Die Schuldenbremse steht höheren Ausgaben im Weg. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist auch ein gelegentliches Durchkommen, sofern es bestimmten Interessen dienlich war, brutal versperrt worden. Die Politik muss sich etwas einfallen lassen. Aber nicht, um etwa notwendige Ausgaben für eine Belebung der Wirtschaft oder die Ertüchtigung der Infrastruktur tätigen zu können, von öffentlichen Leistungen im Sozialbereich gar nicht zu reden. Nein, es geht allein um höhere Ausgaben für Verteidigung, da stören die fiskalischen Fesseln merklich, weshalb sie natürlich gelöst werden müssen. Da das aber nur per Notklausel oder Grundgesetzänderungen geht, braucht es eben eine Notsituation oder noch besser, eine Bedrohungslegende. Das würde auch so manche schrillen Töne in der öffentlichen Debatte erklären.
Ein CDU-Bundestagsabgeordneter, der auch ein Oberst a.D. der Bundeswehr ist, tingelt derzeit durch die Lande und die Talkshows, um vor der russischen Bedrohung zu warnen. Die ist so groß, dass nur die Verdreifachung des bestehenden Sondervermögens für die Bundeswehr eine adäquate Antwort sein könne. Und falls das noch nicht schrill genug ist, könnte man vielleicht auch noch den Krieg nach Russland tragen.
Es ist ja völlig klar, dass wir eher 300 statt 100 Milliarden benötigen, damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird.
Und das Auswärtige Amt macht es noch eine Nummer größer und spricht von einem Generationenprojekt der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Ein Haushälter der SPD pflichtet bei, schlägt aber zur Abmilderung (man könnte auch Verschleierung sagen) vor, nicht nur die Ausgaben für Verteidigung, sondern auch für den Zivilschutz wegen der Unsicherheiten in den USA und wegen der Bedrohung durch Russland dauerhaft von der Schuldenbremse im Grundgesetz auszunehmen. Nun gibt es aber nicht nur diese, sondern auch eine ökonomische und soziale Unsicherheit, eine außenpolitische sowieso und das Klima müsste eigentlich sofort gerettet werden. Und da beginnen auch schon die Widersprüche. Wenn der Vizekanzler von der Grünen Partei erklärt, dass die Europäer ganz allgemein mehr für ihre Sicherheit tun müssten, indem sie ihre Ausgaben fürs Militär erhöhen, dann heißt das ja, dass letztlich mehr Munitionsfabriken gebaut und mehr Rüstungsgüter produziert werden sollen.
Klimafreundlich ist das aber nicht zu haben. Doch zum Glück für die scheinheiligen Grünen, ist das Militär von den Klimazielen ausdrücklich ausgenommen. Das setzten die Amerikaner einst bei den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll durch. Mit guter Begründung natürlich. Wären die Daten bekannt, hätte der Feind vielleicht Rückschlüsse auf Truppengrößen und Fuhrparks ziehen können. Unter dem Pariser Abkommen hat sich das ein wenig geändert. Einige Länder geben an, wie klimaschädlich ihre Armeen sind, andere nicht. Deutschland meldet zum Beispiel militärische Emissionen – aber nur solche, die auf deutschem Boden anfallen. Geschätzt werden laut einer Studie daher 10 Millionen Tonnen, und für das Jahr 2028 wird eine Steigerung auf 15 Millionen Tonnen angenommen. Die Aufrüstung stehe daher in einem massiven Widerspruch zu dem eigenen Klimaziel, bis 2030 65 Prozent weniger CO2 auszustoßen.
Um Zustimmung zu erreichen, gibt es daher verschiedene Strategien. Zum einen die völlig überzogene Bedrohungslegende des Oberst a.D., die auch von den verhaltensauffälligen Claqueuren aus anderen Parteien geteilt und von den sogenannten Experten unterstützt wird. Die hatten ja erst behauptet, dass nur eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine einen Angriff Russlands verhindert hätte. Nun lernen wir aber, dass eine Mitgliedschaft überhaupt nicht vor einem Überfall schützt. Wenn der Russe mit der Ukraine fertig ist, so die neue Legende sinngemäß, würde er mit dem Baltikum und Polen weitermachen. Ob sich nun auch Finnland und Schweden als Neumitglieder des Verteidigungsbündnisses mehr Sorgen machen müssen als vorher und die Nato-Mitgliedschaft daher eher als Risiko denn als Schutz zu verstehen ist, erklärt die Legende leider nicht. Klar ist nur, dass der eigentlich schon besiegte Russe immer noch stark genug ist, um auch andere Länder/Nato-Länder anzugreifen.
Kürzen für die Rüstung
In der kürzlich unterzeichneten Sicherheitsvereinbarung Deutschlands mit der Ukraine steht: Deutschland verweist darauf, dass nationales Haushaltsrecht gilt und Beschlüsse des Bundestages erfordert. Die finanziellen Zusagen hängen also von parlamentarischen Entscheidungen ab. Im Jahr 2022 hat Deutschland der Ukraine militärische Unterstützung im Gesamtwert von 1,68 Milliarden Euro gewährt, im Jahr 2023 waren es über 5 Milliarden Euro und in diesem Jahr sind Finanzmittel für militärische Unterstützung im Gesamtwert von 7,1 Milliarden Euro beschlossen. Zudem wurden seit 2022 zusätzliche Genehmigungen für Zusagen in den Folgejahren im Wert von mehreren Milliarden Euro erteilt, lobt die Bundesregierung ihr Engagement. Die Schuldenbremse nun allein für militärische Zwecke auszusetzen (speziell für ein anderes Land, das sich im Krieg befindet), dürfte die Bevölkerung mindestens in Erstaunen versetzen.
Die zweite Strategie ist, überhaupt nicht mehr auf ein Aussetzen der Schuldenbremse hinzuwirken, sondern eine Verteilungsdebatte über die vorhandenen Mittel des Haushalts vom Zaun zu brechen. Das Sondervermögen der Bundeswehr ist bald aufgebraucht, doch die Zusagen stehen im Raum. Geld muss also her und der Kanzler denkt pragmatisch. Er rechnet einfach nicht mit Widerstand aus der Bevölkerung, selbst wenn dann Geld für andere Dinge fehlt. „Wenn wir zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben, um unsere Sicherheit zu bewahren, Frieden, Demokratie, Rechtsstaat und unseren Wohlstand zu sichern, verstehen das die allermeisten, davon bin ich überzeugt“, so Scholz. Er und sein Umfeld finden sich halt immer noch wahnsinnig toll. Dass allerdings ein sozialdemokratischer Kanzler die Formel abräumt, wonach Aufrüstung nicht zu Lasten des Sozialstaates erfolgen dürfe, wird sehr viel Erklärungsarbeit und Kreativität der Genossen an den Wahlkampfständen erforderlich machen.
Mit der ersten Strategie ist es allerdings nicht besser. Eine Schuldenbremse, die man nur für Aufrüstung umgehen will, zeigt lediglich die Ignoranz der politisch Verantwortlichen. Statt die Interessen der Bevölkerung angemessen zu vertreten, wird von ihr erwartet, den Gürtel immer noch enger zu schnallen und sich überdies in Kriegstüchtigkeit zu üben.
Bildnachweis: André Tautenhahn
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.