Die Hauptstadtmedien sind seit Freitag in Hochform. Gut informiert verkündeten sie den Rücktritt der Bundesverteidigungsministerin bereits drei Tage vor deren offizieller Erklärung, was selbstredend für Empörung auf Seiten jener Journalisten sorgte, deren überschätzter „Handyalarm“ wohl nicht durch eigene Recherche, sondern durch gezielte Hinweise aus Regierungskreisen überhaupt erst auslöste. Es folgte ein Wochenende voller Spekulatius, der jäh in viele Krümel zerbrach.
Doch die Hauptstadtmedien kehren ihren Dreck schnell wieder auf und positionieren sich als durchweg seriöse Berichterstatter. Denn fast alle haben nach eigenen Informationen, wie sie betonen, erfahren, dass keiner der bislang gehandelten Personen, sondern Boris Pistorius neuer Bundesverteidigungsminister wird. Überraschung, aber jeder war natürlich der erste mit der Meldung.
Und zum Abschluss vielleicht noch was Lustiges, die von der Minderleistung der Hauptstadtmedien ein wenig ablenken soll.
Das verwundert nicht. Robin Alexander, die ehemalige Stehlampe im Kanzleramt, als das noch in der Hand von Angela Merkel und der CDU war, hatte auch eine Einschätzung zur Nachfolge parat, allerdings nicht zum Lesen, dafür aber zum Anhören und Anschauen.
Ein politisches Schwergewicht als Option, das hieß beim stellvertretenden Chefredakteur der Welt aber nicht Boris, sondern Hubertus. Knapp daneben, aber immerhin Niedersachsen stimmt. Wolfgang Michal hatte sich in der Wochenzeitung der Freitag übrigens schon letzte Woche als erster über die düpierten Kollegen von heute lustig gemacht, denen es ja nur darum zu gehen scheint, die erste Eilmeldung mit dem Zusatz „aus eigenen Informationen“ abzusetzen.
Die anstehende Kabinettsumbildung dürfte so aussehen: Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) wird neue Bundesverteidigungsministerin, Anton Hofreiter (Grüne) und Michael Roth (SPD) dienen ihr künftig als Staatssekretäre. Im Gegenzug übernimmt Christine Lambrecht (SPD) das Bundesverkehrsministerium, während Volker Wissing (FDP) die Politik verlässt, um Kommunikationschef bei Elon Musk zu werden.
Quelle: Wolfgang Michal in der Freitag
Und nun? Boris Pistorius. Er hat ein Jahr Wehrdienst geleistet, wird gemeldet. Was hätte man wohl geschrieben, wenn es Eva Högl geworden wäre? Sie hat 300 Mrd. Euro Sondervermögen gefordert? Diese sicherlich schon vorbereiteten Porträts landen erst einmal wieder im Archiv. Alle sind sich aber einig. Eine Schonfrist gibt es für den Neuen nicht, denn noch in dieser Woche treffen sich die NATO-Verteidigungsminister in Ramstein. Die Erwartung: Pistorius soll aufrecht unterwürfig sein, also die Forderungen nach mehr Waffenlieferungen gefälligst erfüllen, dabei aber so entschlossen wirken, als sei es seine Idee.
Das Deutschland seine zögerliche Haltung überdenke, sei bitter nötig, heißt es. Nur warum? Wolfgang Michal hat da mal ein paar Fakten recherchiert und herausgefunden.
Laut „Ukraine Support Tracker“ des Kieler Instituts für Weltwirtschaft liegt Deutschland, inklusive seines EU-Anteils, auf Platz 2 hinter den USA. Mit 12,6 Milliarden für militärische, humanitäre und finanzielle Hilfe erbringt Deutschland fast so viele Unterstützungsleistungen wie Großbritannien und Frankreich zusammen. Frankreich, das mit seinen Spähpanzern in deutschen Medien zum großen Vorbild hochgeschrieben wurde, liegt bei den Militärhilfen auf dem Level von Norwegen, die deutsche Unterstützung ist zehnmal höher. Das heißt, die Bundesrepublik steckt viel tiefer im Ukrainekrieg, als sie nach außen kommuniziert, de facto ist sie längst Kriegspartei.
Deutschland liefert schon mehr Waffen als andere Staaten und soll trotzdem noch immer mehr Kriegsgerät (demnächst auch Kampfjets und Kriegsschiffe) zur Verfügung stellen, wird sogar dafür beschimpft, wenn es nicht gleich spurt. Dass deutsche Medien es unterlassen, zu ermitteln, welche Interessen hier für den nötigen Druck auf die Bundesregierung sorgen und warum, spricht Bände. Oder auch nicht, denn eigentlich ist bekannt, spätestens seit einer legendären Anstalt-Sendung vom 29. April 2014 im ZDF, dass deutsche Leitmedien in gewisser Weise die Lokalausgaben der NATO-Pressestelle sind. Warum sind deutsche Panzer, die erst noch monatelang instand gesetzt werden müssten, eigentlich so überlebenswichtig und amerikanische Abrams, die in viel ausreichender Stückzahl sofort zur Verfügung stünden, nicht? Wollen die Amerikaner nicht, dass die Ukraine gewinnt?
Das interessiert die gelben Stramm-Zimmermanns und grünen Kasernenreiters nicht. Sie fantasieren lieber über 3000 Leos herbei, werden dafür aber nicht für vollkommen verrückt erklärt, sondern journalistisch hofiert. Wäre man in Amerika würde man über die deutsche Presselandschaft und deren Mietmäuler aus Politik und Bundeswehruniversitäten vielleicht urteilen, dass diese nicht besonders patriotisch agieren, dafür aber ganz im Sinne amerikanischer Interessen, die ja möglicherweise auch darin bestehen könnten, Russland dazu zu bringen, sein militärisches Potenzial auf dem Waffentestgelände in der Ukraine noch mehr zu offenbaren. Koste es, was es wolle, also vor allem Menschenleben. Man verspricht sich vielleicht neue Erkenntnisse zum allgemeinen Stand der Waffentechnik.
Gilt übrigens auch für die Verbündeten, die ihre Systeme nach Belieben unter realen Kampfbedingungen testen dürfen. Wer erinnert sich noch an die Bayraktar TB2-Drohnen aus der Türkei, die Kiew zu Beginn des Krieges eingesetzt hatte? Tolle Videos auf Twitter wurden verbreitet, da waren Drohnen noch gut und es gab viel Applaus für zerstörtes Gerät und tote Russen. Inzwischen liefert der Iran Drohnen an Russland. Jetzt sind sie natürlich schlecht und menschenverachtend. Richtet sofort ein Sondertribunal ein. Da erscheinen dann aber nicht die Kriegsverbrecher aus den USA, Großbritannien oder der Türkei, um sich für ihre Angriffskriege zu verantworten, auch nicht die Kriegsverbrecher aus Russland, die man dann aber trotzdem in Abwesenheit verurteilen will. Parallel sollte deshalb auch das Völkerstrafrecht angepasst werden, wahrscheinlich um im Sinne einer regelbasierten Ordnung klarzustellen, dass nur Russen dagegen verstoßen können.
Für solche absurden Vorschläge gibt es Lob vom Zentrum für Liberale Moderne, einem dubiosen und mit reichlich öffentlichen Geld finanzierten Think-Tank, bei dem weniger Think, dafür umso mehr Tank im Vordergrund steht.
Das könnte man auf Seiten der potenten Hauptstadtmedien ja mal aufgreifen, um die Blamage bei der Demontage der Verteidigungsministerin wieder wettzumachen. Wie bitte? Ja, Christine Lambrecht hatte wohl recht mit ihrer Bemerkung, dass die monatelange mediale Fokussierung auf ihre Person eine sachliche Berichterstattung und Diskussion kaum zugelassen habe. Mit anderen Worten: Die Medien sind schuld, was diese wiederum empört und irritiert zurückweisen. Die Ministerin habe halt ständig schlechte Bilder geliefert, lach, sogar aus eigener Produktion an Silvester, doppellach. Das wird dem „roten Sheriff“ aus Niedersachsen sicherlich nicht passieren. Doch wer wird jetzt neuer Innenminister in Niedersachsen? Das Spekulationskarussell der gut Unterrichteten dreht sich schon wieder. Es kursieren etliche Namen.
Bildnachweis: Klaus Hausmann auf Pixabay
JAN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.