Hilflose Rufe

Geschrieben von: am 13. Jan 2024 um 10:37

Die SPD steht in einer Umfrage in Sachsen plötzlich bei 3 Prozent und fordert nun ein Verbot der AfD, die bei mittlerweile 37 Prozent gesehen wird. Der Bundeswirtschaftsminister warnt vor dem Hintergrund der Bauernproteste vor „Umsturzfantasien“ und ein Recherchenetzwerk liefert fast wie auf Bestellung Informationen über einen „Geheimplan gegen Deutschland“. Nun ist die Aufregung groß. Verbieten, verbieten oder ersatzweise den besonders schlimmen Einzelpersonen ein paar Grundrechte entziehen, damit sie sich nicht mehr zur Wahl stellen können. Das geht in der wehrhaften Demokratie. Die Forderung danach ist aber nicht mehr als ein weiterer hilfloser Ruf.

Wer Grundrechte missbraucht, kann diese verwirken, lautet eine ganz neue Idee von Aktivisten, die gerade fleißig Unterschriften für eine Petition einsammeln und sich dabei auf Artikel 18 Grundgesetz beziehen. Um das zu erreichen, wäre es aber keine gute Idee, ebenso bloß ein Grundrecht zu missbrauchen. Genau das scheint aber die Absicht dauerempörter Wahlhelfer von rechtsextremen Parteien zu sein. Von Leuten und Institutionen also, die immer noch nicht begriffen haben, dass es den Rechtsextremismus politisch zu besiegen gilt und nicht juristisch. Letzteres ist schon einmal in die Hose gegangen, hatte aber wegen fehlender „Potentialität“ des zu Verbietenden kaum Auswirkungen auf den Verlierer der juristischen Auseinandersetzung.

Nun stelle man sich aber für einen Moment mal vor, man verlöre gegen eine Partei oder Person, die diese „Potentialität“ tatsächlich besitzt. Dann verfüge diese quasi über ein höchstrichterliches Gütesiegel ihrer demokratisch einwandfreien Grundhaltung und Verfassungstreue.

Man sollte sich also schon sehr sicher sein, wenn man denn den juristischen Weg beschreiten will, mahnt Staatsrechtler Waldhoff, der bereits beim NPD-Verbotsverfahren für den Bundesrat Erfahrung sammeln durfte. Einfach ein Parteiverbot aus moralischen Gründen durchsetzen zu wollen oder dieses mit Hilfe der Grundrechtsverwirkung einzelner zu umgehen reicht sehr wahrscheinlich nicht und schon gar nicht, wenn es bloß nur wieder darum geht, irgendein politisches Zeichen zu setzen, weil man zur politischen Auseinandersetzung schlicht nicht in der Lage ist. Bei der Idee mit der Grundrechtsverwirkung beziehen sich die Kampagnenmacher nun auf die ehemalige Richterin am Bundesverfassungsgericht Gertrude Lübbe-Wolff. Sie sagt in ihrem herangezogenen Aufsatz über die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ aber auch ganz klar.

Über alledem sollte man aber nicht vergessen: Die Ursachen verbreiteter politischer Unzufriedenheit, die sich in Misstrauen gegenüber den schon länger etablierten Parteien und bei nicht Wenigen in Misstrauen gegen das gesamte politische System niederschlagen, sind mit den spezifischen Mitteln der „wehrhaften Demokratie“ nicht zu beseitigen. Hier hilft nur eine Politik, die sich entschlossener und realistischer den nicht verfassungsfeindlichen Anliegen der Bürger zuwendet. Ohne eine in der Mehrheit abwehrbereite Bürgerschaft, die sich mit ausreichendem Institutionenverstand demokratiewidrigen Bestrebungen widersetzt, nützt auf die Dauer auch das beste verfassungsrechtliche Abwehrsystem nichts.

Gertrude Lübbe-Wolff, Verfassungsblog

Es gilt also verlorenes Vertrauen der Bürger durch eine Politik zurückzugewinnen, zu dem die dafür vom Souverän entsandten Politiker aber offenbar überhaupt nicht mehr in der Lage oder Willens sind. Stattdessen ist wichtig, wer was sagt, als was gesagt wird. Wenn empört Anstoß daran genommen wird, dass Rechte in privater Runde unter dem Begriff „Remigration“ angeblich die Vertreibung von Millionen Menschen planen, scheint es kaum ins Gewicht zu fallen, dass die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nach dem Terror der Hamas in ganz öffentlicher Runde über die Aberkennung von Staatsbürgerschaften diskutieren wollte und erwog, auf diese Weise gleich ganze Clan-Familien abzuschieben. Und dass der Kanzler erst kürzlich vom Spiegel-Cover mit ernster Mine blickte und erklärte, dass man endlich im großen Stil abschieben müsse, reicht freilich auch nicht aus, die überschießende Erregung durch Reflexion ein Stück weit einzufangen.

Liebäugeln mit den Zwangsmitteln der Macht

„Die Deutschen […] denken hartnäckig in Gut und Böse. Es geht weniger um politische Probleme als um das Verlangen nach moralischer Haltung“, so Velten Schäfer in der Freitag. Und deshalb müsse sich die Demokratie auch jetzt wehren und zwar mit allen Mitteln, auch den unlauteren, die gar nicht unlauter sein können. Also schaffen wir die Demokratie ab, um sie zu retten. Vielleicht geht es aber auch einfach nur um Schadensbegrenzung. Also mal wieder ordentlich auf die Pauke hauen, um zu verhindern, dass die Rechten auch noch die 40 Prozent durchbrechen. Das wäre allerdings ein riskantes Spiel, weil bislang jeder Versuch der Bekämpfung in Form der politischen Nicht-Auseinandersetzung als direkte Wahlkampfhilfe auf das Konto der Rechtsextremisten einzahlte. Wie auch immer, es ist inzwischen egal. Wirklich interessant ist ja in Wahrheit das, was Schäfer als unverblümtes Liebäugeln mit den Zwangsmitteln der Macht beschreibt.

Teils erinnert jener Hang der liberalen Mitte zum unpolitischen Politisieren an die USA. Wie dort ist es auch hier inzwischen wichtiger, wer da spricht, als was gesagt wird. In kaum einer Öffentlichkeit ging es bei den großen Fragen der jüngsten Jahre – von Corona über den Krieg in der Ukraine bis Gaza – so wenig um rationale Auseinandersetzung und so sehr um das moralische Markieren des – oder der – Indiskutablen. Hinzu kommt als deutsches Spezifikum ein obrigkeitlicher Zug, der immer unverblümter mit Maßnahmen vom Dienst- bis zum Verfassungsrecht liebäugelt. Man kann darüber spekulieren, ob sich hier das Erbe des deutschen Liberalismus zeigt, der nie im Ernst versucht hat, die alten Mächte zu stürzen, sondern immer nur an deren Zwangsmitteln beteiligt werden wollte.

Velten Schäfer in der Freitag

Und so besteht das gesellschaftliche Engagement gegen Rechts am Ende auch darin, dass ein bekannter Sozialdemokrat aus dem Harz zur Wahl eines CDU-Ministerpräsidenten in Sachsen aufruft mit der Begründung, dass der sich ja im Straßenwahlkampf gegen die Rechten behaupte. Solche Typen brauche man jetzt. Und da ja am wichtigsten ist, wer was sagt und nicht was gesagt wird, spielt auch keine Rolle, dass sich der so gepriesene Ministerpräsident von seinen Verfolgern in Blau kaum noch unterscheidet.


Bildnachweis: Screenshot, ZDF heute, 13. Januar 2024

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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