Auch wenn der Sommer in dieser Woche noch einmal zurückkommt, warnt Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies schon einmal vor eine Gasmangellage im Winter und ruft zum sorgsamen Umgang mit der Energie auf. Er schließt ferner nicht aus, dass auch vermehrt russisches Flüssiggas über Zwischenhändler in Deutschland lande. Gasmoleküle hätten ja keinen Herkunftsausweis. Das ist eine beachtliche Denkleistung, die noch einen ganz anderen Schluss zulässt.
Trotz des Krieges in der Ukraine und den westlichen Sanktionen gegen Russland, importiert die Europäische Union deutlich größere Mengen russisches Flüssigerdgas. Es geht um Rekordmengen an LNG, lautete eine Schlagzeile der letzten Woche. Demnach hätten die EU-Staaten von Januar bis Juli insgesamt 22 Millionen Kubikmeter LNG aus Russland eingeführt, ein Anstieg um 40 Prozent gegenüber dem selben Zeitraum im Jahr 2021 – also vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Woran liegt das?
Es ist ganz einfach zu begreifen. Da die Ressourcen auf diesem Planeten begrenzt sind und dem natürlichen Angebot gleichzeitig ein wachsender Bedarf an Energie gegenübersteht, können wir dem russischen Gas auf dem Weltmarkt gar nicht ausweichen. Ende der Geschichte. Das Absurde ist jedoch, einen anderen Eindruck erwecken zu wollen, weil man auf das Pipelinegas verzichtet. Nach der Sprengung der Röhren stellt sich die Frage nicht mehr, aber über die Reparatur der beschädigten Infrastruktur redet auch keiner, dafür aber von Gasmolekülen, die keinen Herkunftsausweis trügen.
Das ließe sich übrigens wunderbar übertragen, wenn man an die deutsche Küste in Mecklenburg-Vorpommern einen Zwischenhändler setzte, der aus russischem Pipelinegas einfach Ostseegas machte und wir weiterhin wie beim LNG so täten, als wüssten wir nicht, woher das Gas stamme. Im Übrigen gelangt noch viel mehr russisches Gas nach Deutschland. Und zwar in Form von Dünger, dessen Herstellung hierzulande viel zu teuer geworden ist. Daher wird er aus Russland importiert, wo die Herstellung aufgrund des billigen Gases wiederum sehr günstig ist. Demnach stieg der Anteil des russischen Düngers am europäischen Verbrauch in nur einem Jahr von sechs auf 23 Prozent.
Das mag moralisch daneben sein, lässt sich aber leider nicht ändern, wenn man die Wirkung von Sanktionen zunächst falsch einschätzt, die Qualität des deutschen Weizens aber trotzdem erhalten will. Immerhin: die Sozis in Niedersachsen blicken mit Sorge auf die Industrie und die mehr als trüben wirtschaftlichen Aussichten. Sie blicken aber auch irritiert nach Berlin und auf einen Kanzler, der den Vorschlag eines Industriestrompreises ablehnt, weil das nicht mehr als ein schuldenfinanziertes Strohfeuer sei, das die Inflation wieder anheize. „Eine Dauersubvention von Strompreisen mit der Gießkanne können wir uns nicht leisten und wird es deshalb auch nicht geben. Das wäre ökonomisch falsch, fiskalisch unsolide und würde sicherlich auch falsche Anreize setzen“, so Scholz beim Arbeitgebertag in Nordrhein-Westfalen.
Am Mittwoch und Donnerstag tagt nun die deutsche Ministerpräsidentenkonferenz in Brüssel. Sobald dort der Wolf erlegt ist, wird es auch um den Industrie- oder Brückenstrompreis für besonders energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen gehen. Das soll nun die EU-Kommission den Mitgliedstaaten ermöglichen. Damit kann sich der kürzlich gestürzte Kanzler zunächst weiterhin um eine klare Positionierung herumdrücken. Stattdessen stellt er die Frage nach der Finanzierung. Dabei nannte Scholz drei Möglichkeiten: Die übrigen Strompreiszahler kommen für die Senkung des Strompreises für einzelne Unternehmen auf, die Steuerzahler tragen die Kosten, oder es werden neue Schulden aufgenommen.
Da diese Regierung aber weder neue Schulden aufnehmen, noch Steuererhöhungen zulassen will, bleibt also nur ein neuer Bürgerstrompreis, aber nicht in Höhe von 6 Cent, wie für die Unternehmen, sondern in Form eines Aufschlags auf die rund 40 Cent, die es jetzt schon sind. Quasi eine Gasumlage reloaded, diesmal als Strompreisumlage. Vertreten könnte so etwas dann aber nur noch Karl Lauterbach oder der Wolf, der inzwischen auch in niedersächsischen Großstädten herumspazieren soll.
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.