Die EU und Deutschland haben sich mit ihren Sanktionen über alle Maßen verhoben. Um die Energieversorgung aufrechtzuerhalten, ist inzwischen von einer gerechten Verteilung der noch ankommenden Lieferungen die Rede. Doch warum sollten Länder wie Ungarn, die bei den Sanktionen gegen Russland eine Ausnahme für Öl aushandelten, da mitmachen, nachdem man sie als Putins Agenten beschimpft hat?
In Europa ist mal wieder von Solidarität die Rede, die man benötige, wenn eine physische Knappheit an wichtigen fossilen Energien tatsächlich eintrete. Dass es dazu kommen wird, gilt unter den Regierungen ausweislich ihrer Äußerungen als wahrscheinlich. Seit Nord Stream 1 gewartet wird, überschlagen sich auch die Meldungen über Horrorszenarien, dabei hieß es von Seiten der Staatschefs immer, man sei bestens auf die Auseinandersetzung mit Russland vorbereitet, sechs Sanktionspakete würden das belegen. Oder auch nicht. Denn der Erfolg der wirtschaftlichen Bestrafung ist kaum erkennbar.
Unter der Zwischenüberschrift Die Sanktionen beginnen zu wirken in seinem Gastbeitrag für die FAZ gelingt es auch dem Bundeskanzler nicht, die These zu untermauern. Vielmehr zählt er die Folgen der Sanktionspolitik auf, von denen die Menschen in Deutschland und Europa immer stärker betroffen sind…
Wir werden einen langen Atem brauchen. Schon jetzt leiden viele Bürgerinnen und Bürger unter den Auswirkungen des Krieges, vor allem unter den hohen Preisen für Benzin und Lebensmittel. Mit Sorge blicken viele auf ihre nächsten Rechnungen für Strom, Öl oder Gas. Finanzielle Hilfen von weit mehr als 30 Milliarden Euro hat die Bundesregierung daher zur Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht. Die unterschiedlichen Maßnahmen beginnen nun zu wirken.
Also geht es um Maßnahmen, die wirken, weil die Sanktionen ihr Ziel verfehlen. Die Einstellung der Kampfhandlungen und ein Rückzug Russlands aus der Ukraine, das sollte damit erreicht werden. Außerdem sollte Putin einen hohen Preis für seinen Angriffskrieg zahlen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Krieg geht mit unverminderter Härte weiter und Europa fürchtet um seine Energieversorgung. Der Kanzler jammert: „Wenn Putin die Gaslieferungen drosselt, setzt er Energie als Waffe ein, auch gegen uns. Das hat nicht einmal die Sowjetunion in den Zeiten des Kalten Krieges getan.“
Blut, Schweiß und Tränen
Nur was hatten er und seine Strategen eigentlich erwartet, würde Putin tun, als Deutschland im Verbund mit Europa ankündigte, auf russisches Öl und Gas bald verzichten zu wollen oder als Deutschlands Wirtschaftsminister gar erklärte, das Land verfüge über genügend Reserven und sei dank einer Diversifizierungsstrategie bereits dabei, neue Bezugsquellen zeitnah zu erschließen?
Erst der Bückling in Katar, der nichts als jede Menge Wartezeit einbrachte – frühestens 2026 oder 2027 könnte verflüssigtes Gas von dort kommen – und nun hofft EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf mehr Erdgas aus Aserbaidschan. Aserbaidschan-Connection, CDU und CSU, war da nicht mal was? Egal, die Moral ist wieder am Allerwertesten, Hauptsache nicht Russland. Wobei Moskau diese Region ebenfalls als Einflusssphäre betrachtet, eine Steigerung der Lieferkapazitäten aber auch ohne diesen Verweis auf ein mögliches Konfliktpotenzial schwerlich zu bewerkstelligen wäre. Um die Kapazität der Gas-Pipelines zu erhöhen, müsste es erhebliche Investitionen geben, schreibt der Cicero. „Die TANAP (Transanatolische Erdgaspipeline) beispielsweise wurde mit einer Kapazität von 16 Milliarden Kubikmetern pro Jahr konzipiert, während die TAP (Transadriatische Pipeline) eine Kapazität von zehn Milliarden Kubikmetern pro Jahr hat. Zum Vergleich: Die russischen Gaslieferungen in die EU-Länder belaufen sich auf 175 bis 200 Milliarden Kubikmeter pro Jahr.“
Lustigerweise könnte Russland mit Verweis auf die Teheraner Konvention (das müssen die Grünen Baerbock und Habeck jetzt mal googeln) sogar Umweltbedenken anmelden, wenn Anrainerstaaten, warum auch immer beabsichtigen, eine Pipeline durch das Kaspische Meer zu verlegen. Und da der Westen zwar auch nicht das Völkerrecht achtet, dagegen aber aus derzeit angesagten Gründen Umweltabkommen für außerordentlich maßgebend hält, wird er nichts unternehmen, um Vereinbarungen dieser Art zu unterlaufen. Spaß beiseite: Schnell wird es auch hier nicht gehen, die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen gegen eine andere zu ersetzen, was dann eben zu einem Szenario führt, das Blut-, Schweiß-, und Tränen-Reden schon jetzt erforderlich macht. Der Kanzler tut das und orientiert sich in seiner Not am Merkel-Sprech. In seinem Gastbeitrag für die FAZ erklärt er…
Wir müssen zusammenhalten und uns unterhaken, so wie wir es hierzulande im Rahmen der Konzertierten Aktion zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften, Wissenschaft und politischen Entscheidungsträgern verabredet haben. Dann werden wir, davon bin ich überzeugt, stärker und unabhängiger aus der Krise hervorgehen, als wir hineingegangen sind. Das ist unser Ziel!
Also Selbstkasteiung (kalt duschen) und Solidarität (noch mal kalt duschen, damit in der Industrie die Lichter nicht ausgehen).
Alptraum Schicksalsgemeinschaft
Im Falle einer Krise dürften sich die EU-Staaten nicht nur um die eigene Versorgung kümmern, mahnt Wirtschaftsminister Habeck. Stattdessen sei Solidarität gefragt. Das knappe Gut soll also unter allen, die zu sechs Sanktionspaketen ja sagten, aufgeteilt werden. Europa als Schicksalsgemeinschaft, Wolfgang Schäuble wird es freuen. Nur ist zweifelhaft, ob der Alptraum, den Herr Habeck öffentlich fürchtet, nun dazu führt, dass die europäischen Partner, denen man jahrelang über die EU-Institutionen zu verstehen gegeben hat, wie sie gefälligst mit ihren Staatsfinanzen umzugehen haben, nun bereitwillig Gas oder Öl an Deutschland abgeben, das seine eigene Versorgungssicherheit aus moralischen Gründen geopfert hat. Ach ja, und aus klimapolitischen Gründen natürlich. Denn, so der Kanzler in seinem Gastbeitrag…
Zugleich bestärkt uns die aktuelle Entwicklung in unserem Ziel, die Erneuerbaren Energien viel schneller auszubauen als bisher. Die Bundesregierung hat deshalb Planungsverfahren etwa für Solar- und Windkraftanlagen erheblich beschleunigt. Und richtig ist auch: Je mehr Energie wir alle – Industrie, Haushalte, Städte und Gemeinden – in den kommenden Monaten einsparen können, desto besser.
Wärmehallen böten sich an und natürlich Kohlekraftwerke, die „schweren Herzens“ aber nur „vorübergehend“ wieder ans Netz genommen werden müssten. Zwar bringe die „rasche Entgiftungskur“ von russischer Energie beträchtliche Kosten für die Mitgliedstaaten mit sich, zitiert die FAZ den Außenbeauftragten der EU. „Das ist jedoch der Preis, den wir zahlen müssen, um unsere Demokratien und internationales Recht zu verteidigen“, so Josep Borrell heute beim Treffen der Außenminister in Brüssel. Und falls es wegen der Energiepolitik und der hohen Preise dann doch zu Demos kommen sollte, also zu dem, was Demokratien von Autokratien klar unterscheidet, werden die Teilnehmer von der deutschen Innenministerin schon einmal vorsorglich in die rechte Ecke gestellt. Das macht es ja leichter, die Proteste zu delegitimieren.
Alles in allem schon jetzt ein furchtbarer Alptraum. Vielleicht und bevor wieder so dein Ding entgleitet, ruft der Chef der Bundesnetzagentur nun zur Besonnenheit auf. „Wir dürfen nicht in Panik verfallen“, sagte Behördenchef Klaus Müller. In den Planungen der Bundesnetzagentur spielen Wärmehallen für bedürftige Menschen keine Rolle. Na das wird die Betroffenen aber beruhigen, wenn sie vor der Tafel stehen, in denen mittlerweile immer häufiger ein Aufnahmestopp ausgesprochen werden muss. Aber gut, dass es diese Einrichtungen gibt, von deren Einschätzung der sozialdemokratische Kanzler offenbar nichts weiß. Das mag an der neoliberalen Übung liegen, die Tafeln quasi als Ersatzversorger misszuverstehen, obwohl doch der Staat eine soziale Fürsorgepflicht innehat. Aufhören und Ruhe jetzt, der Kanzler hat das Schlusswort…
Finanzielle Hilfen von weit mehr als 30 Milliarden Euro hat die Bundesregierung daher zur Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht. Die unterschiedlichen Maßnahmen beginnen nun zu wirken.
Bildnachweis: André Tautenhahn
JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.