Derzeit gibt es eine Diskussion darüber, ob man Nord Stream 2 vielleicht doch in Betrieb nehmen sollte. Immerhin, das ist positiv und eine Rückkehr zu realpolitischer Abwägung. Denn es macht ja keinen Sinn, eine Pipeline zu sperren und zugleich betteln, dass durch die andere mehr fließen möge, schreibt Nikolaus Blome im Spiegel. Die Gegner eines solchen Vorschlags argumentieren hingegen, dass sich dadurch ja nichts ändere. Es wäre nur ein weiterer Strang, durch den Putin kein Gas liefere. Das kann so sein, aber darum geht es ja gar nicht.
Entscheidend ist doch, dass die deutsche Bundesregierung die Folgen ihrer Sanktionspolitik durch die eigene Bevölkerung bezahlen lassen will. Das ist ein unbestreitbar riskantes Manöver, auch weil immer behauptet wurde, dass die Sanktionen nicht mehr Schaden hierzulande anrichten dürfen als sie in der Auseinandersetzung mit Russland bringen. Klar ist, beide Seite verlieren, doch wer kann das länger aushalten? Diejenigen, die meinen, man müsse Nord Stream 2 geschlossen halten, vielleicht mal einen Winter frieren und damit gegenüber Putin Stärke demonstrieren, blenden den ideologiegetriebenen innenpolitischen Umgang mit den Folgen der Gas- und Versorgungskrise völlig aus.
Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte bei der Vorstellung der Gasumlage, dass die Alternative ein Zusammenbruch gewesen wäre. Ist das so? Natürlich nicht. Die Wahrheit ist, dass sich Teile der Bundesregierung nur darauf verständigt haben, die Schuldenbremse wieder einzuhalten und zur Haushaltsdisziplin zurückzukehren. Immer mehr öffentliche Schulden würden angeblich die Inflation antreiben, so behauptet es jedenfalls der Bundesfinanzminister. Daher gibt es auch keine Fortsetzung von günstigen Fahrscheinen in Zügen oder Tankrabatten. Diese Maßnahmen haben ja alles teurer… Ach nein. Die Gasumlage wiederum sorgt ganz eindeutig für eine weitere Dynamik bei der Teuerung, die doch eigentlich vermieden werden soll.
Die Ampel will aber trotzdem die Inflation mit höheren Gaspreisen bekämpfen. Gleichzeitig erklärt der Finanzminister wahrheitswidrig, dass man die Schuldenbremse ja nicht ständig aussetzen könne, dabei ist genau das im Grundgesetz klar geregelt. Dass einem angesichts der finanzpolitischen Borniertheit, der auch kein Krieg etwas anhaben kann, die Gefolgschaft flöten geht, und man vorsichtshalber Untergangsszenarien bemühen muss, ist nicht verwunderlich. Das heißt aber auch, dass sich die Frage, wer länger Stärke zeigen und die Folgen aushalten kann, eigentlich gar nicht stellt. Denn wer die eigene Bevölkerung aus rein parteipolitischen Gründen quält, obwohl er es gar nicht müsste, wird auch nicht dadurch überzeugen, wenn er einem Putin die alleinige Schuld dafür gibt.
Denn Russland ist ja nicht verantwortlich dafür, dass die Bundesregierung eine Umlage erfindet, die Gaskunden ungleich behandelt, das Geld auch noch von den Stadtwerken vor Ort eintreiben lässt und hinterher treuherzig erklärt, über Maßnahmen an anderer Stelle wieder für Entlastung bei den Bürgern sorgen zu wollen, obwohl doch bereits klar ist, dass daraus nicht viel werden kann, wenn die Schuldenbremse wieder zum Maß aller Dinge wird. Der Staat müsse seine Ausgaben und Schulden reduzieren, sagt Christian Lindner, weil das die Ursachen der Inflation bekämpft. Nur blöd, wenn so eine Gasumlage, die ja die Inflation bekämpft, auch noch dazu führt, dass zusätzlich Mehrwertsteuer erhoben werden muss. Aber der Finanzminister kämpft in Brüssel für eine Ausnahme.
Mehrwertsteuer auf staatlich erhobene Abgaben treibt die Preise in die Höhe und stößt auf zunehmenden Widerstand in der Bevölkerung, besonders in der aktuellen, außergewöhnlichen Situation.
Also doch eine außergewöhnliche Situation? Hätte die EU-Kommission Humor, würde sie auf das Grundgesetz verweisen, das in außergewöhnlichen Situationen eine Ausnahme von der Schuldenbremse vorsieht, aber so progressiv-lustig arbeitet Brüssel leider nicht. Es stellt sich allerdings noch eine andere Frage. Warum ist die Mehrwertsteuer nur bei der staatlich erhobenen Gasumlage ein Belastungsproblem und bei den steigenden Preisen für Grundnahrungsmittel, infolge der Gasumlage, hingegen nicht? Mit anderen Worten: Dass Putin lügt, reicht eben nicht, wenn die Bundesregierung der eigenen Bevölkerung permanent die Unwahrheit sagt. Sie erneut für eine politisch verursachte Krise bezahlen zu lassen, bleibt dann ein riskantes Manöver.
Bildnachweis: Screenshot, Pressekonferenz zur Gasumlage vom 15. August 2022.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.