Brüche tun weh

Geschrieben von: am 23. Mai 2023 um 15:40

Wer sich schon einmal den Arm gebrochen hat, weiß, wie schmerzhaft das ist. Die Verletzung zwingt zum Arztbesuch und der Patient muss sich dann für eine Weile schonen. Ein Weiter so ist also nicht möglich. Anders sieht es bei logischen Brüchen aus. Da wird trotz aller Widersprüchlichkeit einfach immer weitergemacht.

Es dürfe keine Normalisierung geben, hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock letzte Woche in Saudi-Arabien gesagt. Damit kritisierte sie die Wiederaufnahme Assads in den Kreis der Arabischen Liga. Nun, das Gegenteil von normal ist bekanntlich bekloppt. Ob die Außenministerin für die Fortsetzung eines solchen Verhaltens plädiert, ist unklar. Jedenfalls tobt der Krieg in Syrien seit 2011, also seit rund 12 Jahren. Der Konflikt, an dem sich zahlreiche Länder beteiligen und dem viele Menschen bereits zum Opfer gefallen sind, hat bislang zu keinem Regimewechsel geführt, was dem Westen, wie er ständig betont, sehr gefallen hätte. Man befindet sich demnach in einer Art Sackgasse. Ein Wendemanöver wäre daher normal, ein Weiterfahren dagegen bekloppt.

Dass sich Interessen ändern können, ist in der internationalen Politik nichts Ungewöhnliches. Spätestens dann, wenn die Amerikaner die Ukraine fallen lassen, wird das wieder sichtbar. In der deutschen Außenpolitik gilt aber etwas anderes. Da zählt Haltung zeigen eben mehr. Denn es könnten ja die falschen triumphieren. Das kennt man übrigens auch aus der Innenpolitik. Protest gegen staatliche Maßnahmen in der Corona Pandemie? Nö, das war ja rechts. Protest gegen Waffenlieferungen an die Ukraine? Nö, das ist ja auch rechts. Die schwurbelnden Coronaleugner von gestern, sind die schwurbelnden Putinversteher von heute. Mit denen macht man sich nicht gemein. So einfach ist das. Deshalb ist inzwischen auch der Satz, Frieden schaffen ohne Waffen, einfach falsch. Weil er von den Falschen ausgesprochen wird. Daher gilt jetzt: Frieden schaffen mit Waffen.

Warum eigentlich? Weil der, der gar nicht verhandeln will, erst dann verhandelt? Also irgendwie muss er das ja, wenn es dann doch zu einem Frieden oder Waffenstillstand kommen soll. Den kann man ja schlecht nur mit sich selbst abschließen oder doch? Es ist doch komisch, dass niemand der Kriegs- und Waffenbegeisterten die Frage ernsthaft beantworten mag, was eigentlich passiert, wenn es tatsächlich gelänge, den Aggressor aus dem überfallenen Land zu vertreiben. Dann herrscht wohl automatisch Frieden oder es gibt automatisch Verhandlungen, auch ohne diplomatische Vorbereitungen. Die Polizei möge daher doch bitte gegen die fünfte Kolonne Moskaus auf den deutschen Straßen, die zuvor ganz sicher noch die „Unsolidarischen“ im Kampf gegen das Virus waren, mit aller Härte vorgehen. Es sind ja schließlich alles Rechte und keine linken Klimakleber, deren Aktionen der Kanzler allerdings auch als bekloppt, Pardon, völlig bekloppt, betitelte.

Da stellt sich die Frage, was eigentlich mit den Linken los ist. Jakob Hayner urteilt in der Welt darüber so.

Mit Corona wurde schnell klar, dass hinter den Glaubenssätzen der offiziellen Linken nichts steckt, vor allem keine Haltung. Die Linke spielt die Moralpolizei in einer moralisch bankrotten Gesellschaft. […] Das Versagen der Linken wird unter anderem auf die obsessive Fixierung auf Identitätspolitik zurückgeführt. Auch der Mangel an marxistischer Bildung macht unfähig, größere gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und zu beschreiben. Das einzige Vokabular, was auf dieser Schwundstufe linken Denkens bleibt, ist die moralisierende Empörung: Shitstorms auf Twitter statt Kritik der politischen Ökonomie. Also auch: leicht manipulierbar statt unbestechlich analytisch.

Vermeintlich geschlossen

Wenn es die Unfähigkeit zum kritischen Denken ist, spielt natürlich die Geschlossenheit umso mehr eine große Rolle. Daher müssen die Abweichler auch rigoros bekämpft und verunglimpft werden. Das gilt für provinzielle deutsche Debatten ebenso wie für den Versuch, auf großer Bühne ein bedeutendes Ei zu legen. Bei der Verleihung des Karlspreises war die EU-Kommissionspräsidentin, leider auch eine Deutsche, krampfhaft um ein Bild der Geschlossenheit bemüht, allerdings recht einfallslos mit einer schlechten Erinnerung an die Blut-, Schweiß- und Tränenreden früherer Epochen. Die jüngsten Zeiten der Europäischen Union bieten dafür ja keine Anknüpfungspunkte. Denn vor dem Krieg war der Zerfallsprozess des einstigen Friedensprojektes schon zur Normalität geworden.

Die Briten kehrten dem Club den Rücken. Warum sollten sie eigentlich jetzt Verbündete sein? Der Norden dominierte den Süden über den Fiskalpakt und schuf sogar technokratische Einrichtungen wie die Troika, um die Souveränität von Staaten zu unterminieren. Sollen die Griechen doch ihre Inseln verkaufen, lautete eine widerliche Schlagzeile, die höflich umschrieben in der Floskel Solidarität nur gegen Solidität ihren Ausdruck fand. Damals galt nicht, was heute gilt, das jedes Land souverän entscheiden dürfe. Im Zweifel begrenzt man halt Barabhebungen an Geldautomaten. Der echte Krieg kam da ja wie gerufen, um wieder von einer europäischen Einheit zu fabulieren. Doch die schmerzhaften Brüche bleiben. Die EU im Osten dreht anders, als die im Westen oder Süden, doch bei der Tendenz zum Autokratischen nehmen sich die vielen stolzen Demokratien dann kaum noch etwas.

Der Krieg ist so gesehen sinnstiftend, wie Roderich Kiesewetter und Anton Hofreiter als Abgeordnete des Deutschen Bundestages belegen, als sie kürzlich an den amerikanischen Präsidenten schrieben: „Es gibt keinen Grund, eine Fortsetzung des Krieges über 2023 hinaus auszuschließen.“ Oder anders formuliert: Wie man mit intellektuell Erbrochenem das materiell Gebrochene zusammenzuhalten versucht. Inzwischen stimmt aber die simple Formel Afrika will Frieden – Europäer wollen Kampfjets. Und weil das die regelbasierte Ordnung, die immer beschworen wird, irgendwie nicht hergibt, muss eine Kampfjet-Koalition gebildet werden, wie zuvor bei den Panzern, also eine Art Koalition der Willigen, die stets frei von strafrechtlicher Verfolgung und immer im Namen von Freiheit, Demokratie und Recht auf Verteidigung die Grundrechte aller anderen brechen darf.

Die Freiheit der darstellenden Mittelbeschaffung

Dafür braucht es natürlich Geld. Viel Geld. Wie viel eigentlich und woher soll es kommen, Herr Lindner?

Aus Mitteln, die im Haushalt dargestellt werden können. Das geht aber nur im Ressort für Verteidigung, das man künftig vielleicht in Kriegsministerium umbenennen sollte. Für andere Dinge sind im darstellenden Spiel der Berliner Puppenkiste halt keine Mittel darstellbar. Da gilt jetzt wieder Schuldenbremse, die aufgrund von Pandemie und Krieg zuletzt drei Jahre lang legal ausgesetzt war. Mitteldarstellung ist also etwas, dass von den äußeren Rahmenbedingungen abhängig ist. Da kommt es auf die Bühnenbauer an. Doch die haben sich dafür entschieden, das Schuldenmachen wieder zu einem furchtbaren Bruch des Grundgesetzes zu erklären, wobei die Schulden für das Militärische, genannt Sondervermögen, nicht beachtet werden. Tut das nicht weh? Schließlich sind doch die Staatsschulden von heute die Steuererhöhungen von morgen, erklärt jener Finanzminister, wenn er wieder Vorsitzender einer liberalen Partei ist.

In der Wirklichkeit häuft Deutschland seit Jahrzehnten immer mehr Schulden an, doch die Steuerquote ist fast unverändert, auch weil Leute wie Lindner sich vehement dagegen wehren, den Reichen mehr Abgaben abzuverlangen. Zuletzt sind die Steuern sogar gesenkt worden, was zu jenem Loch im Haushalt führte, das Kanzler und Finanzminister, offenbar unter Umgehung der Grünen, nun zu stopfen versuchen. Einem Bericht zufolge seien sich Scholz und Lindner einig, dass fast alle Ministerien ihre Ausgaben um zwei bis drei Prozent kürzen sollen. Der Bereich Verteidigung ist ausgenommen, der bekommt trotz Sondervermögens noch einige Milliarden aus dem regulären Haushalt obendrauf, damit der neue Hausherr, ein kantiger Typ mit blendenden Beliebtheitswerten aus Niedersachsen, beim darstellenden Kriegsspiel in Europa etwas vorweisen kann. Nach dem Motto: Deutschland kann mehr als nur Schiffbruch mit der Gorch Fock erleiden.

Dankbarkeit Bitteschön

„Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss“, sagte Robert Habeck noch vor ein paar Tagen. Dieser Fehler war es dann auch nicht, sondern ein anderer, der zum Rausschmiss des einflussreichen Staatssekretärs führte, wobei der Vorgang nur eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand und damit äußerst komfortabel ist. So geht Politiksprech. Verantwortlich ist auch nicht der Mensch, der ein paar Verfehlungen zu viel beging, sondern rechtsextreme und prorussische Accounts im Internet, das Habeck, zumindest mit Blick auf Twitter, gar nicht mehr nutzt. Die Lage teilt es ihm wohl jeden Morgen trotzdem mit. Da ist es aber wieder. Weil die Falschen triumphieren, muss der Geschasste zwangsläufig ein Guter sein. Der habe mit seinem Wirken das Land schließlich durch den Winter manövriert, lobt der Minister. Jede Wohnung war warm.

Da erwartet man also Dankbarkeit für etwas Selbstverständliches, oder wie es der Kolumnist der Berliner Zeitung formuliert.

Bevor Habeck und Graichen in Verantwortung waren, kam nach milden Wintern in meinen Kreisen niemand auf die Idee, beheizte vier Wände als Errungenschaft zu feiern. Das wird sich ändern. Als Bewohner der neuen, besseren Welt will ich gottfroh sein über jeden Morgen, an dem der Energieminister den Toaster anspringen lässt.

Doch stimmt das eingeforderte Selbstlob überhaupt nicht, da es den Herrschaften im Wirtschaftsministerium wie auch in der gesamten Bundesregierung herzlich egal ist, wer ihnen die Gaspipelines in der Ostsee weggesprengt hat. Der Russe wollte ja so wie so nicht mehr liefern, Fall erledigt. Wieso hätte dann aber noch ein, lach, unscheinbares, vergleichsweise kleines Segelboot mit Sprengstoff an Bord aufbrechen sollen? Und warum interessiert sich der Generalbundesanwalt dafür, wenn doch weitere Erkenntnisse das Staatswohl gefährden könnten? Bekannt ist jedenfalls, dass Habecks Haus anordnete, den Gasmarkt leerzukaufen, was den Preis schließlich in die Höhe trieb, so dass Industrie und Haushalte ihren Verbrauch drosselten. Bleibt dann noch das milde Wetter, aber dafür können weder Graichen, noch dessen Trauzeuge etwas.

Den Wärmepumpen hätte das freilich geholfen. Die sollen nun Teil der Wärmewende werden und zwar noch bevor die Kommunen überhaupt ihre Wärmeplanung erstellt haben. Noch so ein unverständlicher Bruch in der Logik. Lasst doch erst Wärmepumpen einbauen, egal wie, damit diese dann wieder abgerissen werden können, wenn Wohngebiete an das Nahwärmenetz der Kommune angeschlossen werden. Vielleicht rührt die Eile beim Gesetzgebungsprozess ja auch daher, dass sich der Tausch bei den fossilen Abhängigkeiten im nächsten Winter nicht mehr verheimlichen lässt. Bezog man früher billiges Gas und Öl beim verlässlich liefernden Despoten aus Russland, gibt es künftig nur noch LNG zu Mondpreisen bei den unsolidarisch handelnden Freunden. Es wäre ein Treppenwitz. Die könnten aber mit Blick auf die Militärausgaben und in Anlehnung an die jahrelange deutsche Überheblichkeit sagen, Solidarität nur gegen Solidität.

So ist das wohl bei Umbrüchen. Auch die tun weh, vor allem dann, wenn man gar nichts mehr anzubieten hat, außer einer neuen Klasse von eingebildeten „Moral-Verkäufern“, die permanent Weltanschauung verkaufen und dabei Oberlehrertum mit Information verwechseln.


Bildnachweis: Gerd Altmann auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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