:


Bildnachweis: Hans auf Pixabay

0

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge