Die Nebenwirkungen der „nebenwirkungsfreien Impfung“ heißen jetzt Post-Vac-Syndrom. Der Medizinstatistiker Gerd Antes schreibt dazu auf Twitter: „Neues aus Absurdistan: Nach systematischer Tabuisierung von Impfnebenwirkungen der garantiert nebenwirkungsfreien Impfung jetzt Lob für die Untersuchung von Post-Vac-Symptomen“ Hintergrund ist der frei twitternde Gesundheitsminister, der sich mal wieder selbst widerspricht. Dessen Aussagen zu evaluieren, wäre sicherlich auch ein Gebot der Stunde.
Derzeit herrscht aber große Sorge in diesem Land, dass das Virus im Herbst mit voller Wucht zurückkommen könnte. Dabei war es ja nie weg. Zudem gehen die Infektionszahlen bereits jetzt im Juni schon wieder in die Höhe, was eine allgemeine Diskussion über den Umgang mit der Pandemie zur Folge hat. Das Tolle am Coronaherbst sei, dass er Deutschland sorglos durch den Sommer segeln lässt, heißt es in dem verlinkten Bericht der taz. Damit ist der Vorwurf verbunden, dass man eigentlich schon längst wieder die Notbremse hätte ziehen müssen. Nur warum? Um eine „Sommerwelle“ zu verhindern, also Infektionen zu vermeiden, die sich nicht vermeiden, allenfalls verschieben lassen? Die sommerliche Ausbreitung des Virus ist doch eine gute Nachricht für den Herbst. Denn das Voranschreiten der Durchseuchung verbreitert die Immunität in der Population. Mit Blick auf die kältere Jahreszeit nimmt der Schutz damit zu nicht ab.
Doch die simple Logik der Epidemiologie bleibt weiterhin außer Kraft gesetzt. Es gibt immer noch die Vorstellung, das Infektionsgeschehen bei einem Wiederaufleben unbedingt kontrollieren zu müssen, obwohl der Übergang zur Endemie längst begonnen hat. Nur sind alle Mittel zur Bekämpfung der Pandemie längst ausgeschöpft. Die Impfung wirkt wie sie wirkt und wirkt nicht besser, indem man die Anzahl der Spritzen beliebig erhöht. Ein Schutz vor Infektion bietet die Impfung ohnehin nicht. Kontaktbeschränkungen vermeiden Infektionen, die dann aber später nachgeholt werden und, wie Expertenrat und Gesundheitsminister ebenfalls festgestellt haben, dann auch aufgrund mangelnder Immunität in der Bevölkerung, weil es eben die Kontaktbeschränkungen gab, zu noch mehr Problemen führen können. Die Sorge um stärkere Grippe- und RSV-Wellen belegen das, zeigen aber auch, dass nicht Impf-, sondern Immunitätslücken thematisiert werden müssen.
Mit einem Wissen um die Immunitätslücke ließe sich die Impfkampagne gezielter und ressourcensparender steuern, weil die vulnerable Gruppe in den höheren Alterskohorten genau adressierbar wäre. Umgekehrt hat es keinen Sinn, alle ab 5 Jahren auf Biegen und Brechen impfen zu wollen. Das bedeutet nämlich, dass die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auch künftig vom Gehorsam und nicht von medizinischen Gründen abhängig sein müsste, was die Kosten weiter unnötig erhöht und gesellschaftliche Konflikte verschärft. Dabei ist der Witz an der Impfung ja der, dass Geimpfte und Impfgegner wohl nie vollständig geimpft sein werden, was auch vollkommen belanglos ist, da es inzwischen nur noch auf die Genesenen ankommt. Wie oben bereits angedeutet, ist das Coronavirus inzwischen so harmlos geworden, dass man mit ihm keine Überlastung des Gesundheitssystem mehr herbeimodellieren kann. Andere Atemwegsinfektionen wie Grippe oder RSV werden daher in das Bedrohungsszenario einbezogen. Die gelten wiederum gerade wegen der Corona-Kontaktbeschränkungen, also der Maßnahmen, die aktuell kritisch überprüft werden, als gefährlich.
Die Evaluation der Maßnahmen wird aber bereits im Vorfeld diskreditiert und das Wiederaufleben des Infektionsgeschehens dafür genutzt, um erneut Stimmung zu machen und den Druck auf die Politik zu erhöhen. Man müsse jetzt Entscheidungen für den Herbst herbeiführen, heißt es. Das zeigt, dass keinerlei Interesse an mehr Informationen zum Verständnis der Pandemie besteht, da es letztlich um rein ideologische Entscheidungen geht. Vielleicht werden aber auch die notwendigen Daten einfach nicht erhoben, weil sie die bisherige Pandemiepolitik fundamental infrage stellen würden. In diesem Fall müsste es aus Gründen der politischen Hygiene dann auch Konsequenzen geben. Daran besteht ebenfalls kein Interesse. So bleibt es dabei, dass die Maßnahmen immer richtig und angemessen waren und Berichte, die das Gegenteil nahelegen, schon vor Veröffentlichung mit journalistischer Hilfe abgewertet werden, auch wenn man überhaupt nicht weiß oder wissen will, welchen Effekt einzelne Maßnahmen tatsächlich hatten.
„Nur weil es keine Evidenz gibt, heißt es nicht, dass Maßnahmen nicht wirken, mitunter fehlen eben nur die Daten, die die Wirkung belegen“, schrieb die SZ-Autorin Christina Berndt kürzlich. Das löste mit Blick auf den ersten Teil ihrer Aussage einen Shitstorm aus. Der zweite Teil beschreibt aber das eigentliche Problem. Warum gibt es diese Daten immer noch nicht, obwohl Obergerichte sie im Verlauf der zwei Pandemiejahre bei ihren Entscheidungen immer wieder angemahnt haben? Auf der anderen Seite ist das Ziel, Infektionen zu vermeiden, wie dargestellt, inzwischen sehr fragwürdig. Nehmen wir einmal an, dass das Tragen von FFP2-Masken in Innenräumen oder dem ÖPNV tatsächlich etwas ist, das Infektionen vermeidet. Warum sollte das jetzt im Sommer aber immer noch notwendig sein, wenn a) das Gesundheitswesen gar nicht überlastet ist, b) eine Impfung zur Verfügung steht, c) antivirale Mittel zur Behandlung von Erkrankten vorhanden sind und d) die Infektion nicht vermieden, sondern nur verschoben werden kann?
Es besteht mittlerweile unter allen halbwegs kompetenten Fachleuten die Einigkeit, dass sich jeder über kurz oder lang (mehrmals) mit dem Virus infizieren wird. Damit wird auf natürliche Weise die Immunität der Population ständig erneuert und verbessert, was zum Ende der Pandemie beiträgt. Eine vollständige Impfung der Bevölkerung kann das gerade nicht erreichen, wie man nun an Portugal sieht. Dort hat man auch erkannt, dass Maßnahmen in der jetzigen Situation vollkommen unnötig sind, weil sie die Pandemie eben nicht beenden, sondern allenfalls verlängern würden. Die laufende Durchseuchung ist daher kein Übel, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Der Schutz der vulnerablen Gruppen kann indes nur gelingen, wenn mehr über deren Immunität bekannt ist. Für sie ist die Abwägung mit möglichen Impfnebenwirkungen auch gänzlich anders zu sehen, als das bei Schülern der Fall ist. Letztere brauchen keine Impfung, weil sie ihnen schlichtweg keinen nennenswerten Nutzen bietet, außer eben vor den Folgen von Maßnahmen geschützt zu sein. Das eine Impfkommission so etwas Abseitiges wie Impfen gegen den Staat noch formulieren muss, ist nach wie vor ein großer Skandal.
Bildnachweis: Übertragung der Bundespressekonferenz vom 8. Juni 2022.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.