SPD, Grüne und FDP bilden seit der Bundestagswahl 2021 eine Regierung. Das Bündnis beschreibt sich selbst als „Fortschrittskoalition“, weil vor allem in gesellschaftspolitischen Fragen große Einigkeit herrscht. Sogar in Sachen Migration läuft die Koalition aus purer Not inzwischen stramm nach rechts. Auf dem wichtigsten Gebiet – der Staatsfinanzen – fehlt es aber an einer gemeinsamen Grundüberzeugung, weshalb man ein neues „fortschrittliches“ Finanzierungsinstrument erfand, um die Ampel überhaupt zum Leuchten zu bringen. Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass dieser Weg verfassungswidrig ist. Damit dürfte die Ampel am Ende sein.
Der Nachtragshaushalt 2021 mit der Konstruktion, 60 Milliarden Euro Kreditermächtigungen aus den Corona-Hilfen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), ehemals Energie- und Klimafonds (EKF), zu überführen, ist verfassungswidrig. Das Gesetz ist nichtig, urteilte das Gericht. Dabei war die Umwidmung nichtbeanspruchter Corona-Hilfen als Kapitalstock über mehrere Jahre zunächst ein cleverer Schachzug, um keine Antwort auf die Frage geben zu müssen, wie bei einem unbedingten Festhalten an der Schuldenbremse sowie einem Verbot von Steuererhöhungen, die öffentlichen Aufgaben weiter finanziert und darüber hinaus mehr Investitionen getätigt werden sollen. Der Schattenhaushalt, man kann ihn nach der Zeitenwende auch einfach Sondervermögen nennen, macht es möglich, da die Kreditermächtigungen erteilt worden waren, als die Schuldenbremse aufgrund der gezogenen Naturkatastrophenregel (Notsituation) nicht galt. Das führt nun auch dazu, dass der Finanzminister so tun kann, als halte er die Schuldenbremse wieder ein.
Nun hat die Union in Karlsruhe gegen diese Art der Finanzpolitik erfolgreich geklagt. Die Bundesregierung hätte so eine Umwidmung von Mitteln gar nicht vornehmen dürfen, auch wenn man die Ampel selbst für eine Fortsetzung der Katastrophe hält. Die Gelder für ihre Projekte hätte die Regierung vielmehr regulär aus dem Bundeshaushalt unter Einhaltung der Schuldenbremse finanzieren müssen. Zu dieser Einschätzung kommt auch das Gericht, mit der Feststellung, dass ein Haushaltsplan für jedes Jahr aufzustellen ist und Ermächtigungen im jeweiligen Haushaltsjahr dann auch in Anspruch genommen werden müssen und nicht wie bislang geplant über mehrere Jahre, damit die Ampel die Schuldenbremse formal einhalten und trotzdem mehr Geld ausgeben kann. Das „fortschrittliche“ Finanzinstrument widerspricht also dem Gedanken der Schuldenbremse an sich, wenn es erlaubt, in einer Notlage ein Polster für die Zukunft anzulegen, von dem der Gesetzgeber auch dann noch zehren kann, wenn er formal die Schuldenregel wieder einhalten muss. Das Gericht missbilligt also die offenkundige Umgehung. Oder anders ausgedrückt: Wenn der Gesetzgeber die Schuldenbremse nicht will, sollte er sie wieder abschaffen.
Man muss sich aber klarmachen, dass dieser Weg nur deshalb eingeschlagen wurde, um die Ampelregierung überhaupt ans Laufen zu bekommen. Denn sie bringt Partner zusammen, die auf der einen Seite aus rückwärtsgewandten Dogmatikern besteht, die gegen jede Logik und Erfahrung unbedingt in die aktuelle Krise hineinsparen wollen und die Schuldenbremse wie eine Monstranz vor sich hertragen, weil sie der Auffassung sind, sie sei Ausdruck solider Haushaltspolitik. Auf der anderen Seite stehen im zunehmenden Maße verbohrte Ideologen, die einen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und industriellen Umbau um jeden Preis vorantreiben wollen und dafür sehr viel öffentliches Geld benötigen. Dieser Teil der Ampel sollte sich in erster Linie aber ordentlich dafür schämen, die Schuldenbremse überhaupt ins Grundgesetz geschrieben zu haben. Der Wirtschaftsminister erklärte kürzlich, dass es nötig sei zu überprüfen, ob die finanzpolitischen Spielregeln, denen man bislang folge, noch zu dieser Zeit passen. Warum steht er dann zur Schuldenbremse und trägt den Haushalt der Regierung mit? Der Finanzminister hingegen sagt, die Schuldenbremse sei eine Art höhere Weisheit und beweist damit seine volkswirtschaftliche Inkompetenz. Ein Dilemma.
Fakt ist, dass aus dem KTF Milliardenbeträge bereitgestellt werden sollten, etwa zur Förderung klimafreundlicherer Gebäude, für die Dekarbonisierung der Industrie, den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft, die Förderung der E-Mobilität, die Sanierung der Bahn, die Senkung des Strompreises und die Subventionierung von Chipfabriken. Fällt die Möglichkeit nun weg, muss die Ampel einen Weg finden, diese Summen über den regulären Haushalt bereitzustellen, was angesichts des Tanzes um die heilige Kuh Schuldenbremse nun auf noch massivere Kürzungen hinausläuft, die viele in der Regierung und den Fraktionen nicht mittragen wollen. Steuererhöhungen bleiben aber ebenso tabu, wobei die Anhebung der Mehrwertsteuer auf Gas schon beschlossen ist. Und ob die Regierung einfach wieder eine außergewöhnliche Notsituation feststellen und die Schuldenbremse damit aussetzen könnte, bleibt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls zweifelhaft, was aber auch so am erbitterten Widerstand des Finanzministers und wohl auch des Kanzlers scheitern würde. Damit ist die Koalition im Prinzip am Ende.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.