Zu Beginn der Woche standen Scheißfragen von Fieldreportern und Nazi-Vergleiche ganz hoch im Kurs, gegen Ende ist die Medienrepublik vom Süßigkeitenverzehr gestandener Politiker[Pause]innen in der Ministerpräsidentenkonferenz fasziniert. Dazwischen hat der Bundestag einen Haushalt verabschiedet, bei dem der Finanzminister die expansive Ausgabenpolitik mit einem Sondervermögen für die Rüstung in Höhe von 100 Mrd. Euro beenden will und dann war da noch eine Replik von Christian Drosten in der FAZ.
Darin findet sich folgender Satz:
„Wichtig ist mir, dass auch der öffentliche Diskurs unter Wissenschaftlern faktenbasiert erfolgt.“
Das sagt der Wissenschaftler, der statt Fakten meist nur Konjunktive anzubieten hat und sich bei zitierten Aussagen dann darüber beschwert, dass diese aus dem Kontext gerissen würden. So gab Drosten eine Zeit lang auch Interviews, die sich auf Interviews mit ihm bezogen, aber seiner Ansicht nach falsch rezipiert worden waren. Kein Wunder, dass er Faktenchecker so mag, die ähnlich vorgehen und Aussagen mit dem Label „fehlender Kontext“ gern missbilligen und verbannen.
Es bleibt festzuhalten, auch Herr Drosten versteht nichts von Wissenschaftskommunikation und, das sei einem Sozialwissenschaftler gestattet, auch nichts von Wissenschaftsgeschichte, wenn er sagt, dass es ihm nicht darum gehe, Geistes- und Sozialwissenschaftlern Kompetenzen abzusprechen und ihnen Sprechverbote zu naturwissenschaftlichen Zusammenhängen zu erteilen. Was nobel klingt, ist in Wirklichkeit ziemlich herablassend. Nur weil es die überhebliche deutsche Kulturlitanei fertigbrachte, so etwas wie den Unbegriff der Geisteswissenschaften zu erfinden, bedeutet das nicht, dass da ein Defizit bestünde.
Nicht umsonst startete die Sozialwissenschaft als Physique sociale, also mit dem Anspruch, eine Naturwissenschaft zu sein und nach den Gesetzen zu suchen, die stabile soziale Systeme ausmachen. Es ging darum, mehr über eine von Revolutionen und Unruhen gezeichnete Gesellschaft des von Eric Habsbawm zu Recht bezeichneten long century herauszufinden und politische Werkzeuge zu entwickeln, die das Regieren erleichtern. Dieser positivistische Ansatz ließe sich auf die Pandemiepolitik von heute einfach übertragen, von der selbst Drosten inzwischen sagt, es gebe viel zu wenig Wissen, um Maßnahmen vernünftig evaluieren zu können.
Nur statt zu handeln, rennt er davon. Er hat halt Besseres zu tun. Folgt man dem Dreistadiengesetz von Auguste Comte scheint Christian Drosten allerdings im ersten Stadium, im theologischen oder fiktiven Stadium stehengeblieben zu sein, vielleicht hat er noch Stufe zwei, das metaphysische oder abstrakte Stadium erreicht, aber ganz sicher nicht das dritte Stadium, die positive Erkenntnis. Das ist jetzt natürlich nur ein Scherz auf Kosten des überschätzten Star-Virologen, der einen äußerst verengten Blick auf die Dinge hat, damit allerdings erfolgreich vortäuscht, das große Ganze zu meinen.
Die positive Wissenschaft besteht doch darin, auf der Basis von Annahmen, gespeist aus Erfahrung, also Empirie, und methodischer Beobachtung, also Statistik, nach Konstanten zu suchen, die es erlauben, vom einzelnen Phänomen auf allgemeine Grundsätze zu schließen und diese Erkenntnis wiederum für eine Prognose zu verwenden. Stichproben haben sich dabei als sehr nützlich erwiesen, Meldeinzidenzen eher nicht. Die Wissenschaft arbeitet daher zurecht mit Modellen. Diese funktionieren aber nur, wenn die Datengrundlage valide ist. Leistet Christian Drosten hier nun einen Beitrag oder gelingt es ihm nur, viele Drittmittel einzuwerben, was doch der eigentliche Zweck des professionalisierten Wissenschaftsbetriebes der Gegenwart zu sein scheint?
Bildnachweis: André Tautenhahn
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.