Fehlender Kontext? Politik spricht für sich!

Geschrieben von: am 02. Sep 2022 um 8:51

Es ist die übliche Reaktion auf einen sprachlichen Fauxpas. Es wird behauptet, das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen, was naturgemäß immer der Fall ist, aber das nur nebenbei. Es ist ein bekannter Versuch der Relativierung. Jedoch ändert auch der Kontext nichts an der missglückten Botschaft. Er macht sie sogar noch schlimmer, aber dazu später mehr. Im Fall Baerbock kommt noch etwas anderes hinzu. Um sich mit dem Auftritt und den Äußerungen der Außenministerin nicht mehr beschäftigen zu müssen, wird der Spot einfach auf den Überbringer der Nachricht gerichtet und dessen Absichten thematisiert. Schnell ist dann von Verdrehungen, Schmutzkampagne und Desinformation die Rede.

Der Zuschauer bekommt den Eindruck, als hätte die Ministerin an der Veranstaltung in Prag gar nicht teilgenommen, sondern sei böswillig in ein Video hineingeschnitten worden. Alles Propaganda sozusagen. Aber das ist so interessant wie eingeschlafene Füße. Natürlich ist es nicht sonderlich schlau in einem Gespräch zu erzählen, dass einem die eigenen Wähler egal seien, aber Arroganz und Verachtung sind Merkmale der Politik. Das ist nichts Neues, sondern erfrischend ehrlich. Baerbock wollte ja in ihrer geistigen Unbeweglichkeit und politischen Dogmatik etwas anderes deutlich machen, und zwar das, was sie schon die ganze Zeit erklärt und daher auch etwas genervt ist, wenn sie immer wieder darauf angesprochen wird.

Versprechen und Enttäuschungen

Ihr Versprechen, die Ukraine so lange wie nötig und im Zweifel für immer zu unterstützen. Daran will und muss sie sich auch messen lassen. Der Kontext zeigt ihre Entschlossenheit, ja Verbissenheit bei der Verfolgung dieses Ziels. Nur, es ist nicht zu erreichen, sie wird die Erwartungen enttäuschen. Das ist die nüchterne Betrachtung. Baerbock ist nur ein Teil der Bundesregierung, deren kommunikativer Gesamteindruck katastrophal ist. Das ist weniger Baerbocks Schuld, als die des Kanzleramtschefs, bei dem ja gewöhnlich sämtliche Fäden zusammenlaufen. Wenn Baerbock unter Hilfe für die Ukraine zum Beispiel mehr Waffenlieferungen in Aussicht stellt, steht dem die Aussage der Verteidigungsministerin entgegen, die erklärt, dass die Bestände der Bundeswehr erschöpft seien.

Die Widersprüche werfen Fragen auf, denen die Öffentlichkeit dann auch nachgeht. Baerbock wird somit immer wieder daran erinnert, dass ihr Versprechen womöglich nur leeres und folgenloses Gerede ist, was wiederum zu den trotzigen und in der Sache unüberlegten Äußerungen der Außenministerin beigetragen haben mag. Sie fühlt sich ihren Worten verpflichtet und will die Ukrainer nicht im Stich lassen, was an sich löblich, im Kern aber auch Ausdruck fehlender politischer Erfahrung ist. Die einmal getroffene Festlegung wird zum Problem. Denn nichts ist schwerer als der Rückzug aus einer unhaltbaren Position.

Sichtbar wird das beispielsweise an ihrer umjubelten Haltung Russland gegenüber. Über das erste Sanktionspaket direkt nach dem Einmarsch in die Ukraine sagte sie. „Das wird Russland ruinieren.“ Diese ebenfalls missglückte Formulierung wählte sie nicht, weil es besonders harte Maßnahmen waren, sondern um sich genervt gegen den Vorwurf zu verteidigen, nicht weit genug gegangen zu sein. Damals stand die Abkoppelung vom Bankensystem Swift im Raum. Die Bundesregierung lehnte das zu diesem Zeitpunkt noch ab. Es folgten allerdings zahlreiche weitere Sanktionspakete, die zeigen, dass die erhofften Wirkungen eben nicht eintreten.

Schlechtes Timing

Das wirft wiederum die Frage auf, in welcher Form die Sanktionen dann eigentlich die Ukraine unterstützen. Im Augenblick ist es ja so, dass der Krieg mit unverminderter Härte weitergeht, hierzulande alles teurer wird, die Wirtschaft zunehmend unter Druck gerät, dagegen der russische Gazprom-Konzern einen Rekordgewinn nicht trotz, sondern genau wegen der Sanktionen einfährt (Sagenhafte Gewinne machen übrigens auch US-Unternehmen). Das, was Russland ruinieren soll, bewirkt also das genaue Gegenteil. Das nervt vermutlich die Außenministerin. Doch statt einzusehen, möglicherweise falsch gelegen zu haben, wünscht sie sich jetzt um so mehr ein „strategisches Scheitern“ Russlands. Dafür müsse ein hoher Preis eben hingenommen werden. Für Entlastungen werde ja auch gesorgt, ist aber nicht ihre Baustelle.

Stimmt, das übernehmen Scholz, Habeck und Lindner, die die Folgen einer konfrontativen Außenpolitik nun innenpolitisch abfedern müssen. Sie sind gezwungen Tatendrang zu zelebrieren und mit reichlich Rhetorik wie „wuchtig“ und „maßgeschneidert“ sehr dick aufzutragen, und zwar in dem Moment, wo erste Maßnahmen wie Tankrabatt und 9-Euro-Ticket ohne erkennbaren Grund gerade auslaufen sowie Bescheide der Energieversorger mit höheren Abschlägen die Verbraucher erreichen. Das Timing ist dermaßen katastrophal, dass die Stimmung angesichts der erneuten Teuerungswelle in der Bevölkerung kippt. Dort schwindet der Eindruck, dass wuchtigen Worten tatsächlich auch zielgenaue Taten folgen werden. Vielmehr ist ein parteipolitisches Feilschen um kostenintensive Maßnahmen zu beobachten, während kürzlich erst noch unter dem Stichwort „Zeitenwende“ ein 100 Milliarden Euro Sondervermögen für Verteidigung und Aufrüstung geschaffen wurde.

Baerbock muss also gar nicht erklären, dass ihr die Wähler egal sind, sie muss deshalb auch nicht aus dem Kontext gerissen werden, die Politik der Ampelkoalition spricht für sich.


Bildnachweis: Screenshot aus Übertragung Forum 2000 in Prag, 31. August 2022.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Jörg Wiedmann  September 2, 2022

    Ehrlichweise muss man zugeben das unsere (H)ampelmänner:innen zu einem gewissen Teil zu diesem Handeln „genötigt“ werden. Die USA geben die Schlagzahl vor und unsere Regierung folgt ohne zu murren.
    Das die Sanktionen hauptsächlich Europa schaden und die USA kaum betreffen ist doch völlig im Sinne der Amerikaner. Schwaches Europa, schwaches Russland = win-win.
    Das die vom Völkerecht kommende Frau Baerbock dieses Amt niemals würde ausfüllen können war doch schon vor ihrer Ernennung klar.
    Genau so klar war das Herr Habeck als „Superminister“ für Wirtschaft, Energie und Klimagedöns heillos überfordert ist. Die Gasumlage hat dies ja recht eindeutig gezeigt.
    Und über unseren dementen Bundeskanzler Scholz, der schon als Bürgermeister von Hamburg nur schwer ertragbar war (G20 Krawalle usw) ist jedes Wort überflüssig.
    Außer schlumpfigem Grinsen -das inzwischen mehr nervt als die Merkelraute- ist da nur ein schwarzes Loch.

  2. Dieter  September 3, 2022

    „Ihr Versprechen, die Ukraine so lange wie nötig und im Zweifel für immer zu unterstützen. Daran will und muss sie sich auch messen lassen. “

    Wie wollen wir das messen und an wen ?
    Aus demokratischer Sicht, also Volksherrschaft wäre das die Unterstützung der Interssen der Mehrheit der Bevölkerung.
    Für den Komiker, der jetzt Präsident ist, stimmten 2019 73,2 % und bei einer Wahlbeteiligung von 61,4 %.
    Das macht immer fast 45 % aller Wahlberechtigten !

    Die erste Bilanz
    „Ein Jahr nach der Selenskyj-Wahl: Die ukrainische Ernüchterung

    Vor einem Jahr wurde Wolodymyr Selenkyj von den Ukrainern ins Präsidentenamt gewählt. Heute regiert er weitgehend mit den gleichen Methoden. Dabei wählten ihn viele, um mit dem alten System abzurechnen.
    .
    .
    https://www.dw.com/de/ein-jahr-nach-der-selenskyj-wahl-die-ukrainische-ern%C3%BCchterung/a-53196506

    Dann die Kommunalwahl
    „Kommunalwahl wird zur Schlappe für Präsident Selenskyj“
    https://www.dw.com/de/kommunalwahl-wird-zur-schlappe-f%C3%BCr-pr%C3%A4sident-selenskyj/a-55395503

    mehr unter
    „Lokalwahlen Ukraine: Herbe Niederlage für Selenskyj
    Analyse

    Am 25. Oktober fanden in der Ukraine Kommunalwahlen statt. Trotz Missbrauchs seines Amtes für die Wahlkampagne seiner Partei erlitt die Regierungspartei des Präsidenten Selenskyj eine verheerende Niederlage
    .
    .
    … zum ersten Mal unter 30%. Keines seiner Versprechen konnte er erfüllen: vom Frieden im Osten kann keine Rede sein, vom Wirtschaftswachstum noch weniger. Also brauchte der ukrainische Präsident einen Erfolg. Das Ergebnis ist jedoch eine herbe Niederlage für den Fernsehpräsidenten.

    Zunächst ist die rekordverdächtig niedrige Wahlbeteiligung anzumerken. Nur 37% der Wähler*innen kamen zu Wahlurnen – so wenig wie nie in der Geschichte der Ukraine. Erstaunlicherweise war nicht die Covid19-Pandemie der Grund für die niedrige Beteiligung. Nichtwähler*innen erklärten ihr Fernbleiben in den Umfragen nur zu 10% mit der Pandemie. Wichtigere Gründe waren Apathie und Mistrauen gegen die „da oben“.
    .
    .
    https://www.boell.de/de/2020/10/28/lokalwahlen-ukraine-herbe-niederlage-fuer-selenskyj

    Die Bevölkerung der Ukraine sollten wir immer unterstützen !
    Diejenigen die nichts mit dem Mehrheit der ukarinischen Bevölkerung im Sinn haben, sollten wir nie unterstützen !