Eine Position, die sich für den Frieden einsetzt, ist schwerlich anzugreifen, deshalb fallen die Reaktionen auf das Manifest für Frieden und die Bewegung auch so harsch und niederträchtig auf der persönlichen Ebene aus. Das Ziel der Angriffe sind die Initiatorinnen, die man einfach niedermacht. An die Demonstration wird zudem eine Vielzahl an Etiketten geklebt (hier und hier) und gelogen, dass sich die Balken biegen. Aber das wirklich Lustige, um nicht zu sagen, Listige, an der Auseinandersetzung ist, dass die Forderung nach Frieden dennoch so wirkmächtig daherkommt, dass selbst die Kriegsbegeisterten sie nicht länger ignorieren können. Sie sehen sich gezwungen, zu behaupten, selbst für den Frieden einzustehen, obwohl sie den Einsatz von schweren und sehr schweren Waffen weiterhin für zwingend notwendig erachten. Das ist nicht nur peinlich, sondern auch paranoid.
Im Grunde befinden sich aber beide Seiten in einer Sackgasse. Weder die Befürworter von Waffenlieferungen, noch die Befürworter von Verhandlungen können erklären, wie aus ihren Positionen heraus ein Frieden entstehen soll. Über ein Jahr Ukraine-Unterstützung haben nicht mehr als eine Pattsituation auf dem Schlachtfeld herbeigeführt, die mit einer hohen Zahl an Opfern und territorialen Verlusten bezahlt wird. Allmählich gehen Munition, Material und Personal zur Neige. Die Amerikaner erklärten gerade wieder, dass sie eigentlich immer noch keine Abrams Panzer liefern wollen und werden, sondern lediglich von Deutschland zu einer Zusage genötigt wurden. Dabei bräuchte die Ukraine, um ihre Propagandaziele zu erreichen, viel mehr Material als die NATO überhaupt in der Lage ist zu liefern.
An der Hand des großen Bruders
Und ohne Erfolge auf dem Schlachtfeld wird die Unterstützung für die Ukraine weiter schwinden. Das wird sie sowieso, weil die alte Vorstellung vom Kampf Gut gegen Böse bei denen, die sich naturwüchsig für die „Guten“ halten, immer weniger verfängt. Das amerikanische Selbstverständnis, eine globale Führungsrolle einzunehmen, die darin besteht, Demokratie und Freiheit überall auf der Welt zu verteidigen, ist im Wandel begriffen, und der jetzige Präsident, dessen Weltanschauung noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammt, ein Auslaufmodell. Zurzeit holen sich vor allem Amerikas Vasallen, allen voran Deutschland, eine blutige Nase. Deutschlands Außenministerin mit ihrem Gerede von einer regelbasierten Ordnung, der sich alle bitte unterordnen mögen, nimmt auf internationalem Parkett wie eben beim G20-Treffen in Indien niemand mehr ernst.
Die Staatschefs von Schwellenländern sind selbstbewusster und erteilen dem Kanzler sogar in dessen Gegenwart immer häufiger eine Abfuhr. Sie verlangen diplomatische Initiativen zur Beendigung des Krieges, die aus mehr als nur der Forderung des vollständigen Abzugs russischer Truppen besteht. Scholz bleibt daher lediglich der traurige Blick zurück nach Washington, zum großen Bruder, an dessen Hand er sich mehr denn je klammert.
„Ein Jahr ‚Zeitenwende‘, das heißt auch ein Jahr transatlantische Partnerschaft – enger und vertrauensvoller denn je“, so Olaf Scholz im Bundestag. Dabei besteht diese vertrauensvolle Zusammenarbeit in einer bislang unaufgeklärten Sprengung von Gaspipelines, einem schwelenden Handelskonflikt und widersprüchlichen Vereinbarungen über Panzerlieferungen. Immer mehr geht es daher um die Frage, wie lange eigentlich der Westen den Krieg noch führen kann. Die Floskel „so lange es nötig ist“ suggeriert eine Grenzenlosigkeit, die schon bei den zugesagten Mitteln überhaupt nicht besteht. Umso hasserfüllter fallen daher die Reden im Bundestag aus. Um die Forderung nach Waffenstillstand und Verhandlungen wird eine moderne Form der Dolchstoßlegende gesponnen.
Schlüssel liegt in Washington
Doch auch die Seite, die auf Verhandlungen drängt, kann nicht erklären, wie eine solche Initiative überhaupt gelingen soll, wenn sowohl Russland wie auch die Ukraine Gespräche über die Beilegung der Kämpfe weiterhin ausschließen. Welche Rolle könnte Deutschland bei den Überlegungen überhaupt noch spielen, nachdem es sich bei den Waffenlieferungen von seinen „Verbündeten“ in eine exponierte Stellung hat treiben lassen, also de facto schon als Kriegspartei betrachtet wird? Welche Rolle kann Berlin noch spielen, nachdem die Alt-Kanzlerin unumwunden zugab, die Vereinbarungen von Minsk seien nur geschlossen zu haben, um Zeit für Aufrüstung und Krieg zu gewinnen? Mit der Waffe an der Schläfe kann man nicht verhandeln, hat Olaf Scholz im Bundestag gesagt. Das stimmt, gilt dann aber auch für Raketen, die innerhalb von fünf Minuten Moskau erreichen können.
Frieden ist das Einzige, was es zu gewinnen gibt – so hat es Heinrich Böll gesagt. […] Man kann Verhandlungsbereitschaft auch herbeiverhandeln. Das ist erfolgversprechender als der Plan, Frieden herbeizubomben.
Es ist richtig, was Prantl sagt, aber der Schlüssel dafür liegt in Washington, das sich wiederum in eine geopolitische Sackgasse manövriert hat. Der Anspruch, die Weltmacht Nummer 1 zu sein und auch zu bleiben, steht nicht nur innenpolitisch zunehmend in Frage, sondern auch vor der Herausforderung einer multipolaren Welt, in der sich Staaten emanzipieren, vermehrt eigene Interessen formulieren und sich in Bündnissen bewegen, in denen sie sich besser vertreten fühlen. Die Durchsetzung des hegemonialen Anspruchs kann dann eben nicht mehr, wie bisher, allein durch ein großes Netz an Militärbasen erreicht werden, sondern wirft die Frage nach den Prioritäten auf. Können die USA den Stellvertreterkrieg in der Ukraine fortsetzen und gleichzeitig eine glaubhafte Drohkulisse in der Auseinandersetzung mit China aufbauen oder gar einen Zweifrontenkrieg riskieren? Welcher Krieg ist dann wichtiger? Gibt es im Pazifik einen Stellvertreter, der wie die Ukraine in Europa, den Kopf für die Interessen der USA hinhalten könnte?
Manipulation der öffentlichen Meinung
Das Beispiel Ukraine-Krieg mit seinem unfassbaren Verbrauch an Menschenleben und Munition schreckt da eher ab. Nun ist Bundeskanzler Olaf Scholz kurzfristig nach Washington gereist. Vor knapp zwei Wochen war US-Präsident Biden in Kiew und Warschau, hielt es aber nicht für nötig, Berlin oder Paris zu besuchen. Der Kanzler muss schon selber kommen, was ein wenig mehr über die Stellung der Bündnispartner verrät. Was wird entschieden, eine weitere Verschärfung des Konflikts mit noch mehr Waffen oder die Option von Verhandlungen? Schließlich ist es nicht der erste, sondern schon der neunte Jahrestag des Krieges, wie Jeffrey D. Sachs auf Telepolis schreibt. Beide Seiten müssen sich zurückziehen. Vielleicht trifft der Bundeskanzler auch deshalb den amerikanischen Präsidenten, weil die Friedensdemonstration vom Wochenende zeigt, dass trotz aller Beschimpfungen ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung die militärische Unterstützung der Ukraine kritisch sieht und die Beteiligung des Westens an diesem Krieg ablehnt.
Diese Tatsache lässt sich auch nur bedingt durch Umfragen weglügen, wie der aktuelle Deutschlandtrend der ARD zeigt. Dort wird gerade gesagt, dass eine Mehrheit der Deutschen Waffenlieferungen zustimmt, obwohl eine Mehrheit der Befragten nach wie vor der Auffassung ist, dass die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges nicht ausreichend sind. Man könnte auf Grundlage der Zahlen auch zu der Aussage kommen, dass eine Ausweitung der Waffenlieferungen nur 16 Prozent der Befragten befürworten. So hat es jedenfalls der ARD-Deutschlandtrend im Januar gemacht, als er dieselbe Umfrage präsentierte und einordnete. Damals wären sogar noch mehr als jetzt, nämlich 25 Prozent für eine Ausweitung der Waffenlieferungen gewesen, aber es hieß: „Für eine Steigerung der Waffenlieferungen von Deutschland an die Ukraine gibt es keine Mehrheit“. Es besteht also durchaus der Verdacht der Manipulation von öffentlicher Meinung, und zwar just in dem Moment, wo sich eine Friedensbewegung erfolgreich zu formieren beginnt.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.