Die Kürzungsunlogik

Geschrieben von: am 02. Aug 2023 um 18:29

HAZ, 2.8.23

Während der Bundesfinanzminister neue Schulden nur für Aufrüstung und eine „Aktienrente“ zum Zocken am Kapitalmarkt erlaubt, muss an anderen Stellen im Haushalt gespart werden. Das ist häufig sehr abstrakt. Konkret wird es für die Menschen vor Ort. Und leider ist es dann auch immer wieder dieselbe alte Leier. Gekürzt wird bei den sogenannten „freiwilligen Leistungen“, die offenbar nur deshalb so heißen, damit man sie auch zusammenstreichen kann, weil sie quasi die Begründung dafür gleich mitliefern. „Freiwillig“ suggeriert ja, das etwas entbehrlich ist, vielleicht sogar nur Luxus, auf den man in schwierigen Zeiten verzichten kann, ja sogar muss. Doch öffentliche Ausgaben, ob nun freiwillig oder nicht, bedeuten auch immer Einkommen von Menschen, die davon wiederum Steuern und Sozialabgaben zahlen, also zu den Einnahmen der öffentlichen Hand beitragen. Daher gilt auch der Satz, dass der Staat nicht mehr einnehmen kann, als er ausgibt. Er schafft mit seinen Ausgaben überhaupt erst Einkommen. Öffentliche Ausgaben sind also nicht bloß Kosten, sondern haben einen volkswirtschaftlichen Sinn, der leider von denen nicht begriffen wird, die ständig behaupten, dass der Staat nur das ausgeben könne, was er zuvor eingenommen hat. Falsch: Gibt er weniger aus, nimmt er auch weniger ein.

Es gibt eine gesetzliche Definition, wonach „Freiwillige Leistungen“ von den „Pflichtaufgaben“ unterschieden werden. Um letztere kommt eine Kommune nicht herum, koste es, was es wolle. Sie hat für Kitaplätze zu sorgen, weil es einen Rechtsanspruch gibt. Sie hat für Schulen zu sorgen, weil sie die Trägerschaft dafür hat. Sie hat auch dafür zu sorgen, dass Abwasserrohre sofort repariert werden, wenn diese kaputtgehen und nicht erst dann, wenn eine Haushaltsberatung darüber entschieden hat. Ob man sich das gerade leisten kann, spielt halt keine Rolle. Das Geld muss und wird per Kredit zur Verfügung gestellt.

Kommunalaufsichten prüfen in den Haushalten aber streng nach den Buchstaben des Gesetzes und stellen in Zeiten der Rezession fest, das Einnahmen zurückgehen und freiwillige Leistungen, also Ausgaben für Kultur, Sport, Bäder und andere Dinge keine Pflichtaufgaben sind. Fehlen nun die Einnahmen, so die simple Logik, müssen diese Ausgaben, die nicht zu den Pflichtaufgaben gehören, runter, obwohl dass, wie oben gezeigt, mitunter zu noch weniger Einnahmen führt. Denn es gilt weiterhin der Satz, dass der Staat nicht mehr einnehmen kann, als er ausgibt. Hinzu kommt, dass das Streichen von öffentlichen Leistungen nicht nur den Verlust von Einkommen bedeutet, sondern auch den Verlust einer gesellschaftlichen Funktion.

Denn auf öffentliche Leistungen sind vor allem Menschen mit geringen und normalen Einkommen angewiesen. Spart man an dieser Stelle, geht der gesellschaftliche Zusammenhalt verloren, es widerspricht auch dem Sozialstaatsprinzip, das noch fester als die absurde Schuldenbremse im Grundgesetz verankert ist. Letztere kann mit einer zweidrittel Mehrheit auch wieder aus der Verfassung gestrichen werden, der Grundsatz der Sozialstaatlichkeit in Artikel 20 GG, Absatz 1 hingegen nicht. Alles weitere dazu steht in Artikel 79 GG, der bei Finanzministerin und Vorsitzenden des Bundes der Steuerzahler sowie Journalisten offenbar nicht sonderlich ernstgenommen wird. Denn in derselben Ausgabe der HAZ wird einmal mehr Bernhard Zentgraf (Vorsitzender des Bundes der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen) vor der dusseligen Schuldenuhr im Landtag abgebildet, weil die am Montag um rund 2,6   Milliarden Euro auf etwa 64,6  Milliarden Euro zurückgestellt wurde.

So richtig glücklich ist darüber aber niemand. Warum auch, wenn selbst arbeitgebernahe Institute wie das iw in Köln zu der Auffassung gelangen, dass Sparkurse und Schuldenabbau gerade keine guten Ideen sind („ökonomisches Denken der Neunzigerjahre“). Mehr kreditfinanzierte Ausgaben werden gefordert, wenngleich auch hier die ideologischen Scheuklappen immer noch dazu führen, konsumtive Ausgaben, also das, was in der Regel „freiwillige Leistungen“ sind, zu geißeln, weil sie angeblich keinen „produktiven Mehrwert schaffen“. Wie oben gezeigt, stimmt das überhaupt nicht. Konsumtive Ausgaben sind Einkommen, erfüllen damit eine volkswirtschaftliche Funktion und ermöglichen die Bereitstellung von öffentlichen Leistungen im Sinne des Sozialstaatsprinzips, von denen vor allem Menschen mit geringen und normalen Einkommen profitieren. Sie erfüllen also auch eine gesellschaftliche Funktion.

Die Glaubwürdigkeit wird dann sehr nachhaltig erschüttert, wenn beispielsweise davon gesprochen wird, dass die Kultur ein unverzichtbares Lebensmittel ist, sie in schlechten Zeiten aber zu einer bloßen „freiwilligen Leistung“ zurückgestuft wird, die gestrichen werden kann, weil man ja dann doch nicht so recht an das geistige Verhungern glaubt. Was hindert den Gesetzgeber eigentlich daran, die Definition von Pflichtaufgaben zu überarbeiten und klarzustellen, dass es so etwas wie freiwillige Leistungen gar nicht gibt, sondern nur eine längst überholte Vorstellung davon, wie die öffentlichen Ausgaben zu finanzieren sind?

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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