Derzeit geraten viele in Erklärungsnöte. Einige lehnen diese Tatsache aber rundheraus ab. Die Experten-Experten erklären zum Beispiel, dass Verhandlungen schon immer Teil ihrer Agitation für Waffenlieferungen gewesen waren. Eine gute Verhandlungsposition müsse halt auf dem Schlachtfeld erst erfochten werden. Dass der eine verlieren und der andere gewinnen müsse, hat so also gar nicht stattgefunden. Es war nur ein Traum.
Unbeantwortet bleibt auch die Frage, inwiefern sich die Verhandlungsposition denn nun konkret verbessert hat, also im Vergleich zur Vorkriegszeit mit Abkommen, die nicht eingehalten wurden und zu jenen Verhandlungen unmittelbar nach Kriegsbeginn, von denen die Experten-Experten bislang nichts bis gar nichts hielten. Man wollte einen Siegfrieden des einen durch einen Siegfrieden des anderen verhindern. Das ist aktenkundig. Das nun angesichts der Lage zurückgerudert wird, ist verständlich, aber zu behaupten, schon immer der Ansicht gewesen zu sein, ist unseriös. Dann sollten die Exprten-Experten statt eine Expertise zu vertreten, lieber gleich in die Politik wechseln, wo die Verulkung mit Sprache zum Tagesgeschäft gehört.
Im Zweifel waren es nun nicht genug Waffen (insgesamt rund 5,4 Milliarden Euro für das Jahr 2023 (nach 2 Milliarden Euro im Jahr 2022) zzgl. Verpflichtungsermächtigungen für die Folgejahre in Höhe von rund 10,5 Milliarden Euro), um die Verhandlungsposition entscheidend auf dem Schlachtfeld zu verbessern, obwohl nicht ganz klar ist, ob die Experten-Experten nicht vielleicht doch noch an den großen Durchbruch glauben. Es geht schließlich langsam voran. Wenn nicht mit Leopard, dann mit Taurus und danach mit, na ja, es wird sich schon noch was im Zeughaus finden lassen, das unbedingt gebraucht wird. Nur was machen wir jetzt mit den vielen Toten, Versehrten und Hinterbliebenen?
Es wird ein schwieriger Prozess der Aufarbeitung, sofern er denn überhaupt stattfindet. Der Krieg geht schließlich weiter. Vielleicht werden auch Orden verteilt, um die größten Experten-Experten noch rechtzeitig vor dem Eintritt der bitteren Realität auszuzeichnen, damit sie auch weiterhin in sozialen Netzwerken und Talkshows eine Anschlussverwendung finden, wo sie während der Arbeitszeit herumdödeln können. Wo sie weiter so tun können, als verstünden sie etwas mehr vom Krieg, bei dem aber der Gedanke, wonach sich die militärische Lage der „Guten“ auch verschlechtern und Menschen sinnlos sterben könnten, einfach nicht vorkommt. Dabei wird auch das viele Lametta nicht verdecken können, wer sich als Experte nur aufspielte, in Wahrheit aber nicht mehr als ein popeliger Einflussagent mit Lehrstuhl und zu viel Aufmerksamkeit war.
Erst denken, dann reden
In Erklärungsnot gerät die Ampelkoalition auch mit Blick auf die Innenpolitik. Familienministerin Lisa Paus hat am Mittwoch die Verabschiedung des Wachstumschancengesetzes im Kabinett mit einem Veto verhindert. Das überrascht, da Partei- und Ministerkollege Robert Habeck das Gesetz mit aushandelte und ihm zustimmte. Neu ist auch, dass eine Ministerin trotz des Mehrheitsprinzips ein Veto einlegen kann und der Kanzler ruhig dabei zuschaut. Schon geht der Streit in der Koalition wieder los. Gleichzeitig wird der Eindruck erweckt, das vorliegende Gesetz sei ein wesentlicher Beitrag zur Belebung der schwächelnden Wirtschaft. Dabei taugen die vereinbarten Steuererleichterungen kaum für einen Aufschwung, allenfalls für eine Verbesserung der Umfragewerte der FDP.
Die Kritik am Verhalten von Paus, die mehr Geld für die Kindergrundsicherung will, um auch vor ihren Wählern punkten zu können, ist daher noch absurder. So bringt Johannes Vogel den dogmatischen Dauerbrenner, wonach man nur verteilen könne, was vorher erwirtschaftet worden sei.
Das ist so dermaßen dumm, dass es schon wehtut, denn ausgenommen sind ja bekanntlich Panzer, Munition und Aktienrente. Dafür werden eben einfach so Mittel bereit gestellt, ohne das Herr Vogel und die FDP das vorher erst „erwirtschaften“ lassen. Bei Nebenwirkungen der liberalen Medizin fragen Sie daher nicht ihren Arzt oder Apotheker, sondern machen sich bitte klar, dass es im Kern um eine falsche von Dogmatik geleitete Sparpolitik der Regierung geht, die schon aus reiner Logik nicht aufgehen kann und zu Konflikten führt. Das erkennt man bereits daran, dass selbst diese Regierung, obwohl sie so einen Unsinn von erst erwirtschaften und dann verteilen vertritt, mit Sondervermögen, Klimafonds und sogenannten Finanztransaktionen Instrumente aktiv nutzt, um die Schuldenbremse, die man ja unbedingt wieder einhalten will, zu umgehen. Es ist daher unlogisch, mit Verweis auf solide Staatsfinanzen Vorhaben wie die Kindergrundsicherung zu beschneiden.
Auf der anderen Seite ist es vollkommen absurd, dem einstweilen verhinderten Wachstumschancengesetz nun eine Wirkung anzudichten, die es gar nicht entfalten kann. Warum sollen denn Unternehmen mitten in der Krise mehr investieren, wenn der Staat selbst weniger ausgibt und ihnen dadurch Einnahmen entzieht? Die Erklärungsnot setzt sich also fort. Daran ändert auch die Legalisierung von Cannabis nichts, die vom Kabinett ohne Gegenstimme verabschiedet worden ist.
Bildnachweis: Screenshot
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.