Einmal mehr wird über Waffenlieferungen debattiert. Nach Helmen, Munition und einem Zoo voller Militärtechnik wie Ge- und Leoparden, die einen Unterschied auf dem Schlachtfeld hätten ausmachen sollen, sind es nun deutsche Marschflugkörper, die benötigt werden, um ein Ziel zu erreichen, das zunehmend unerreichbarer wird. Und was soll man sagen. Sie werden sie schon noch weichklopfen.
Dabei läuft die Gegenoffensive nicht besonders gut. Dass es der Ukraine gelingt, die Russen zu vertreiben, ist zweifelhaft, zumindest dauert es gemessen am aktuellen Tempo wohl noch etwa elf Jahre, bis das Ziel erreicht ist.
Und das auch nur, wenn man die Toten und Verwundeten mal außen vor lässt. Aber auch dafür gibt es offenbar eine Lösung, denn wir liefern ja nicht nur Panzer, sondern auch Prothesen, yippie. Lass mal schnell ein Selfie für das alte Twitter machen, das neuerdings ein X trägt. Was übrigens prima zum Youporn-Charakter mancher Poweruser mit viel Tagesfreizeit passt.
Derweil hauen sich die Dödel-Experten wieder ein paar Tweets um die Ohren. Der eine aus Halle mit, der andere aus München ohne blauen Haken, aber per Du. Der eine mit Interesse an einer Diskussion, der andere ohne, was ihn aber nicht davon abhält, alles und jeden mit Hilfe gepflegter Gossensprache zu kommentieren. Man muss seiner Youporn X-Base eben auch ohne Deppen-Haken etwas bieten. Immerhin ist der Münchner Experten-Experte auch schon soweit, über Verhandlungen zu sprechen. Es wird sich was bewegen, wenn die Gegenoffensive scheitert oder wenn es gelingt, die Krim zu isolieren, schreibt er. Letzteres ist der neueste heiße Kriegsexpertenscheiß, weil es der Ukraine gelungen ist, strategisch wichtige Verbindungen anzugreifen und zu beschädigen. Deshalb braucht es ja jetzt auch unbedingt die deutschen Marschflugkörper, um weiterhin gezielt Druck ausüben zu können. So schließt sich dann der Kreis.
Ironie am Rande: Die Krim, die bislang immer als völkerrechtswidrig durch Russland annektiert gegolten hat, ist plötzlich nur noch besetztes Gebiet. Eine bemerkenswerte Änderung einer Sprachregelung, die es offiziell ja gar nicht gibt, weil das in freiheitlichen Demokratien immer so nach betreutem Denken ausschaut. Dabei ist die Sprache verräterisch. So zeigt dieser seltsame Fall eine intellektuelle Bewegung an, die für spätere Verhandlungen wichtig ist. Denn auch der Münchner Superexperte kommt an der eigentlichen Diskussion nicht mehr vorbei, die sich gerade nicht mit einer Niederlage Russlands, sondern eher mit dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive auseinandersetzt.
Darauf muss man ja reagieren und die seit Jahren annektierten in plötzlich besetzte Gebiete umetikettieren, damit eine gleichrangige Ebene bei den Verhandlungen um mögliche Gebietsabtretungen oder einem Gebietstausch entsteht, der ja ungeachtet der abseitigen deutschen Twitter-Dödelei, in der internationalen Diskussion ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Es wäre übrigens eine lustige Sache, die elenden Experten-Experten nun mit dem Begriff der völkerrechtswidrigen Annexion zu nerven, den sie selber seit 2014 immer wieder jenen entgegenschleuderten, die fanden, dass man eher von einer Sezession sprechen müsse. So ändern sich die Narrative jetzt nach Tageslage. Propaganda können eben nicht nur die Russen.
Apropos: In Deutschland besteht sogar extreme Verwechslungsgefahr. So ist die Außenministerin von einem Satire-Account kaum noch zu unterscheiden, findet zumindest das Auswärtige Amt, das bei Twitter/X intervenierte. Das Ministerium befürchtete laut einem Sprecher außenpolitischen Schaden, gerade wenn in eine sich zuspitzende Krise hinein getwittert werde. Das ist so lustig, weil dieser neue Satire-Account vermutlich nie auf die Idee gekommen wäre, aus Versehen Russland den Krieg zu erklären oder zu fordern, dass Putin eine 360 Grad Wende unternehmen solle. Aber wahrscheinlich hat sich das Ministerium gedacht, dass auch die Leute, die hunderttausende Kilometer entfernt wohnen und Annalena Baerbock auf Twitter/X verfolgen, klar erkennen müssen, wer gerade Deutschland blamiert und außenpolitischen Schaden anrichtet.
Bildnachweis: Screenshot Twitter/X
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.