Putin verstünde nur die Sprache der Härte, heißt es von Politikern, die es ablehnen, einen Konflikt „einzufrieren“. Man müsse weitermachen wie bisher und die Menschen hierzulande vielmehr auf massive Wohlstandsverluste einstellen. Aber was ist da jetzt die Botschaft? Wir schwächen uns selbst, um hart zu sein? Das ist doch irgendwie irre.
Selbst aus der Logik der Konfrontation heraus, ergibt es ja gar keinen Sinn, sich wirtschaftlich selbst zu schwächen. Aber genau das tut die Bundesregierung, indem sie auf der einen Seite erklärt, Putin verstünde nur die Sprache der Härte, andererseits aber die eigene Bevölkerung auf Verzicht und Energiearmut einstimmt. Wo sollen Härte und Stärke da eigentlich herkommen, wenn schon jetzt die größte Sorge darin besteht, bald mit Volksaufständen im eigenen Land konfrontiert zu sein?
Diesen hellen Gedanken hatte die Außenministerin, als sie mit der kanadischen Regierung über die Rückgabe einer Turbine für Nord Stream 1 verhandelte. Hoppla, die Unterstützung für die Ukraine könnte rasch enden, wenn man sich selber immer weiter schwächt, so die Botschaft, die sie im Nachhinein bei den Kolleginnen des RND als „vielleicht etwas überspitzt“ bezeichnete. Vermutlich, weil ihr die Widersprüchlichkeit selbst auffiel. Denn wenn es so ist, dass die eigene Schwächung dem Ziel, Putin zu schaden, entgegensteht, ist es ja auch falsch, die Sanktionen überhaupt aufrechtzuerhalten.
Doch genau das passiert derzeit. Nahezu täglich bereiten vor allem die grünen Minister in dieser Regierung die Bevölkerung auf drastische Preissteigerungen vor, die aber nicht als Folge der Sanktionen und damit der eigenen Politik betrachtet werden, sondern als Folge eines Angriffs Putins, der die Energieversorgung grundlos als Waffe einsetze und damit ein „perfides Spiel“ betreibe. In dieser Logik wird eine kaum aufzuhaltende Spaltung der Gesellschaft kurzerhand Russland in die Schuhe geschoben. Die Durchhalteparolen sind dabei nur Kosmetik.
„Ja, Putin hat das Gas, aber wir haben die Kraft“, sagt Wirtschaftsminister Habeck, dem auf seiner Sommertour bereits reichlich Gegenwind von Betroffenen ins Gesicht geblasen wird.
Unberechtigt ist das nicht, denn die Bundesregierung könnte ja anders reagieren, was Habeck selbst andeutete, als er sagte, dass man dem Kreml die Ausrede mit der Turbine nehmen müsse. Wenn das als Antwort statthaft sein soll, ist es die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ebenfalls. Doch von dieser Lösung will die Bundesregierung nichts wissen. Das würde ihrer Ansicht nach nichts ändern und die Abhängigkeit von russischem Gas noch erhöhen, so Habeck. Putin hätte dann auch sein Ziel erreicht, Sanktionen zu brechen (welche eigentlich?). „Das wäre das Hissen der weißen Fahne in Deutschland und Europa. Das sollten wir auf keinen Fall tun.“
Wo ist da die Logik?
Falls die Unabhängigkeit von russischem Gas je gelingen sollte, könnte man die Leitung doch wieder abschalten. Ist es nicht viel lächerlicher, auf die Lieferung des zugesagten und immer noch wichtigen russischen Gases durch Nord Stream 1 zu bestehen, einen Transport durch die gefüllte und längst einsatzbereite Leitung Nord Stream 2 aber zu verweigern? Und was soll der Verweis auf eine noch höhere Abhängigkeit, die dadurch entstehen würde? Ist es nicht Kern der Energiewende, auf mehr Gaskraftwerke zu setzen, um beispielsweise aus der Kohleverstromung auszusteigen? Im Koalitionsvertrag der Ampel steht.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das verschärfte 2030-Klimaziel sowie die kommende und von uns unterstützte Verschärfung des EU-Emissionshandels schränken die Spielräume zunehmend ein. Das verlangt den von uns angestrebten massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Errichtung moderner Gaskraftwerke, um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken.
Wo genau sollte denn das billige Gas eigentlich herkommen?
Genauso unsinnig ist es, auf russisches Öl vorzeitig zu verzichten, obwohl die Versorgung über Pipelines per EU-Beschluss von den Sanktionen explizit ausgenommen worden ist, wichtige Arbeitsplätze einer Region also leicht erhalten werden könnten. Doch stattdessen produziert man ohne Not sehr viel Unsicherheit, nimmt Proteste und möglicherweise auch Unruhen in Kauf. Warum, wo man doch bereits weiß, dass die Begründung, Putin sei an allem schuld, dort wie anderswo bei den Betroffenen nicht zieht. Selbst das Ziel, der Ukraine weiter zu helfen, wird meilenweit verfehlt.
Denn die Unterstützung für den Regierungskurs nimmt beständig ab und der Protest gleichsam zu. Will man die Menschen, die sich dann daran beteiligen, etwa allesamt zu Rechtsextremisten erklären?
Ob nun Öl oder Gas, Deutschlands Haltung im Wirtschaftskrieg ist befremdlich. Habeck versucht das so zu begründen. „Natürlich ist das vor allem eine Prinzipien- oder Wertentscheidung, die Freiheit, Frieden, Rechtsstaatlichkeit, Völkerrecht höher wertet als bestimmte ökonomische Verluste.“ Damit tut der Minister so, als sei seine Politik besonders edel. Doch welcher Frieden wird da eigentlich gewahrt, wenn im globalen Süden die Menschen nun ohne Strom auskommen müssen, weil Länder wie Deutschland plötzlich gigantische Mengen Flüssiggas beanspruchen? Und welche Freiheit wird verteidigt, wenn die Menschen hierzulande ihre Jobs und Einkommen verlieren oder statt spürbare Entlastung zu erhalten mit Energiespartipps abgespeist werden?
Achillesferse der Ampel
You’ll Never Walk Alone, hat der Kanzler gesagt, um davon abzulenken, dass er von seinem Finanzminister daran gehindert worden war, Einzelheiten eines Entlastungsplans für Geringverdiener vorzustellen. Der Chef der FDP dementierte zwar diese Version der Geschichte, bestätigte den Vorgang dann aber doch mit einem Abwurf der unter Neoliberalen allseits beliebten Nebelkerze „kalte Progression“. Der Plan, und das ist ihm besonders wichtig, wäre vereinbar mit der Schuldenbremse.
Das ist die Achillesferse dieser Regierung. Um die Koalition aus SPD, Grünen und der FDP überhaupt bilden zu können, musste die Frage der Staatsfinanzen möglichst unkonkret gehalten werden. Damit gelang auf dem Papier ein Spagat zwischen jenen, die an der Schuldenbremse unbedingt festhalten wollen (FDP) und jenen, die sie mehr oder weniger für volkswirtschaftlichen Unfug halten (Grüne und SPD). Ein „eingefrorener Konflikt“, könnte man sagen, um die Kanzlerwahl nicht zu gefährden.
Wenn Finanzminister Christian Lindner nun aber so tut, als würden mit der Schuldenbremse im Grundgesetz unumstößliche Rahmenbedingungen gesetzt, dann ist das nur die halbe Wahrheit.
Es fehlt mindestens der Verweis auf den Ausnahmefall, der ebenfalls unumstößlicher Bestandteil der Verfassungsrealität ist. So ist im Grundgesetz ausdrücklich die Aussetzung der Schuldenbremse im Krisenfall vorgesehen und geregelt. Es wird ja auch schon im dritten Jahr infolge so praktiziert. Zu behaupten, dieser Ausnahmefall sei irgendwie verfassungswidrig, wenn er auch ein viertes oder fünftes Mal durch den Bundestag festgestellt würde, ist daher klar falsch.
Klassenkampf von oben
Der Finanzminister müsste dem Parlament und der Öffentlichkeit vielmehr erklären, warum ein Krisenfall gerade nicht mehr besteht, obwohl es doch an immer mehr Ecken und Enden brennt und der Wille zum Frieden weiterhin fehlt. Stattdessen betreibt er Irreführung, weil er als FDP-Vorsitzender eben qua Amt auch noch mit der Schuldenregel verheiratet ist. Das Ablenkungsmanöver Einkommenssteuer oder der Vorschlag Gas-Sparbonus für Hartz-IV-Empfänger eignet sich dabei auch prima für die Koalitionspartner, um sich zu profilieren. Ein Geschenk, um den eigentlichen Klassenkampf von oben immer mehr in den Hintergrund zu drängen.
So fährt Niedersachsens Ministerpräsidenten Stephan Weil, der im Oktober wiedergewählt werden will, gerade übers flache Land, wie der Cicero in seiner neuen Ausgabe schreibt. Er wird zitiert mit den Worten. „Da wohnt die Mittelschicht, die typischerweise ihr Haus abbezahlt hat und bei der das Geld reicht. Wir können denen bei den explodierenden Energiekosten nicht sagen: Damit müsst ihr jetzt klarkommen!“ Er wolle, dass der Staat, ähnlich wie in der Corona-Krise, die Haushalte entlastet. Eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse stehe für ihn außer Frage. Interessant, da sich hier wieder zeigt, um wen sich die Politik eigentlich kümmern möchte.
Der ärmere Teil der Bevölkerung ist es jedenfalls nicht. Die kamen auch schon vor den steigenden Kosten nicht klar, was die SPD aber kaum kümmerte, egal mit wem sie gerade regierte. Nun trifft es den allerletzten Rest der verbliebenen Kernwählerschaft, die in der Corona-Krise noch damit leben konnte, dass öffentliche Spielplätze gesperrt wurden, weil sie selbst über ausreichend Grünfläche mit Spielgeräten verfügen. Nun explodieren aber die Energiekosten und der Ampelstreit in Berlin könnte dem drögen Weil das Amt kosten und zwar dann, wenn „die Bürger die ersten Rechnungen ihrer Versorger öffnen, bevor die Regierung erklärt hat, wie sie das kompensieren wird.“
Das Land steuert auf eine soziale Vollkatastrophe zu, aber das muss wohl sein, um die erforderliche Härte nach außen endlich zeigen zu können. Aber…
Es ist kein Zufall, dass fast alle ihre Appelle mit einem „Wir“ formulieren. Die Ansprache verschleiert, dass diejenigen, die angesichts der Krise mehr Arbeit einfordern, für ihren Wohlstand, den sie als Wohlstand aller ausgeben, nie selbst gearbeitet haben. Dass dieser Wohlstand schon immer von jenen erarbeitet wurde, von denen die Profiteure sich jetzt auch noch mehr Überstunden, eine längere Arbeitswoche und eine spätere Rente wünschen.
Gleichzeitig sind die Wohlhabenden und ihre Repräsentanten jene, die weitere Sozialpakete und höhere Steuern blockieren, mit denen tatsächlich Krisenfolgen für die Allgemeinheit abgefedert werden könnten.
Das ist wie wenn zwei Freunde regelmäßig essen gehen und derjenige, der fast nichts vom Essen abbekommt, jedes Mal die Rechnung bezahlt. Und wenn die Preise im Restaurant steigen, fordert der, der nie bezahlt, den, der immer bezahlt, auch noch auf, mehr zu arbeiten.
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JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.