In den Augen der Mehrheitsgesellschaft und jenen, die Regierungsverantwortung tragen, wählen immer mehr Menschen falsch. Über die Jahre sind verschiedene Erklärungsmuster bespielt worden, um die eigene Anhängerschaft bei der Stange zu halten. Das hat immer weniger Erfolg. Inzwischen arbeitet der Gesetzgeber aber an Normen, die das Recht der freien Meinungsäußerung nicht nur einschränken, sondern sogar unter Strafe stellen sollen. Verkauft wird das Opfern von Grundrechten dann als die Verteidigung von Grundwerten.
Warum wählen die Menschen falsch?
- Es liegt nie an der eigenen Politik.
Man mache zwar Fehler, aber das ist nur rhetorisch gemeint. - Es liegt an einer unzureichenden Kommunikation.
Das ist der Klassiker, den der Bundespräsident neulich wieder bemühte. Das klingt irgendwie analytisch und kostet nichts. Die Kritik am Kommunikationsstil gibt es schon seit der Einführung von Hartz IV. Man müsse den Menschen das Regierungshandeln einfach nur besser erklären. Der Versuch dauert allerdings bis heute an. - Weshalb es schlussendlich nur an der Desinformation liegen kann.
Dazu wird alles erklärt, was nicht dem gewünschten Narrativ entspricht. Das hat den Vorteil, keine inhaltliche Auseinandersetzung, wie in einer Demokratie üblich, mehr führen zu müssen. Es reichen Empörung, Stigmatisierung und Ausgrenzung. Am Ende ist nicht mehr wichtig, was gesagt wird, sondern wer da spricht.
Insofern geht es, wie Jens Berger auf den NachDenkSeiten schreibt, auch nicht um links oder rechts, sondern um Konformisten gegen Nonkonformisten. Wer auf der Seite der Konformisten steht, kann auch alles sagen, sogar das, was bei den Nonkonformisten als skandalös und indiskutabel markiert wird.
Betreutes Denken per Gesetz
Begleitet wird diese Entwicklung durch eine Gesetzgebung, die abweichende Meinungsäußerungen künftig unter dem Begriff „Desinformation“ ächten will. Der Digital Services Act (DSA) der EU und das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) zielen genau in diese Richtung. Demnach können falsche, irreführende oder gar unbequeme Äußerungen, die bislang völlig legal waren, für rechtswidrig erklärt werden. Ziel einer solchen Gesetzgebung ist, die Meinungsfreiheit formal weiter gelten zu lassen, die Bürger aber unter Androhung von wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen einer selbstgewählten Vorzensur zu unterwerfen.
Besonders skurril wird es, wenn Politiker als Unterstützung für diesen Prozess so eine Art Meldefunktion befürworten, also vertrauenswürdige Leute, sogenannte „Trusted Flagger“, auf Social-Media-Plattformen damit beauftragen wollen, Falschinformation in Abgrenzung zum zulässigen Meinungskorridor herauszufiltern. Politiker nennen das dann einen Check, der fragwürdige Inhalte einordnet. Auch hier ist wieder die oben erwähnte Logik erkennbar, wonach es nicht mehr wichtig ist, was gesagt wird, sondern wer da spricht.
Als die AfD versuchte, Meldeportale einzuführen, um Verstöße von Lehrkräften gegen das Neutralitätsgebot im Unterricht öffentlich zu machen, wurde dies zurecht als Plattform der Denunziation zurückgewiesen. Nun versuchen die Konformisten im Prinzip genau dasselbe, verkaufen das dann aber als einen legitimen Akt einer wehrhaften Demokratie. In Wirklichkeit wird die öffentliche Debatte durch diese Art von präventiver Überwachung verunmöglicht. Das Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit wird auf diese Weise für Grundwerte geopfert, die irgendwie nach Grundrechten klingen, aber keine sind.
Bildnachweis: Michael Schwarzenberger auf Pixabay
JAN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.