Was für ein Wochenende. Vollgepackt mit allerhand Terminen und Veranstaltungen. Der Star-Gast Wolodymyr Selenskyj hatte es da allerdings schwer zwischen dem tränenreichen Abschied von Peter Urban beim ESC und der Wahl in zwei Städten, die zusammen ein Bundesland in Niedersachsen sind. Doch der Reihe nach.
Die Wahl in der Türkei ist noch nicht entschieden. Klar ist nur, dass sie die Opposition, von der sich der Westen viel versprach, nicht mehr gewinnen wird. Dennoch legen die Spitzengremien der Parteien heute Wert auf die Feststellung, dass man das endgültige Ergebnis erst einmal abwarten solle. Egal, wer am Ende Präsident sei, Deutschland müsse gute Beziehungen zu ihm haben, was im Grunde klar ist, wenn die Türkei weiter als Europas Türsteher fungieren soll. Vor diesem Hintergrund wirkte es dann auch einigermaßen lächerlich, als die pummelige grüne Parteispitze alle Türken in Deutschland zur Abwahl Erdogans aufrief. Das Ergebnis spricht nun nicht unbedingt für den Erfolg.
Diese Aktion wahr freilich nur an die eigenen grünen Anhänger gerichtet, die aber weder das türkische Parlament noch jenen Staatspräsidenten wählen können, dafür aber eine Bürgerschaft in Bremen. Zur Urne hingegangen sind dann aber wieder nur wenige und von denen mochten auch nicht mehr so furchtbar viele für die Grünen stimmen. Denn mit scheinheiligem Haltungsgetue und gepflegter Doppelmoral ist gerade kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Mit fehlender Politik allerdings auch nicht. Maike Schaefer, die heute ihren Rücktritt ankündigte, verantwortete als Senatorin die Bereiche Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Ein Superressort, das aber kaum etwas lieferte, das Wählern positiv im Gedächtnis geblieben wäre. Dann gibt es halt auch irgendwann die Quittung, urteilt Wolfgang Michal im Freitag.
Fehlende Rückenwinde
Die halbgaren Gesetzentwürfe, die von Staatssekretären mit einer Schwäche für Trauzeugen vorgelegt werden, taten sicherlich ihr übriges dazu. So wird seit Wochen über die Wärmewende mit Hilfe des Gebäudeenergiegesetzes debattiert. Dass es vom Bundestag auch so verabschiedet wird, wie einst von der Ampel mit großem Tamtam beschlossen, gilt inzwischen als unwahrscheinlich.
Der Vorsitzende der FDP, Christian Lindner, stellte heute noch einmal klar, dass die Liberalen dem Entwurf nur auf Wunsch von SPD und Grünen formal im Kabinett zustimmten, um nichts weiter als die Beratung im Parlament zu ermöglichen. Derzeit zustimmungsfähig sei das Gesetz aber nicht. Der Co-Vorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, sagte, dass man nicht auf der Vollbremse stehe wie andere, also ein Gesetz zum 1. Januar 2024 auf jeden Fall anstrebe, weil man den Klimaschutz schließlich ernst nehme, dieses Regelwerk aber auch nicht vom Anspruch geprägt sein dürfe, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Man müsse vielmehr die Bürger mit Schlagworten wie Übergangsfristen, sozialem Ausgleich und Technologieoffenheit mitnehmen.
Denn die sind, folgt man der Leiterin des ARD-Hauptstadtbüros in der 20 Uhr Tagesschau vom Sonntagabend, irgendwie ein bisschen überfordert mit der Politik. Das soll wohl heißen, wären sie doch nicht so dumm, würden sie auch die richtigen Parteien wählen. Wählerbeschimpfung in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten war noch nie sonderlich originell, nimmt aber beständig zu, weil es auch hier immer mehr an Rückenwind aus dem Kreis der Gebührenzahler mangelt. Aus den Analysen lässt sich jedenfalls so etwas wie ein Bedauern über die Möglichkeit der Bildung einer Großen Koalition herauslesen. Sondierungsbereit scheinen jedenfalls beide ehemaligen Volksparteien zu sein.
Ein schlechtes Signal wäre das wohl für die Fortschrittskoalition insgesamt und natürlich für den Klimaschutz. Nachdem es in der Presse schon Aufrufe gab, für Robert Habeck auf die Straße zu gehen oder Bekenntnisse von gläubigen Konservativen für Annalena Baerbock, scheint sich der Abwärtstrend der Grünen dennoch fortzusetzen. Die verfallen wiederum in eine große Jammerei. Man habe sich nicht nur gegen die Grünen, sondern gegen den Klimaschutz verschworen. Umweltministerin Steffi Lemke räumte nun ein, dass man nicht sofort den richtigen Ton getroffen habe, sondern mehr und besser hätte erklären müssen. Denn noch könnten sich viele Menschen nicht vorstellen, wie teuer Öl und Gas bald sein würden.
Aber was soll das heißen? Dass der Betrieb alter Heizungssysteme durch politische Entscheidungen unbezahlbar wird? Dazu hat die Ampel aber etwas anderes in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Da steht:
„Wir setzen auf einen steigenden CO2-Preis als wichtiges Instrument, verbunden mit einem starken sozialen Ausgleich und werden dabei insbesondere Menschen mit geringeren Einkommen unterstützen. Was gut ist fürs Klima, wird günstiger – was schlecht ist, teurer. […]
Wir werden einen Vorschlag zur Ausgestaltung der Marktphase nach 2026 machen. Um einen künftigen Preisanstieg zu kompensieren und die Akzeptanz des Marktsystems zu gewährleisten, werden wir einen sozialen Kompensationsmechanismus über die Abschaffung der EEG-Umlage hinaus entwickeln (Klimageld).“Quelle: Koalitionsvertrag
Und Robert Habeck?
Opferbereitschaften
Der Wirtschaftsminister und Vizekanzler zeigte letzte Woche Nerven. Ein Befreiungsschlag vor den Ausschüssen im Bundestag misslang. Später sagte er trotzig: „Ich bin nicht bereit, Menschen zu opfern.“ Vom fiesen Markus Söder, der vor einem triumphalen Sieg bei der bayerischen Landtagswahl steht, musste er sich im Bundesrat anhören: „Das Ganze sieht nach Gasumlage aus.“ So etwas sitzt, aber warum geht er da auch hin? Noch inakzeptabler wird die Wärmewende ja, wenn noch immer kein Klimageld oder irgend eine andere Kompensation für die zusätzlichen Belastungen erkennbar ist, wohl aber schon weitere 2,7 Milliarden Euro für neue Waffenlieferungen an die Ukraine bereitgestellt werden. Einfach so, während Länder und Kommunen lediglich eine zusätzliche Milliarde Euro für die Unterbringung von Flüchtlingen erbetteln durften.
Immerhin belegt Deutschland mit der sicherlich nicht ganz so klimafreundlichen Unterstützung des Freiheitskampfes den ersten Platz in Europa, wie der Kanzler beim Schaulaufen mit dem ukrainischen Präsidenten am Wochenende stolz betonte. Da setzte nur noch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eins drauf, in dem sie in Aachen den Krieg verklärte. Die Ukraine sichere nicht nur Freiheit, Menschlichkeit und Frieden, sondern mit Blut und Leben auch die Zukunft unserer Kinder, so von der Leyen bei der Verleihung des Karlspreises. Im RND schwurbelte Kristina Dunz zuvor:
Die Fotos teilen das Leben von Wolodymyr Selenskyj in ein Vorher und ein Nachher. Hier der frische Wahlsieger, ein jungenhaft wirkender ehemaliger Schauspieler, der im feinen Anzug im Juni 2019 zum Antrittsbesuch nach Berlin kommt. Dort der Präsident eines von Russland überfallenen Landes, der im olivfarbenen Pullover die Welt per Video auf internationalen Konferenzen oder beim Blitzbesuch in westlichen Hauptstädten um Hilfe bittet. Er trägt nun Vollbart, sein Gesicht erzählt vom Krieg. Es liegen nicht einmal vier Jahre zwischen den Bildern, aber es mag man kaum glauben, dass es sich um ein und denselben Menschen handelt.
Da freut sich aber die PR-Agentur, die sich den Bart, der vom Krieg erzählt, hat einfallen lassen. Der Absatz zeigt daher auch, dass nicht nur das ARD-Hauptstadtstudio nicht weiß, was Küppersbusch schon vor 11 Monaten erklärte.
Aber zurück zur Texterin aus Brüssel, die trotz auffallender Ähnlichkeit nichts mit der Gruppe Lord of the Lost zu tun hat. Die erlitt in Liverpool mit den Zeilen „Blood and glitter, sweet and bitter, We’re so happy we could die“ ordentlich Schiffbruch. Der Postillon spottete daher zurecht, „Um Solidarität zu zeigen: Selenskyj besucht Deutschland nach ESC-Niederlage“. Dabei stellte er dem Kanzler direkte musikalische Unterstützung in Aussicht. Das ist echt lustig, aber die Europatournee des ukrainischen Präsidenten hatte mal wieder einen ernsten Kern. Sie war der Auftakt zu einer neuen Rüstungsrunde. Neben Deutschlands 2,7 Milliarden Euro und dem Versprechen auf mehr, so lange es nötig sei, sagten auch Paris und London weitere Unterstützung zu. Der britische Premier Sunak bot sogar hunderte Flugabwehrraketen und Kampfdrohnen mit einer Reichweite von mehr als 200 Kilometern an.
Der Krieg geht also weiter, während in Liverpool Peter Urban die hinteren Plätze der vorgenannten Länder kommentierte. Wie immer konnte er sich das Ergebnis nicht erklären. Da brauchte es dann Guildo Horn, der etwas Kluges sagte. „Das Licht am Ende des Tunnels scheint leider aus“, schrieb er auf Facebook. „Mein Tipp: Einfach mal pausieren und das gesparte Geld vernünftig investieren! Zum Beispiel für den Bau von neuen Kitas, oder zur Unterstützung der Tafel! Mir fielen da eine Menge nützlicher Dinge ein“, so Horn, mit dem Gregor Gysi kürzlich übrigens ein schönes Gespräch führte. Der Schlagerbarde fordert also nichts weniger als eine Zeitenwende. Das ließe sich natürlich auch auf andere Bereiche übertragen.
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MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.