Beschreibende Politik

Geschrieben von: am 14. Jul 2022 um 8:15

Wieso haben wir eigentlich nur noch Politiker, die vor irgendwelchen Szenarien warnen und lediglich düstere Prophezeiungen verkünden? Die sind doch gewählt, um die Probleme zu lösen, statt sie nur zu beschreiben oder sogar zu verschärfen. So werde die Gasknappheit Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, warnte Wirtschaftsminister Robert Habeck, um ein paar Tage später die Priorisierungsfrage zu stellen und damit weitere Unruhe zu stiften. Das ursprüngliche Szenario sei nicht mehr das drohende Szenario, heißt es zur Begründung. Als Lösung nimmt der Minister nur die Verbraucher in die Pflicht. Das ist Arbeitsverweigerung.

„Die Politiker der Regierung kommen aus dem Bibbern gar nicht mehr heraus. Kollektiv ängstigt man sich vor dem Gasnotstand und schwört die Bevölkerung auf finstere Zeiten ein“, schreibt Gabor Steingart in seinem Briefing vom 12. Juli. Und weiter:

Ein Feuerwerk der Apokalyptik wurde über dem Regierungsviertel gezündet: „Wir müssen uns auf das Schlimmste einstellen“, prophezeit Habeck. „Es besteht die Gefahr einer sehr ernst zu nehmenden Wirtschaftskrise“, warnt Christian Lindner und der Kanzler und Sozialdemokrat Scholz spürt und fürchtet – zielgruppengerecht, könnte man meinen – den „sozialen Sprengstoff“. Das Segment der Warner und Mahner ist also gut besetzt. Was fehlt, ist Leadership.

Die einen nennen es Leadership, die anderen Strategiefähigkeit beim Schach- oder Mühlespiel. Denn wer einen Wirtschaftskrieg anzettelt, sollte in der Lage sein, nicht nur die Züge des Gegners vorauszusehen, sondern auch im Angriff oder bei der Verteidigung überlegt zu reagieren. Im Augenblick beschränkt sich die Bundesregierung aber darauf, beim Schiedsrichter ständig auf Unsportlichkeit zu insistieren. Das Publikum buht allerdings nicht, sondern ist abgelenkt. Doch wie lange kann die Außenministerin, die nach eigener Aussage kein Teil einer Propagandashow sein möchte, noch mit inszenierten Bildern (hier und hier) und guten Umfragewerten von der schlechten Performance ihrer Regierung ablenken?

Ausreden

Robert Habeck, der die entscheidenden Züge bislang ausführte, fällt erst einmal aus. Er hat Corona. Das Problem mit der Gasturbine hatte er aber noch gelöst. Man müsse Putin diese Turbinenausrede nehmen, hatte er der ausländischen Presse gesagt. Dabei ist genauer betrachtet Nord Stream 1 aus Versorgungssicht gar nicht so sehr das Problem. Diese Pipeline ist eine von drei Leitungen, über die Deutschland bislang Gas aus Russland bezieht. Die anderen beiden sind Jamal über Polen und die Transgas-Trasse über die Ukraine. Beide sind intakt und funktionstüchtig, allerdings gibt es Ärger mit den in dieser Krise lautstark auftretenden Transitländern. Die Versorgungssicherheit Deutschlands nur auf Nord Stream 1 zu reduzieren, ist daher eher als Ausrede Deutschlands zu verstehen, das offenbar eine Auseinandersetzung mit den Partnern Polen und Ukraine scheut.

Hier wäre vermutlich Leadership durchaus angebracht oder ein Machtwort von der angeblichen Führungsmacht Deutschland (O-Ton: Baerbock). Doch im Augenblick geben die Osteuropäer den Ton an. Der ukrainische Präsident bestellt nach der Freigabe der Gasturbine den kanadischen Botschafter ein und klagt nun sogar gegen das nordamerikanische Land vor dem Bundesgerichtshof. Präsident Selenskyj hat seinen Botschafter in Deutschland dann doch selbst abberufen, obwohl ihn die deutsche Außenministerin nach dessen wiederholt geäußerter Faschistenverharmlosung niemals zur Rede stellte. Er durfte einfach alles, urteilte Wolfgang Michal im Freitag. Wo ist da die angebliche Führungsmacht? Hat sie ihn gewähren lassen, weil sie dessen Geschichtsrevisionismus teilt? Wenn man die Kommentare deutscher Medien so liest, könnte man fast diesen Eindruck gewinnen. Tobias Riegel hat nach der Abberufung Melnyks die Reaktionen großer Medien auf den NachDenkSeiten zusammengefasst.

Die Versorgungskrise, sie ist im Augenblick nur ein Schreckgespenst, das man vertreiben könnte. Doch dem Westen und insbesondere Deutschland steht seine moralische Überheblichkeit bei einer Lösung des Ukraine-Konflikts weiterhin im Weg. Das erkennt man schon daran, dass man Ukraine-Konflikt eigentlich gar nicht schreiben darf, sondern ausschließlich von „Putins Krieg“ zu reden hat, der für manche, vor allem Grüne, nicht weniger als ein Vernichtungsfeldzug sei. Was passiert aber, wenn die USA ihr Interesse an der Ukraine plötzlich verlieren, so wie zuletzt an Afghanistan? Eine kurze Denkpause bitte. Jedenfalls muss man doch damit rechnen, dass die Sanktionen des Westens eine entsprechende Reaktion auslösen würden. Über einen Rechtsbruch als Folge des Rechtsbruchs zu klagen, ist daher wenig überzeugend. Doch um dieses verbale Geplänkel zum Zwecke der Schuldzuweisung geht es auch gar nicht.

Ruf des Mahners

Wie beim RKI gibt es auch bei der Bundesnetzagentur, dem für die Gaskrise zuständigen Gremium, einen täglichen Lagebericht. Dort steht für den 13. Juli. „Aufgrund von Wartungsarbeiten bei der Nord Stream 1 können hierüber aktuell keine Mengen transportiert werden. Alternative Transportrouten wie z.B die Yamal Pipeline oder auch die Ukraine Route stehen zwar zur Verfügung, werden allerdings nicht genutzt.“ Nun könnte man ja fragen, warum werden diese Alternativen nicht genutzt, um die Gasspeicher, die sich im Augenblick im Soll befinden (Lagebericht: „Die aktuellen Füllstände liegen mittlerweile z.T. deutlich höher als im Jahr 2015, 2017, 2018 sowie 2021.“) weiter zu befüllen? Stimmt es denn, dass Russland einfach so den „Gashahn“ zudreht? Oder spielen da auch die Transitländer eine Rolle, die ihre Stellung gerade ausnutzen, um in diesem Fall gar nicht Russland, sondern eher Deutschland zu schaden?

Polen hat die Jamal-Pipeline für Gaslieferungen aus Russland gesperrt, dafür wurde die Röhre in der entgegengesetzten Richtung ausgiebig genutzt, wie Jens Berger auf den NachDenkSeiten ausführlich anhand von nachlesbaren Daten und Fakten erklärt. Dabei handelte es sich um einen Teil des russischen Transportvolumens für Deutschland, das von deutschen Importeuren bezahlt und über Nord Stream 1 bezogen wurde. Doch statt die deutschen Speicher zu füllen, floss das Gas ins Nachbarland. Polen wiederum tritt in der Öffentlichkeit als besonders harter Befürworter der Sanktionen auf und brüstet sich mit anklagendem Blick auf Deutschland damit, von der Gasversorgung Russlands bereits unabhängig zu sein. In der Ukraine wird die Gasversorgung Deutschlands ebenfalls skandalisiert, nicht aber über die eigene gesprochen, die weiterhin durch Gazprom auf direktem Wege sichergestellt wird.

Was ist also zu tun? Statt düstere Szenarien zu zeichnen und dies mit Russlands Griff an den Gashahn zu begründen, hätte die Bundesregierung die Aufgabe, zwecks Versorgungssicherheit Druck auf Polen und die Ukraine auszuüben, um deren politisch motivierte Blockaden des Gastransits abzubauen. Ein entsprechendes Mittel stünde Wirtschaftsminister Habeck auch zur Verfügung und das ist Nord Stream 2. Die Pipeline ist betriebsbereit, allerdings nicht genehmigt. Dieses Szenario zur Beseitigung des Mangels ist aber öffentlich undenkbar. Hier sieht man es wohl lieber, wenn Robert Habeck den Ruf des Mahners von Karl Lauterbach übernimmt. Bei dieser Form der Arbeitsverweigerung geraten die Fakten in den Hinter- und gefühlte Wahrheiten zunehmend in den Vordergrund. Beim Volk kommt so etwas seltsamerweise als besonders authentisch an.


Bildnachweis: Björn Eichenauer auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Dieter  Juli 14, 2022

    Wozu sind die Politiker da ?
    „Der Staat ist das Machtinstrument der jewils herrschenden Klasse! “
    Karl Marx

    Das sind aktuell die Finanzspekulanten wie BlackRock.
    mehr unter
    BlackRock und Lobbypedia
    oder
    BlackRock und nachdenkseiten

  2. StefanFriedrich  Juli 15, 2022

    Hallo Herr Tautenhahn
    Sie nennendas Kind beim Namen . Wenn die USA das Interesse an der Ukraine verlieren . Ja dann . Die Ukraine ist auch nur Mittel zum Zweck. Habeck u. Konsorten haben das auch gar nicht zu bestimmen . Alles aber wirklich alles wird von der anderen Seite des Atlantiks gesteuert . Aber das wissen sie ja besser als ich .
    MfG Stefan Friedrich