Deutschland ist ein Kindergarten. Hier kann man nur zu Demonstrationen aufrufen und daran teilnehmen, wenn die Obrigkeit entschieden und über ihre Presseorgane hat mitteilen lassen, dass da keine Rechten dabei sind. Gute Demos, schlechte Demos, das kennt man aus Coronazeiten schon. Heute sind die Guten die, die fordern, dass mehr Waffen Frieden schaffen und die Bösen die, die ein Ende der Kämpfe fordern und sich für Verhandlungen einsetzen. Sie nennt man neuerdings „Friedensschwurbler“, in Anlehnung an die Coronazeit, wo das auch schon wunderbar funktionierte. Das Komische daran ist nur, dass am Ende alle zu „Friedensschwurblern“ werden müssen, auch die, die jetzt noch nach immer mehr Waffen lechzen.
Doch zunächst zu dem absurden Theater, das viel mit dem zu tun hat, was man Haltung nennt. „Kein Fußbreit dem Faschismus!“, lautet die bekannteste Parole, die gerade wieder hervorgekramt wird, um bestimmte Demoaufrufe abzuwerten. Doch diese Haltungsfrage stößt bei der Projektion auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine an ihre Grenzen. Man kann nämlich nicht Wagenknecht, Schwarzer und deren Anhänger gleichsam als „Putintrolle“ verunglimpfen, die mit Rechten und Nazis Seit an Seit marschieren und gleichzeitig den Faschistenverharmloser Melnyk, der den Massenmord an Juden durch Badera und seine Anhänger vor laufenden Kameras leugnet, zur Ikone erheben. In welche Sackgasse dieser Haltungsstarrsinn führt, der Differenzierung verunmöglicht, hat Georg Restle im österreichischen Fernsehen gerade wieder gezeigt.
In einer Talkrunde mit Wagenknecht und Schwarzer sagt der Mann von Monitor plötzlich, dass man über die Rolle von Bandera unterschiedlicher Auffassung sein könne. Nein, das kann man nicht. Die Wissenschaft dazu ist eindeutig und Melnyks Äußerungen bei Tilo Jung im Interview eine bodenlose Unverschämtheit, die wohl letztlich auch dazu führte, dass der Bandera-Verehrer seinen Posten als Botschafter räumen musste. Ein widerlicher Twitter-Dödel ist er aber geblieben. Dort, in den (a)sozialen Netzwerken, herrschte übrigens noch nie Frieden, weil diese quasi als rechtsfreie Räume konzipiert sind, in denen eine verbale Attacke der nächsten folgt. Doch was Restle zum Verhängnis wird, ist sein eigener Haltungsanspruch. Denn diese problematische Bandera-Verehrung in der Ukraine muss er relativieren, weil die Kritik daran der Erzählweise aus Moskau gleicht und damit aus seiner festgelegten Wahrnehmung nur Propaganda sein kann.
Bloß keinen falschen Applaus
Das ist Kindergarten, wie man ihn aus Deutschland zur Genüge kennt. Jede politische Äußerung oder Position muss stets daraufhin abgeklopft werden, ob sie nicht auch von unliebsamen Gegnern, meist den Rechten, genutzt oder instrumentalisiert wird. Es gilt, den Applaus von der falschen Seite unbedingt zu vermeiden. Nur entscheiden auch hier wieder die Mächtigen und ihre Hofschranzen in den Medien, wann das der Fall ist und Kontaktschuld als ungeschriebener Straftatbestand vorliegt. Und damit zurück zur Ausgangsthese. Am Ende stehen Verhandlungen, da sich die Erkenntnis durchsetzen wird, dass Waffenlieferungen zu kaum mehr als einer Verlängerung des Krieges und des Sterbens beitragen. Wenn dieser Punkt erreicht ist und die Russen immer noch dort stehen, wo sie jetzt schon stehen, werden die Kriegsbegeisterten plötzlich erkennen oder einen Grund erfinden, warum Verhandlungen doch sinnvoll sind. Das ist dann aber keine russische Propaganda mehr.
Doch noch ist es nicht soweit. Der Sturm der Idiotie hält an mit Sätzen wie „Nicht unsere Waffenlieferungen sind es, die den Krieg verlängern, das Gegenteil ist der Fall.“ Und: „Je früher Präsident Putin sieht, dass er sein imperialistisches Ziel nicht erreicht, umso größer ist die Chance auf ein baldiges Kriegsende.“ (Quelle: tagesschau). Ebenso interessant wie dumm ist die hübsch formulierte Äußerung der Außenministerin vor der UN-Vollversammlung in dieser Woche: „Wenn Russland aufhört zu kämpfen, endet dieser Krieg. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, ist es das Ende der Ukraine.“ (Quelle: ZDF). Alles falsch, nachdem bekanntgeworden war, dass schon im März des vergangenen Jahres ein unterschriftsreifes Verhandlungsdokument vorgelegen hat, der Westen die Annahme aber aktiv verweigerte. Wegen Butscha, das die Medien auf Einladung besichtigten durften, was auch Georg Restle einräumen musste, nachdem er anderes behauptete.
Dann zogen sehr viel später etwa 30.000 russische Soldaten aus der Region Cherson über ein paar marode Brücken des Dnipro ab, ohne dass ein Schuss fiel. Wo waren da die Melnyks, Strack-Zimmermanns, Hofreiters und Co. Hätte man die Russen hier, der Kampflogik folgend, nicht vernichtend schlagen müssen, um ein Ende des Krieges schneller herbeizuführen? Hat der deutsche Kindergarten überhaupt eine Ahnung vom Kriegsgeschehen und der spannenden Frage, was Washington diesseits und Moskau jenseits der Front an Eskalation überhaupt zulassen? Natürlich nicht, hier glauben Hinz und Kunz immer noch, das ausgerechnet deutsche Panzer die Wende bringen. Wer das bestreitet ist bloß Erfüllungsgehilfe Putins. Wer für Frieden demonstriert und dabei eine Eskalation bei den Waffenlieferungen für die Ukraine ablehnt, auch. Der Ex-Botschafter ist sich unterdessen sicher, dass er auch noch Kampfjets und Kriegsschiffe in diesem Jahr erpressen wird.
Mehrheit für Diplomatie
Die Deutschen wollen das aber nicht, wie der ARD-Deutschlandtrend im Februar herausfand. Demnach machen sich auch immer mehr Menschen Sorgen, dass Deutschland direkt in den Krieg hineingezogen werden könnte. Einer Mehrheit der Befragten (58 Prozent) gehen die diplomatischen Bemühungen um ein Ende des Krieges zudem nicht weit genug. Und nicht nur Sympathisanten der Linken oder der AfD halten die beschlossenen Panzerlieferungen für einen Fehler, sondern auch eine Mehrheit der FDP-Anhänger. Da muss das Hufeisen, das im Kindergarten immer gern verwendet wird, wohl neu geschmiedet werden. Oliver Maksan schreibt in der NZZ, dass es schon länger eine unheilvolle Tendenz gebe, abweichenden Meinungen nicht einfach nur zu widersprechen, sondern sie für illegitim zu erklären. Aus Gesellschaft soll Gemeinschaft werden. Da hat er recht, auch wenn er die Position von Wagenknecht und Schwarzer selbst für einen Irrtum hält.
Als Zeugen ruft er Bodo Ramelow auf, der sachlich Kritik übte und die Argumente von Wagenknecht und Schwarzer auf diese Weise entkräftet habe. Demnach würde ein dynamischer und positiver Friedensprozess gar nicht entstehen, wenn man eine Waffenruhe hypothetisch annehme. Vielmehr müsse die Ukraine erst in eine Position der Stärke versetzt werden, also mit Waffen, um verhandeln zu können. Das ist eine beliebte wie naive Vorstellung. Denn seit 12 Monaten unterlässt es der Westen ganz bewusst, diese Stärke auch tatsächlich herzustellen. Stattdessen sorgt er allenfalls für ein Gleichgewicht der Kräfte, was wiederum logisch ist, wenn man der Annahme folgt, die einst der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin hinausposaunte. Demnach sei das Ziel eben nicht die Freiheit der Ukraine und ein schnelles Ende der Kämpfe, sondern die Schwächung Russlands, auf das es künftig nicht mehr in der Lage sei, überhaupt noch militärisch aggressiv zu sein. Das lässt sich aber nur durchhalten, solange Material und Personal das mitmachen. Das haben die Russen auch begriffen und ihrerseits auf Abnutzungskrieg umgestellt, weil sie glauben, den durch Masse gewinnen zu können.
Vor einer Woche wurde nun bekannt, dass die Ukraine mehr Munition verschießt, als sich durch Produktion im Westen ersetzen lässt. Wenn also von den kriegsbegeisterten Friedensbefürwortern behauptet wird, dass der Krieg notfalls solange weitergehen müsse, bis Russlands Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr aufgehe, gilt das natürlich auch umgekehrt für den Westen, wo der Punkt offenbar schon längst erreicht ist. Es bleibt also dabei. Ob nun heute verhandelt wird oder erst sehr viel später: am Ergebnis wird sich kaum etwas ändern, das man aber dann hüben wie drüben trotzdem als grandiosen Sieg verkaufen muss, weil man sich in die Rhetorik vom Gewinnen verbissen hat. Der Unterschied ist nur, dass sich noch mehr Tod und noch weitere Zerstörung vermeiden ließen, wenn eine diplomatische Offensive tatsächlich gelänge. Man muss es versuchen und den Kindergarten endlich hinter sich lassen, wo Sachen gesagt werden wie, Putin könne den Krieg ganz schnell beenden, indem der die Ukraine verlässt, ha ha, oder wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, ist es das Ende der Ukraine.
Diskursunfähig, aber mit Restmeinung
Man muss sich dann schon entscheiden. Den Kreml-Herrscher immer als Lügner zu bezeichnen, dem man nichts mehr glauben könne, auch nicht, dass er vielleicht über konkrete Dinge verhandeln würde, aber auf der anderen Seite ihn wiederum beim Wort zu nehmen, wenn er ankündigt, die Ukraine von der Landkarte tilgen zu wollen, weil er seinem Volk vermitteln will, dass sie ein historischer Fehler war, das passt irgendwie nicht zusammen. Es zeigt nur, wie hoffnungslos diskursunfähig auch die Expertenexperten hierzulande sind, die den ganzen Tag im Twitter-Kindergarten mit derlei Geschwafel herumdödeln, weil sie das nächste Talkshow-Ticket lösen wollen, um dann in der Konstellation vier oder fünf gegen einen darüber zu diskutieren, wie es die „Friedensschwurbler“ mit einer Abgrenzung zu den Rechten halten. Es ist so langweilig und unproduktiv, aber stets immer noch so viel Restmeinung übrig, um die Friedensbemühungen anderer Länder gleich mit zu verunglimpfen.
Bildnachweis: Sarah Richter auf Pixabay
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.