Die Staats- und Regierungschefs der EU haben in der Nacht beschlossen, mit Blick auf ein Öl-Embargo nur ein bisschen schwanger zu sein. Dieser Kompromiss, der keiner ist, wird dennoch, wenn auch verhalten, als ein starkes Signal gegen den Aggressor Russland kommuniziert. Dabei ist Skepsis angebracht. Behauptet wird, dass durch das Verbot von russischen Öllieferungen über den Seeweg zwei Drittel der russischen Ölimporte mit einem Einfuhrverbot belegt würden und später sogar 90 Prozent, wenn Deutschland die Pipeline abdreht. Das klingt ja nach viel, ist aber nur eine theoretische Größe, da die Einzelheiten immer noch verhandelt werden müssen, wie es heißt. Der Beschluss ist daher typische Gipfel-PR, die kaschieren soll, wie erfolglos das ganze Treffen in Wirklichkeit war. Was am Ende tatsächlich verboten ist, keiner weiß es genau.
Klar ist nur, dass Öl über die Pipelines weiter nach Europa fließt und Russland dank des Geredes über ein Embargo, das zu steigenden Preisen an den Märkten führt, ordentlich Kasse macht. Die Sanktionen bewirken also das genaue Gegenteil. Sie führen zu einer Stärkung des Gegners, den man eigentlich schwächen will. Deshalb müsse man halt einen langen Atem haben, heißt es zur Beruhigung. Irgendwann werde sich eine Wirkung wohl noch einstellen. Doch die Ausnahmeregelungen und Übergangszeiten erlauben es zunächst einmal, die Sanktionen flexibel zu handhaben. Schon jetzt zeigt sich, dass sich die EU-Staaten untereinander misstrauen, wenn es um den Ausgleich der bereits eingetretenen und noch zu erwartenden Kollateralschäden geht. So blicken die Niederlande und Belgien, die Öl auf Schiffen empfangen, mit Argusaugen auf die Zusage der Deutschen, spätestens zum Jahresende kein Öl mehr aus der Druschba-Pipeline zu entnehmen. Man befürchtet Wettbewerbsverzerrungen.
Irritationen gab es auch wegen der Kommunikation. Normalerweise verhandele man mit den Gesprächspartnern, bevor man das Ergebnis verkündet, sagte Österreichs Bundeskanzler Nehammer vor dem EU-Gipfel. Diese Kritik richtet sich an Kommissionschefin von der Leyen, die vor ein paar Wochen erklärte, ein Öl-Embargo durchzusetzen und dann mit einem unabgestimmten Entwurf vorpreschte, der auf allen Seiten Bedenken auslöste und sich somit als eine Steilvorlage entpuppte.
Es ist ein hausgemachtes europäisches Problem, für das sich die Welt herzlich wenig interessiert. Länder wie China, Indien, Indonesien, Vietnam, Singapur oder Thailand nehmen das, was die EU gerne verschmähen möchte, sehr gern und zwar mit neuen Lieferverträgen zu günstigeren Konditionen. Die Schwellenländer mit ihrem großen Energiehunger weiten ihre Ölimporte aus Russland aus. Ein Treppenwitz dabei ist, dass Europa und insbesondere Deutschland Energiepartnerschaften gegen die Klimakrise mit genau diesen Ländern wie Indien geschlossen haben, also Milliarden Euro dorthin transferieren, die, und das dürfte wohl nicht anders sein, nun auch für den Kauf russischen Öls verwendet werden. So schadet sich Europa mit einem Embargo nicht nur selbst, indem es sich steigende Kosten und seinen Bürgern galoppierende Preise zumutet, sondern bezahlt auch noch dafür, dass andere Länder die Folgen eines ausschließlich moralisch begründeten Embargos locker ausgleichen können. Bescheuerter kann man sich nicht anstellen.
Bildnachweis: Screenshot BR24 via YouTube, 30. Mai 2022.
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.