Das Jahr neigt sich dem Ende und die Haushaltsfrage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist immer noch nicht gelöst. Dabei hatte die Ampelregierung zunächst signalisiert, einen Plan zu haben. Doch den gibt es nicht, weil weder in Politik noch in der Öffentlichkeit verstanden wird oder werden will, wie die Staatsfinanzen funktionieren. Daher wird permanent versucht, zwischen den ideologischen Überzeugungen mit Tricks hin und her zu navigieren. Das ist nun aber viel schwieriger geworden, weshalb ich auch in einer ersten Reaktion auf das Urteil aus Karlsruhe schrieb, dass das nun das Ende der Ampel sein muss.
Immer wieder wird behauptet, der Staat könne nur das Geld ausgeben, was er von den Bürgern zuvor über Steuern erhalten hätte. Das ist grundsätzlich falsch und widerspricht auch jeder öffentlichen Haushaltslogik. Denn die Ausgaben eines Haushaltsjahres werden immer aufgrund einer Einnahmenschätzung aus dem Vorjahr geplant und nie nach dem tatsächlichen Kontostand. Das wäre auch fatal, da ja dann zu Beginn eines jeden Jahres erst sämtliche Steuerabgaben der Bürger eingezogen werden müssten, damit die Ausgaben getätigt werden können. So läuft das aber nicht, was auch jeder wissen kann, der sich einmal mit dem Haushaltsverfahren seiner eigenen Kommune beschäftigt.
In der Regel wird der Haushaltsplan für das kommende Jahr ab der Mitte des laufenden Jahres aufgestellt. Grundlage ist die Entwicklung der Einnahmen bis dahin und die Mai-Steuerschätzung, also eine Prognose über die zu erwartenden Einnahmen in der Zukunft. Das setzt sich bis zum Herbst fort, weil bis dahin die weitere Entwicklung der Einnahmen wie etwa aus der Gewerbesteuer, die ja direkt an die Kommunen fließt, erkennbar ist und die zweite Steuerschätzung Aussagen über neue Annahmen in der Zukunft liefert. Der erste Entwurf wird auf dieser Grundlage angepasst und gegen Ende des laufenden Jahres, wenn auch die Fraktionen ihre Klausuren hatten und Änderungswünsche einbringen konnten, vom Stadtrat beschlossen in der Erwartung, dass die getroffenen Annahmen über die Einnahmen so auch stimmen. Tun sie in der Regel aber nicht, was dann im Nachgang durch einen Jahresabschluss, der viel später erfolgt, festgestellt werden muss, in der Regel dann, wenn alle Zahlungseingänge und -ausgänge verbucht und abgerechnet worden sind. Erst dann erfolgt die Entlastung des Bürgermeisters.
Der Jahresabschluss weist dann entweder einen Überschuss oder ein Defizit in der Haushaltsführung aus. Das heißt, man weiß immer erst im Nachhinein, wie viel Geld tatsächlich hereingekommen ist und welche Erträge darüber hinaus erwirtschaftet worden sind. Oder etwas vereinfacht ausgedrückt: Auch das Ordnungsamt weiß vorher nicht, wie viel Knöllchen es im Jahr tatsächlich an Falschparker verteilt, trifft aber eine Annahme darüber im Haushalt, die sich auf der Einnahmeseite niederschlägt. Das bedeutet, dass der Staat unter keinen Umständen auf das Geld angewiesen ist, dass ihm die Bürger zwangsweise überweisen müssen. Der Staat kann immer Geld ausgeben, weil er schlicht das Monopol auf das Zahlungsmittel besitzt. Das kann auch jeder leicht nachprüfen. Auf den Geldscheinen steht eben nicht der Name des Bürgers, der ihn gerade besitzt, sondern immer der Name der aktuell amtierenden Zentralbankpräsidentin, in unserem Fall Frau Lagarde. Der EZB gehört das Geld. Der Bürger besitzt nur das Vertrauen in das von der Zentralbank ausgegebene Zahlungsmittel. Und nur mit dem können auch die Steuern gezahlt werden.
Ohne finanzielle Beschränkungen
Der Staat muss das Zahlungsmittel also zunächst erst zur Verfügung stellen und in Umlauf bringen, bevor er Einnahmen in Form von Steuern oder was auch immer verbuchen kann. Oder: Der Staat muss immer erst Geld ausgeben, bevor er es einnehmen kann. Das ist die zentrale Logik der Staatsfinanzen, die bis hinunter zu den kommunalen Haushalten gilt. Der Staat plant seine Ausgaben zwar aufgrund einer Einnahmenschätzung, die ungefähr deckungsgleich ist, gibt aber immer erst Geld aus, bevor er es einnimmt. Zudem kann auch etwas Unvorhergesehenes passieren, wie der Bruch einer Abwasserleitung zum Beispiel oder der Ausbruch einer Pandemie. In beiden Fällen sagt der Staat eben nicht, sorry, wir müssen erst mal die Steuern erhöhen, um die Reparatur/Pandemiebekämpfung bezahlen zu können, sondern tätigt einfach Sonderausgaben in Höhe der zu erwartenden Kosten. Im kommunalen Haushalt wie auch beim Bund spricht man dann von außerplanmäßigen Ausgaben, die, wenn sie aufgrund rechtlicher Verpflichtungen eine bestimmte Höhe überschreiten, mittels Nachtragshaushalt ordentlich verbucht werden müssen.
Der Zusatz, dass über- oder außerplanmäßige Ausgaben durch Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen sind, ist nur für die Buchhaltung relevant, nicht aber für die Logik der Fiskalpolitik, die bei Ausgaben eben nicht auf Steuereinnahmen angewiesen ist. Die öffentliche Hand darf einfach ihr Konto überziehen, erhält also immer die erforderliche Liquidität. Günther Grunert schreibt auf Makroskop:
Ein Staat, der über Währungssouveränität verfügt, unterliegt keinen finanziellen Beschränkungen, da er seine Ausgaben durch die Emission seiner eigenen Währung „finanziert“ – in der Form von Zentralbankreserven. […] Erst kommen mithin die Ausgaben des Finanzministeriums, die Ausleihungen oder die Käufe der Zentralbank – und erst danach die Steuern.
Das bestätigt auch die Empirie eindrucksvoll. Denn es ist ja noch gar nicht so lange her, dass die Zentralbank wegen der Pandemie und davor wegen der Eurokrise (whatever it takes) immer wieder massive Anleihekauf-Programme aufgelegt hat, also klarstellte, dass keine Ausgabenbeschränkungen für die öffentlichen Haushalte bestehen. Auch wenn da immer wieder der Ausnahmecharakter betont wird, gilt es doch den konkreten Mechanismus einmal zu verstehen. Die Zentralbank schöpft Geld aus dem Nichts und bringt es in Umlauf, weil eine Krise ein fiskalisches Gegensteuern verlangt. Das Gerede über Belastungen künftiger Generationen, etwa durch Zins- und Rückzahlungen von auf dieser Weise ausgegebenen Krediten, führt in die Irre, weil die Zentralbank gegenüber dem Nichts auch keine Rechenschaft ablegen muss. Eine negative Zentralbankbilanz ist daher unproblematisch, wie schon oft dargelegt. Während Überschüsse laut Gesetz auf das Haushaltskonto des Finanzministers überwiesen werden, passiert mit den Defiziten einfach nichts. Kein Gesetz schreibt vor, dass diese auszugleichen sind, warum auch, dem Nichts ist das schließlich vollkommen egal.
Gesamtwirtschaftliche Stabilisierungsfunktion
Die aktuelle Debatte um die Lösung der Haushaltskrise geht daher an dem eigentlichen Problem vorbei. Die gesamtwirtschaftliche Stabilisierungsfunktion des Staates kann aufgrund der Schuldenbremse im Grundgesetz und der hanebüchenen Auslegung des Bundesverfassungsgerichts gar nicht mehr wahrgenommen werden und das mitten in einer sich ausbreitenden Rezession. Diese Funktion ist dann nämlich notwendig, wenn es aufgrund eines Nachfrageentzugs (also Sparen) zu einer konjunkturellen Abwärtsentwicklung kommt. Wenn also die privaten Haushalte sparen und die Unternehmen es ebenfalls tun, was schon länger der Fall ist, muss es zwingend eine Kompensation durch den Staat geben, um zu verhindern, dass das gesamtwirtschaftliche Einkommen sinkt. Nimmt er diese Rolle nicht mehr wahr, weil ihn Fiskalregeln daran hindern, kommt es zu einer Fehlentwicklung, bei der es dann auch völlig egal ist, was künftige Generationen zu tragen oder nicht zu tragen haben. Es geht also gar nicht darum, ob es dieser Regierung gelingt, das ein oder andere Projekt über den Kernhaushalt zu retten, sondern darum, ob es überhaupt noch möglich ist, eine Wirtschaftskrise abzuwenden. Dafür ist ein fiskalischer Impuls zwingend erforderlich, den aber das Bundesverfassungsgericht gerade versperrt hat.
Nur wenn der Staat jederzeit handlungsfähig ist, kann er rechtzeitig eingreifen. Genau das aber verhindern gesetzliche Regeln wie die deutsche Schuldenbremse oder die europäischen Schuldenregeln, weil sie Prävention einfach nicht kennen.
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DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.