Es ist die übliche Reaktion auf einen sprachlichen Fauxpas. Es wird behauptet, das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen, was naturgemäß immer der Fall ist, aber das nur nebenbei. Es ist ein bekannter Versuch der Relativierung. Jedoch ändert auch der Kontext nichts an der missglückten Botschaft. Er macht sie sogar noch schlimmer, aber dazu später mehr. Im Fall Baerbock kommt noch etwas anderes hinzu. Um sich mit dem Auftritt und den Äußerungen der Außenministerin nicht mehr beschäftigen zu müssen, wird der Spot einfach auf den Überbringer der Nachricht gerichtet und dessen Absichten thematisiert. Schnell ist dann von Verdrehungen, Schmutzkampagne und Desinformation die Rede.
Der Zuschauer bekommt den Eindruck, als hätte die Ministerin an der Veranstaltung in Prag gar nicht teilgenommen, sondern sei böswillig in ein Video hineingeschnitten worden. Alles Propaganda sozusagen. Aber das ist so interessant wie eingeschlafene Füße. Natürlich ist es nicht sonderlich schlau in einem Gespräch zu erzählen, dass einem die eigenen Wähler egal seien, aber Arroganz und Verachtung sind Merkmale der Politik. Das ist nichts Neues, sondern erfrischend ehrlich. Baerbock wollte ja in ihrer geistigen Unbeweglichkeit und politischen Dogmatik etwas anderes deutlich machen, und zwar das, was sie schon die ganze Zeit erklärt und daher auch etwas genervt ist, wenn sie immer wieder darauf angesprochen wird.
Versprechen und Enttäuschungen
Ihr Versprechen, die Ukraine so lange wie nötig und im Zweifel für immer zu unterstützen. Daran will und muss sie sich auch messen lassen. Der Kontext zeigt ihre Entschlossenheit, ja Verbissenheit bei der Verfolgung dieses Ziels. Nur, es ist nicht zu erreichen, sie wird die Erwartungen enttäuschen. Das ist die nüchterne Betrachtung. Baerbock ist nur ein Teil der Bundesregierung, deren kommunikativer Gesamteindruck katastrophal ist. Das ist weniger Baerbocks Schuld, als die des Kanzleramtschefs, bei dem ja gewöhnlich sämtliche Fäden zusammenlaufen. Wenn Baerbock unter Hilfe für die Ukraine zum Beispiel mehr Waffenlieferungen in Aussicht stellt, steht dem die Aussage der Verteidigungsministerin entgegen, die erklärt, dass die Bestände der Bundeswehr erschöpft seien.
Die Widersprüche werfen Fragen auf, denen die Öffentlichkeit dann auch nachgeht. Baerbock wird somit immer wieder daran erinnert, dass ihr Versprechen womöglich nur leeres und folgenloses Gerede ist, was wiederum zu den trotzigen und in der Sache unüberlegten Äußerungen der Außenministerin beigetragen haben mag. Sie fühlt sich ihren Worten verpflichtet und will die Ukrainer nicht im Stich lassen, was an sich löblich, im Kern aber auch Ausdruck fehlender politischer Erfahrung ist. Die einmal getroffene Festlegung wird zum Problem. Denn nichts ist schwerer als der Rückzug aus einer unhaltbaren Position.
Sichtbar wird das beispielsweise an ihrer umjubelten Haltung Russland gegenüber. Über das erste Sanktionspaket direkt nach dem Einmarsch in die Ukraine sagte sie. „Das wird Russland ruinieren.“ Diese ebenfalls missglückte Formulierung wählte sie nicht, weil es besonders harte Maßnahmen waren, sondern um sich genervt gegen den Vorwurf zu verteidigen, nicht weit genug gegangen zu sein. Damals stand die Abkoppelung vom Bankensystem Swift im Raum. Die Bundesregierung lehnte das zu diesem Zeitpunkt noch ab. Es folgten allerdings zahlreiche weitere Sanktionspakete, die zeigen, dass die erhofften Wirkungen eben nicht eintreten.
Schlechtes Timing
Das wirft wiederum die Frage auf, in welcher Form die Sanktionen dann eigentlich die Ukraine unterstützen. Im Augenblick ist es ja so, dass der Krieg mit unverminderter Härte weitergeht, hierzulande alles teurer wird, die Wirtschaft zunehmend unter Druck gerät, dagegen der russische Gazprom-Konzern einen Rekordgewinn nicht trotz, sondern genau wegen der Sanktionen einfährt (Sagenhafte Gewinne machen übrigens auch US-Unternehmen). Das, was Russland ruinieren soll, bewirkt also das genaue Gegenteil. Das nervt vermutlich die Außenministerin. Doch statt einzusehen, möglicherweise falsch gelegen zu haben, wünscht sie sich jetzt um so mehr ein „strategisches Scheitern“ Russlands. Dafür müsse ein hoher Preis eben hingenommen werden. Für Entlastungen werde ja auch gesorgt, ist aber nicht ihre Baustelle.
Stimmt, das übernehmen Scholz, Habeck und Lindner, die die Folgen einer konfrontativen Außenpolitik nun innenpolitisch abfedern müssen. Sie sind gezwungen Tatendrang zu zelebrieren und mit reichlich Rhetorik wie „wuchtig“ und „maßgeschneidert“ sehr dick aufzutragen, und zwar in dem Moment, wo erste Maßnahmen wie Tankrabatt und 9-Euro-Ticket ohne erkennbaren Grund gerade auslaufen sowie Bescheide der Energieversorger mit höheren Abschlägen die Verbraucher erreichen. Das Timing ist dermaßen katastrophal, dass die Stimmung angesichts der erneuten Teuerungswelle in der Bevölkerung kippt. Dort schwindet der Eindruck, dass wuchtigen Worten tatsächlich auch zielgenaue Taten folgen werden. Vielmehr ist ein parteipolitisches Feilschen um kostenintensive Maßnahmen zu beobachten, während kürzlich erst noch unter dem Stichwort „Zeitenwende“ ein 100 Milliarden Euro Sondervermögen für Verteidigung und Aufrüstung geschaffen wurde.
Baerbock muss also gar nicht erklären, dass ihr die Wähler egal sind, sie muss deshalb auch nicht aus dem Kontext gerissen werden, die Politik der Ampelkoalition spricht für sich.
Bildnachweis: Screenshot aus Übertragung Forum 2000 in Prag, 31. August 2022.
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.