Christian Drosten ist ein Meister des Konjunktivs. Im Gegensatz zu ihm war es vermutlich leichter, einen Pudding an die Wand zu nageln. Deshalb gab der Chefvirologe der Charité, Deutschlands Chefvirologe, wie er immer noch genannt wird, über zweieinhalb Jahre auch Interviews, in denen er erklärte, was er in anderen Interviews, die er gab, nicht gemeint hatte. Inzwischen deuten andere seine Aussagen landauf landab, wie bei einem himmlischen Messias, der nach Weihnachten zu seinen Schäfchen sprach. Hat er die Pandemie beendet oder nicht, wie beendet man überhaupt eine Pandemie? Es ist so lächerlich.
Christian Drosten ist eine überschätzte Persönlichkeit, die sich mit einem Podcast viel Aufmerksamkeit verschaffte. Regierungssprecherinnen hörten Drosten gern morgens beim Joggen und verkündeten dann nachmittags in der Landespressekonferenz eine darauf aufbauende Regierungspolitik. Allein das ist schon skandalös. Die wissenschaftliche Aufklärungsarbeit des Virologen während der Pandemie ist außerdem überschaubar, manche sagen sogar, von lauter Fehlannahmen und Scheinzusammenhängen gekennzeichnet, aber das soll nicht das Thema sein. Er gilt ja nach Auffassung von Satiriker-Clowns des ZDF, die gern öffentliche Debatten verbieten oder einschränken wollen, als jemand, der einfach Ahnung hat.
Im Tagesspiegel-Interview sagt der Geheiligte laut Überlieferung nun: „Es ging nie darum, die Pandemie aufzuhalten, es war von Anfang an klar, dass das nicht möglich ist. Aber hätte man gar nichts gemacht, dann wäre man in Deutschland in den Wellen bis zu Delta auf eine Million Tote oder mehr gekommen. Also musste man Kontakte reduzieren.“ Das ist in seiner Banalität richtig wie falsch. Denn es zielt wie immer am Kern des Problems vorbei, nämlich der ungeheuerlichen Annahme, es wäre nichts dabei, einer Bevölkerung Maßnahmen aufzuerlegen und dann zu glauben, dass ginge ohne Konflikte ab. Drosten ist deshalb ein furchtbar dummer Mensch, der eben nicht sehr viel Fachwissen hat.
„Er versteht nicht wirklich, welche Folgen Maßnahmen wie Lockdowns haben können. Vielleicht versteht er nicht einmal, warum die Lockdowns gescheitert sind. Sie sind gescheitert, weil die Gesellschaften ungleich sind. Nicht jeder hat die gleichen Möglichkeiten, zu Hause zu bleiben und sich in Sicherheit zu bringen“, sagt der Stanford-Professor Jay Bhattacharya über Drosten. Und auf den Punkt gebracht:
„Die Lockdowns kamen vor allem der Laptop-Klasse zugute, den Menschen, die es sich leisten konnten, so etwas durchzuhalten, ohne ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Der Großteil der Bevölkerung musste arbeiten. Sie mussten rausgehen. Sie mussten ihre Familien ernähren. Es war eine unglaublich ungleiche Politik, die sich auf die Armen, die Schwachen, die Arbeiterklasse und die Kinder enorm nachteilig ausgewirkt hat. Und es war völlig vorhersehbar, wenn man etwas Erfahrung im öffentlichen Gesundheitswesen und in den Sozialwissenschaften hätte. Drosten fehlt diese Erfahrung einfach. Menschen, die anderer Meinung sind als er, als „Pseudo-Experten“ zu bezeichnen – das ist ein Missbrauch seiner Macht.“
Nun gibt es diese Maßnahmen aber schon längst nicht mehr, weshalb auch völlig unverständlich ist, dass gerade jetzt wieder ein Streit um deren Aufhebung tobt, nur weil der Geheiligte mit den schwarzen Locken etwas vom Ende der Pandemie faselte und damit eigentlich nur eines, nämlich ziemlich spät dran ist. Er habe ja nicht gemeint, dass nun alles harmlos geworden sei und man total unvorsichtig werden könne, was offenbar befürchtet wird, wenn die komische Winterreifen- und Winterketten-Regelung des Bundes vorzeitig auslaufen würde, obwohl sie doch eigentlich bis zum 7. April 2023 beschlossen ist.
Scharfe Kritik gibt es zum Beispiel vom Marburger Bund. Erst das Personal anzuflehen, wegen der Infektionswelle mehr zu arbeiten, und nun alle Maßnahmen aufheben zu wollen, sei „an Dreistigkeit kaum zu überbieten“, sagte die Verbandsvorsitzende Susanne Johna dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Diese Äußerung suggeriert, dass der Quatsch, wie Masken in Bussen und Bahnen, eine, wenn immer noch nicht nachgewiesene, dann doch aber besondere Bedeutung bei der Linderung einer Notlage hätte, hier: Überlastung des Gesundheitswesens. Wie kann man nur darauf kommen?
Noch viel schlimmer aber ist, dass die Vorsitzende des Marburger Bundes meint, dass Corona-Maßnahmen nicht wegen der Pandemie selbst, sondern wegen der enormen Belastungen für das Gesundheitswesen in Deutschland eingeführt wurden. Bei Donald Trump sprach man angesichts solcher Äußerungen noch von alternativen Fakten. Bei deutschen Amtsträgern muss man wohl von gefühlten Wahrheiten ausgehen, für die es immer wieder viel Applaus gibt. Aber auch die lassen sich im Gesetz nicht finden. Dort steht, dass Bund und Länder eine Maskenpflicht nur dann anordnen dürfen, „soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit und zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastrukturen erforderlich ist“.
Selbst wenn man den Bezug zu Corona ignorierte und nur den zweiten Teil der Regelung missinterpretierte, also Belastung aufgrund von Corona ersetzte (weil nicht mehr feststellbar) durch Belastung aufgrund irgendwelcher Krankheiten, ergebe die Pflicht ja überhaupt gar keinen Sinn. Sie besteht ja schon und hilft offenkundig nicht. Aber da erfolgt umgehend der Verweis auf den Heiland mit den schwarzen Locken, der einfach gefühlt behauptet, dass es zu einer Million Toten gekommen wäre, wenn man gar nichts gemacht hätte. Selbst wenn das zuträfe, müsste man doch wenigstens das Gesetz ändern, anstatt so zu tun, als bestünde eine Rechtsgrundlage bei Entfall der Grundlage einfach fort. Insofern ist die Frage, wie man eine Pandemie beendet ganz einfach zu beantworten. In Deutschland gar nicht. Man ist einfach zu dumm dazu.
Bildnachweis: HAZ, 28. Dezember 2022, Seite 2 und 3.
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.