Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg muss wohl jetzt um den völkerrechtswidrigen Verteidigungskrieg ergänzt werden, wobei letzteres hierzulande nicht so eng gesehen wird. Deutschland könne „in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen“, sagt der Bundespräsident im Sommerinterview, der, als er noch Außenminister war, im Jahr 2008 das Osloer Übereinkommen zur Ächtung von Streumunition unterschrieben hat. Das ist nicht die einzige Glanzleistung von Sozialdemokraten.
Der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Nils Schmid sagte im Deutschlandfunk, dass er die Entscheidung der USA sehr gut nachvollziehen könne. Die Lieferung von Streubomben an die Ukraine sei letztlich auch das Ergebnis einer mangelhaften Rüstungsproduktion in Deutschland und anderen NATO-Staaten. Nils Schmid ist übrigens zum außenpolitischen Sprecher befördert worden, nachdem er die SPD in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl 2016 auf beinahe unschlagbare 12,7 Prozent gedrückt hat. 2021 schaffte ein anderer Spitzenkandidat immerhin noch 11 Prozent. Zur Belohnung gab es den Fraktionsvorsitz per einstimmiger Wiederwahl und später den Posten als Landeschef der SPD.
Qualität setzt sich eben durch. Das gilt auch für die elenden Experten, die, nachdem klar ist, dass der Kanzler einen NATO-Beitritt der Ukraine nicht unterstützt – nicht mal einen Fahrplan – ihm nun vorwerfen, kein Zeichen setzen zu wollen. Als ob das irgend etwas bewirken würde. Aber weil die ständige Nörgelei dann doch ein wenig unangenehm ist, lässt die SPD halt einen, offenbar wegen der Quotenregelung ins Amt des außenpolitischen Sprechers gelangten, Taugenichts herumtröten, dass man der Lieferung von Streumunition doch etwas abgewinnen könne, auch wenn man sie selbst und Deutschland als Ganzes weiterhin ächte. In der Bundespressekonferenz wird dann nach dem Abkommen zur Streumunition und dem Völkerrecht gefragt. Die Regierung eiert herum, indem sie, ohne konkret zu werden, dennoch versichert, den Einsatz dieser Waffen auch weiterhin pflichtgemäß zu ächten. Nur wie, blieb irgendwie offen.
Jedenfalls stellte das Verteidigungsministerium umgehend klar, dass die Munition keinesfalls mit deutschen Waffen verschossen würde, da die deutschen Waffen in der Ukraine keine deutschen Waffen in der Ukraine, sondern ukrainische Waffen, deutscher Herkunft, in der Ukraine seien, es also ukrainische Waffen sind und nur die Ukraine Verantwortung dafür trägt. Weshalb sich die Bundesregierung und andere Regierungen aber zusichern lassen, dass mit ukrainischen Waffen, deutscher oder anderer Herkunft nicht nach Russland geschossen werden darf, blieb ebenso offen. Merkwürdig ist auch, dass sich der ukrainische Botschafter in Deutschland veranlasst fühlt, darauf hinzuweisen, Streumunition, na sagen wir mal, verträglich einzusetzen, so als ob man sich an Regeln halte. Das passt natürlich alles nicht zusammen, wird aber verständlicher, wenn man die Sache mit dem Völkerrecht durchblickt.
„Im Gegensatz zum Recht kann das Völkerrecht nicht von einer zentralen Gewalt durchgesetzt werden, sondern ist von der Anerkennung der jeweiligen Staaten abhängig“, heißt es kurz und knapp im Politiklexikon der Bundeszentrale für Politische Bildung. Und weiter: „Völkerrecht entsteht durch Verträge (Abkommen, Konventionen, Pakte etc.), die sich mit der Anerkennung fremder Staatsgebiete, Beschränkung kriegerischer Handlungen, dem diplomatischen Austausch und Verkehr, der Schlichtung von Streitigkeiten, Fragen des internationalen Handels etc. beschäftigen.“ Völkerrecht entsteht also beispielsweise durch das Osloer Übereinkommen zur Ächtung von Streumunition. Da Völkerrecht aber auch von der Anerkennung der jeweiligen Staaten abhängig ist, kommen die Staaten in Erklärungsnöte, die zwar miteinander verbündet sind, aber unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten Abkommen haben. Folglich muss man sich also Begründungen einfallen lassen, warum das eigene Handeln nun gerade nicht völkerrechtswidrig ist.
Das macht das Völkerrecht einerseits zur Farce, andererseits aber auch wieder wertvoll, weil es, wie im vorliegenden Fall gerade die Seite entlarvt, die den höchsten Anspruch auf ein moralisches Monopol erhebt. Abseits davon wird dann aber klar, dass es gerade nicht um Moral oder das bedauernswerte Völkerrecht geht, sondern immer nur um Interessen. Die USA und Deutschland wollen keinen NATO-Beitritt der Ukraine, dafür sind sie bereit, den Einsatz von Streumunition zu tolerieren. Dabei hoffen die Deutschen wohl darauf, Punkte beim engsten Verbündeten machen zu können, dem die deutsche Zeitenwende viel zu langsam geht. Die Briten wollen einen schnellen NATO-Beitritt der Ukraine, lehnen den Einsatz von Streumunition aber ab, was ihnen wiederum den bevorzugten Besuch des US-Präsidenten heute bescherte. Es soll wohl vor dem NATO-Gipfel klar gestellt werden, dass London und nicht etwa Warschau Washingtons erster Ansprechpartner in Europa zu sein hat.
Auf der anderen Seite hatten die Briten keine große Sorgen, Uran-Munition ins Kriegsgebiet zu liefern, um Kiew zu gefallen. Das diente wohl dem selben Zweck der Sicherung europäischer Machtansprüche noch vor den osteuropäischen Emporkömmlingen. Die Türkei zeigte wiederum, dass sie in EU und NATO noch ein gehöriges Wort mitzureden hat. Mit dem Hebel Schweden, das ebenfalls in die NATO will, aber ohne die Zustimmung der Türken nicht aufgenommen werden kann, gelang es Erdogan offenbar, die EU zu einem weiteren schmutzigen Deal zu bewegen. Dem Vernehmen nach soll EU-Ratspräsident Charles Michel zugesagt haben, wieder Schwung in die EU-Türkei-Beziehungen bringen zu wollen. Da müssen sich die Regierungssprecher in der Bundespressekonferenz wohl wieder auf ein paar Fragen gefasst machen, nachdem sich der Kanzler eine Vermischung mit dem EU-Beitritt verbat. An den blamablen Antworten wird sich aber vermutlich nichts ändern.
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JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.